Zwei Frauen warten auf eine Gelegenheit - Kapitel 6
ohne Zwiebeln, sonst stinkt wieder alles so. Magst Du immer noch die süßen Nussschnecken?
Der Briefträger hat mir Deinen Vogel gebracht!
Schick Dir dafür mein momentanes Lieblingslied, das mich in der Nacht tröstet.
41 I, Hannover, Ernst-August-Platz. – Liebe Freundin, Nussschnecken mochte ich noch nie. Aber morgen bin ich da. Bei Dir? Bei Heinrich? Ich esse gern Spinat, Spiegelei, Kartoffeln. Nicht nur, dass mir dieses Essen schmeckt, es den Magen nicht belastet. Es leuchtet obendrein so wunderschön wie die Haut eines Feuersalamanders.
Meinen Geburtstag feiere ich immer an zwei Tagen. Ich bin, so genau wusste das die Hebamme nicht, entweder knapp vor oder knapp nach Mitternacht auf die Welt gekommen.
Während meiner Geburt spielten mein Vater und mein Onkel Karten. Dann war meine Ankunft. Die Hebamme rief nach meinem Papa. Er trat ins Zimmer, sah Blut und fiel um wie ein Bloch. So jedenfalls wird an allen Familienfesttagen das erste Zusammentreffen zwischen meinem Papa und mir geschildert. Die Hebamme, mit meinen Eltern gleich alt und zudem auch noch mit uns verwandt, wurde meine Patin. Unter Lachen erzählt sie mir noch heute, wie überfordert sie bei meiner Geburt gewesen sei. Sie hätte tatsächlich nicht einzuschätzen vermocht, wer damals mehr der Betreuung bedurft hätte, meine Mama, mein Papa oder ich.
Auch, meint sie, hätte jenes Kartenspiel bestimmt Einfluss auf mich gehabt.
Was ziehe ich morgen zu Eurer Feier an? Dein Heinrich, kommt mir vor, behandelt und pflegt seine Kleider, als wären es Tierchen.
42 M, Wien, Am Graben. – Ich freue mich auf Deinen Besuch und bin stolz, dass ich Dich Heinrich vorstellen kann – meine beste Freundin (die früher Nussschnecken geliebt hat und es jetzt weglügt). Alles wird es geben, was Du möchtest. Heinrich geht auf den Naschmarkt und kauft das Beste ein. Wir trinken Wein – wann haben wir das letzte Mal Wein getrunken? Als ich unter den Tisch gefallen bin und Du mich nach Hause geschleppt hast? Aber das war etwas mit K.-o.-Tropfen, glaube ich bis heute jedenfalls, ich werde doch nach einer halben Flasche Wein nicht umkippen? Erinnerst Du Dich noch an die Typen an der Bar? Wir dachten, sie schließen eine Wette ab, wie sie uns abschleppen könnten. Was soll’s. Du hast das mit den K.-o.-Tropfen nicht geglaubt, weil Du selber nur angetrunken warst. Was soll’s.
Die Geschichte von Deiner Geburt hätte ich noch gewusst.
Wir lassen uns von Heinrich nicht wie Tierchen behandeln. Wir sind Damen. Mit »Niveau« – und so heißt keine Topfpflanze.
43 I, Hannover, Ernst-August-Platz. – Ihr hattet mich für heute eingeladen. Ich war da. Ihr nicht!
Dabei hatte ich mich so richtig in Schale geworfen. Lila Schuhe, schwarzes Strickkleid, schwarze Leggings, Holzbrosche. Auch Geschenke für Euch hatte ich dabei: Zitronengrassuppe, Dijon-Senf, Rauch-Pflaumen-Käse. Wodka. Kekse von Arco. Rosen. Eine Fado-CD.
Ich habe mich sehr auf Euer Essen gefreut. Aber ich hätte es mir denken können.
Jetzt tapere ich durch den Nebel, und die Weiden schlagen mit Peitschen nach mir. Ich bin wütend. Schmier Dir Deine Versprechen in die Haare!
Zu Hause trinke ich einen Glühwein. Anrufe von Dir nehme ich heute bestimmt nicht mehr an.
44 M, Wien, Am Graben. – Just a pain in the ass!
Wir haben gewartet, von wegen, Du warst bei uns. Heinrich wohnt AM Graben, nicht IM Graben!
Und auf meine Anrufe reagierst Du nicht!
Komm morgen, 17 Uhr, warte an der Pestsäule, ich hole Dich ab. Du weißt doch, wo die Pestsäule ist?
Dann hinein ins schwarze Strickkleid. Was ist das, eine Holzbrosche? Ist die aus Eiche? Ist die schwer? Hast Du sie von einem Holzfäller geschenkt bekommen? Und: Nicht die Geschenke vergessen. Ich liebe Geschenke. Und sag, dass sie ganz allein mir gehören. Sag es vor Heinrich. Ich will sein Gesicht sehen. Erschrick nicht über meinen Kopfverband. Er ist heute frisch gewechselt worden, und ich werde ihn mit Efeu für Dich schmücken.
Bis morgen. Ich freue mich.
45 I, Hannover, Ernst-August-Platz. – Ob ich morgen um 17 Uhr bei Dir und Heinrich vorbeischaue, ist ungewiss. Einmal pro Woche koche ich mit anderen Frauen für die Armentafel. Dann esse ich auch dort.
Die Brosche besteht aus einem kleinen, angesengten Stückchen Holz. Vor Jahren implodierte in meiner Wohnung der Fernseher. Es gab nicht einmal einen Knall. Nur im Bildschirm ein seltsames Geräusch. Aber alles fing gleich Feuer. Gott sei Dank kamen keine Personen zu Schaden. Aber wir wurden alle für zwei Wochen woanders untergebracht.
Die Hälfte Deiner Geschenke habe ich vor Zorn gegessen. Und das schwarze Strickkleid muss in die Reinigung. Verschieben wir unser Treffen auf nächsten Dienstag?
Warum sollte ich über Deinen Kopfverband erschrecken? Du redest ja dauernd davon. Wieso trägst Du ihn überhaupt. Trepanation oder Chemotherapie?
Aber ich will nicht indiskret sein.
Ergeht es Dir auch so? Du nimmst einen Schluck Alkohol, egal wovon, und Dein Gesicht wird knallrot? Als wuselten tausend Ameisen unter Deiner Haut. Das sieht total verboten aus. Es kann daher überhaupt nicht sein, dass ich jemals in der Öffentlichkeit mit Dir gesoffen hätte. Noch dazu in einer Bar. Ich falle ja schon ohne Alkohol von so einem Hocker.
Wer putzt eigentlich Heinrichs Wohnung? Öffne seine Marmeladengläser. Vielleicht haben sich dort über die Jahre seltsame Edelweiße gebildet. Kontaminierte Lebensmittel sind der Horror.
Salmonellen, Listerien, Botox. Du riechst nichts. Dann siehst du doppelt.
Wieder einmal keine Nachricht von Dir. Bist Du beleidigt?
Du tauchst Heinrich nur noch in rosarotes Licht. Das beunruhigt mich. Glaub mir, liebe Freundin, er ist todessüchtig.
Bitte melde Dich. Ich kann sonst nicht schlafen.
46 M, Wien, Am Graben. – Du mitleidloser Mensch oder Du Nachtigall für andere, fühlst Dich selig und pflegst die Armen, Du speist sie wie damals unser Herr Jesus, aber wie hältst Du es mit Deiner Kinderfreundin? Ich bin wieder ins Sanatorium gekommen, und sie haben mich gleich dortbehalten. War wieder ein winziges Loch zu bohren in meinen nichtsnutzigen Schädel – Trepanation sagst Du dazu, tut überhaupt nicht weh. Habe jetzt noch Fieber bekommen und kann nur hoffen, dass Heinrich mich morgen holt (und wenn er dafür die Ärzte bestechen muss) – Hasen lassen sich gern bestechen. Ich bin in der Nacht aufgewacht, weil es an meinem Ohr gebrummt hat, und da hat sich doch tatsächlich ein dunkelbrauner Teddy auf meinen Bauch gedrückt, so weiches Fell. Ich schüttelte ihn immer wieder, weil ich sein Brummen hören wollte.
Eine polnische Frau putzt Heinrichs Wohnung, die er über alle Maßen gut bezahlt, er habe, erzählte sie mir hinter ihrer Faust, als sie noch frischer war, überlegt, sie zu heiraten.
47 I, Hannover, Ernst-August-Platz. – Warum bohren Sie Dir schon wieder ein Loch in den Schädel? An Deinem Ohr brummt nichts. Vom Fieber kriegst Du Nonnensausen!
Morgen holt Dich Dein Bräutigam aus dem Sanatorium. Nimmt Dich zur Frau. Im handgewobenen Goldbrokatkleid verwandelst Du Dich in eine wunderschöne Bachforelle. Und ein armenischer Flötenspieler hält den Ton.
Deinen Heinrich gibt es nicht! Du hast ihn erfunden, um noch einmal alle Register ziehen zu können!
Liebe Freundin, rüste Dich für den Ort unserer Kindheit. Wie einst Japaner ihre Alten in die Berge brachten, um sie dort ihrem Schicksal zu überlassen, lass uns ein Taxi nehmen, das uns hinaufbringt in das menschenleere Dorf. Hinter den aufgelassenen Höfen richten wir uns ein. Zwischen Himbeersträuchern, Schlangenhäuten und Digitalis. Dahin kommt kein Engel.
48 M, Wien, Am Graben. – Was für einen poetischen Blödsinn schreibst Du mir. Anbei schicke ich Dir eine Kopie unserer Heiratsurkunde – und dann: Am Sonntag, den 4.12., warte tatsächlich bei der Pestsäule auf mich. Ruf mich an, wenn Du dort bist. Ich nehme an, Heinrich wird, wenn er Dich sieht, Dich mit Deinen weichen Flaumhaaren, auch Dir einen Heiratsantrag machen. Aber das macht nichts. So ist er halt. Eine Marotte. Ich kann damit leben. Die Polin sagte, er habe ihr mit der österreichischen Staatsbürgerschaft zur Menschenwürde verholfen. Dass er sie dann doch nicht ewig haben wollte, kann sie ihm nicht verzeihen. Heinrich wird für Dich Spinat kochen und postomnibusgelbe Eier.
Das mit dem menschenleeren Dorf machen wir, jetzt noch nicht, aber ich werde jedenfalls für Dich da sein und auch dort.
Anlage: Kopie einer Heiratsurkunde
Erklär mir dieses Phänomen, meine Kluge: Heinrich stöhnt unter Kopfschmerzen, und mir bohren sie ein winziges Loch in den Schädel. Das ist doch so wie bei den Kühen, wenn sie einen Gasbauch haben. Da stechen sie mit einer Kuhnadel hinein, damit das Gas entweichen kann. Bei meinem Schädel, hoffe ich, ist alles Überflüssige verflogen. Himbeeren und Schlangen sehe ich im Traum.
49 I, Hannover, Ernst-August-Platz. – Es wäre mir schon peinlich, von Heinrich einen Heiratsantrag zu kriegen. Wie am Fließband. Wie hältst Du so etwas aus?
Das mit den Kühen klingt ja furchtbar!
Meine Eltern hatten Geißen, Hasen, Hühner und Katzen. Die waren meine Puppen.
Einmal kam eine unserer Katzen tagelang nicht nach Hause. Dann fanden wir sie tot. Mit einem Fisch im Maul. Den hatte sie noch kurz vor ihrem Draufgehen aus dem Bach geholt. Ich nehme an, die Katze wurde vergiftet. Meine Schwester und ich zerschnitten daraufhin Mamas schwarze Nylonstrümpfe. Die Streifen wickelten wir dann wie einen Trauerflor um den Oberarm.
Die Kopie Eurer Heiratsurkunde war nicht dabei.
Am Sonntag, den 4.12., hat mein Papa Geburtstag. In Dornbirn!
Jedenfalls stehe ich da nicht bei der Pestsäule.
50 M, Wien, Am Graben. – Das mit dem Trauerflor gefällt mir. Bei der nächsten Beerdigung, sei es Mensch oder Tier, werde ich das auch machen. Ich besitze noch etliche schwarze Nylons. Dass Du die Heiratsurkunde nicht bekommen hast, kannst Du der Katze erzählen. Die war in demselben Umschlag wie der Brief. Nicht in dem gleichen. In demselben!
Glaubst Du, ein Vogel hat die Kopie der Urkunde herausgepickt? Verarsch mich nicht!
Es hat keine Bedeutung, sollte Dir Heinrich einen Heiratsantrag machen. Ich bin auf dem Papier mit ihm verheiratet. Wir haben getrennte Schlafzimmer und nur ein einziges