Zehnter Dezember - Teil 9
Rogan.
Gute Frage, Rogan, dachte ich. Warum hatten sie uns da einfach sitzen lassen? Genau wie sie Heather und Rachel da einfach hatten sitzen lassen? Dann hatte ich eine Ahnung. Um meine Ahnung zu testen, sprintete ich kurz in den Spinnenkopf. Den Abnesti immer unabgeschlossen ließ, um zu demonstrieren, wie sehr er uns vertraute und wie wenig er uns fürchtete.
Und ratet mal, wer da drin war?
»Hey, Jeff«, sagte Heather.
»Jeff, raus mit dir«, sagte Abnesti.
»Heather, hat Mr Abnesti dich gerade wählen lassen, wer von uns, Rogan oder ich, eine Ladung Dunkelfloxx™ kriegen soll?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Heather. Sie muss wohl auf VeriSprech™ gewesen sein, weil sie die Wahrheit sagte, obwohl Abnesti versuchte, sie mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen zu bringen.
»Hast du vor kurzem mit Rogan gefickt, Heather?«, sagte ich. »Zusätzlich zu dem Fick mit mir? Und hast du dich auch in ihn verliebt, so wie in mich?«
»Ja«, sagte Heather.
»Heather, also ehrlich«, sagte Abnesti. »Stecken Sie sich doch ne Socke rein.«
Heather sah sich nach einer Socke um, VeriSprech™ macht einen ziemlich wortwörtlich.
Als ich wieder in meinem Bereich war, fing ich an zu rechnen: Heather hatte dreimal mit mir gefickt. Heather hatte wahrscheinlich auch mit Rogan dreimal gefickt, da Abnesti wegen der Konsistenz der Versuchsanordnung Rogan und mir sicher die relativ gleiche Dosis Vivisteif™ gegeben hatte.
Aber apropos Konsistenz der Versuchsanordnung, da steckte noch eine Hiobsbotschaft drin, wenn ich meinen Abnesti kannte, der in Sachen Datensymmetrie immer pingelig gewesen war, nämlich: Müsste Abnesti nicht auch Rachel entscheiden lassen, wer gedunkelfloxx™t werden sollte, also Rogan oder ich?
Nach einer kurzen Pause bestätigte sich mein Verdacht: Ich landete wieder im Kleinen Arbeitsraum 3 mit Rogan!
Wieder saßen wir lange da und sagten nichts. Die meiste Zeit kratzte er an der kleineren Ratte rum, und ich versuchte ihn dabei zu beobachten, ohne dass er es merkte.
Dann sagte, wie zuvor, Abnesti über Lautsprecher: »Das war’s, Jungs, danke.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte ich, »Sie haben Rachel da drin.«
»Jeff, wenn Sie nicht damit aufhören, ich schwör’s Ihnen«, sagte Abnesti.
»Und sie hat gerade abgelehnt, mir oder Rogan Dunkelfloxx™ zu verabreichen?«, sagte ich.
»Hi, Jeff!«, sagte Rachel. »Hi, Rogan!«
»Rogan«, sagte ich, »hast du zufällig heute früher am Tag mit Rachel gefickt?«
»Ziemlich«, sagte er.
In meinem Kopf drehte sich alles. Rachel hatte mit mir plus Rogan gefickt? Heather hatte mit mir plus Rogan gefickt? Und jeder, der mit jemand anders gefickt hatte, hatte sich erst in diesen jemand anders verliebt und dann wieder entliebt?
Was für ein durchgeknalltes Projektteam war das denn?
Ich meine, ich hatte schon bei einigen durchgeknallten Projektteams mitgemacht, etwa bei dem, wo die Infusion irgendwas enthielt, das das Hören von Musik köstlich machte, und als dann Schostakowitsch reingeleitet wurde, war es, als würden in meinem Bereich echte Fledermäuse ihre Kreise ziehen, oder bei dem anderen, wo sich meine Beine ab der Hüfte total taub anfühlten, und doch stellte ich fest, dass ich fünfzehn Stunden am Stück hinter einer gefakten Kasse stehen und wundersamerweise plötzlich äußerst schwierige Divisionsaufgaben im Kopf lösen konnte.
Aber von all meinen durchgeknallten Projektteams war dies bei weitem das durchgeknallteste.
Ich fragte mich, was der morgige Tag bringen würde, ich konnte nicht anders.
VI
Bloß dass der heutige noch gar nicht vorbei war.
Ich wurde noch einmal in den Kleinen Arbeitsraum 3 bestellt. Und saß da, als ein unbekannter Typ reinkam.
»Ich heiße Keith!«, sagte er und kam gleich auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. Ein großer Südstaatler, Schlaks, viele Zähne, wallendes Haar.
»Jeff«, sagte ich.
»Freut mich sehr!«, sagte er.
Dann saßen wir da und redeten nicht mehr. Immer wenn ich Keith einen Blick zuwarf, ließ er seine Zähne aufblitzen und schüttelte ungläubig den Kopf, als wollte er sagen: »Komische Veranstaltung hier, oder?«
»Keith«, sagte ich. »Kennst du zufällig zwei Bräute namens Rachel und Heather?«
»Aber so was von«, sagte Keith. Und plötzlich bekamen seine Zähne etwas Lüsternes.
»Hast du zufällig heute früher am Tag Sex sowohl mit Rachel als auch mit Heather gehabt, und zwar dreimal mit jeder?«, fragte ich.
»Was bist du denn für einer, ein Scheißhellseher?«, sagte Keith. »Du haust mich aber echt aus den Socken!«
»Jeff, Sie verkacken hier grade total die Integrität unseres Experimentansatzes«, sagte Abnesti.
»Also sitzt grade entweder Rachel oder Heather im Spinnenkopf«, sagte ich. »Und versucht sich zu entscheiden.«
»Was zu entscheiden?«, fragte Keith.
»Wer von uns beiden gedunkelfloxx™t wird«, sagte ich.
»Iih«, sagte Keith. Jetzt sahen seine Zähne verängstigt aus.
»Keine Sorge«, sagte ich. »Sie wird’s nicht tun.«
»Wer?«, fragte Keith.
»Wer immer da jetzt drinsitzt«, sagte ich.
»Das war’s, Jungs, danke«, sagte Abnesti.
Dann wurden Keith und ich nach einer kurzen Pause wieder in den Kleinen Arbeitsraum 3 gebracht, wo wir ein weiteres Mal warteten, während entweder Rachel oder Heather sich weigerten, einen von uns zu dunkelfloxx™en.
Als ich wieder in meinem Bereich war, zeichnete ich ein Wer-hat-wen-gefickt-Diagramm, das folgendermaßen aussah:
Abnesti kam herein.
»Trotz Ihrer ganzen Fisimatenten«, sagte er, »haben Rogan und Keith haargenau wie Sie reagiert. Und Rachel und Heather genauso. Keiner von Ihnen konnte im entscheidenden Moment sagen, wer jetzt gedunkelfloxx™t werden sollte. Was super ist. Denn was bedeutet es? Warum ist das super? Es bedeutet, dass ED289/290 der wahre Jakob ist. Es kann Liebe wecken, es kann Liebe wegnehmen. Ich bin fast versucht, mit der Namensfindung zu beginnen.«
»Diese Mädchen haben es heute jeweils neunmal gemacht?«, fragte ich.
»Peace4All«, sagte er. »LiebesNeig. Sie wirken angepisst. Fühlen Sie sich angepisst?«
»Na ja, ein bisschen rumgeschubst«, sagte ich.
»Fühlen Sie sich rumgeschubst, weil Sie immer noch irgendwelche Liebesgefühle für eines der Mädchen hegen?«, fragte er. »Das müsste dokumentiert werden. Wut? Besitzergreifende Gefühle? Reste sexuellen Begehrens?«
»Nein«, sagte ich.
»Sie sind ganz ehrlich nicht verärgert, dass ein Mädchen, das Sie geliebt haben, noch von zwei anderen Typen gevögelt wurde, und nicht nur das, sondern dass sie auch exakt dieselbe Qualität und Quantität von Liebe für diese beiden Typen empfunden hat wie für Sie, oder, was Rachel betrifft, wie sie kurz darauf für Sie empfinden sollte, von dem Zeitpunkt aus gesehen, als sie mit Rogan vögelte? Ich glaube, es war Rogan. Vielleicht hat sie auch zuerst mit Keith gevögelt. Und dann mit Ihnen, als Vorletztem. Bei der Reihenfolge der Operationen bin ich jetzt gerade etwas unklar. Ich könnte nachschauen. Aber gehen Sie mal tief in sich.«
Ich ging tief in mich.
»Nichts«, sagte ich.
»Na ja, das ist auch eine Menge zu verarbeiten«, sagte er. »Zum Glück ist es Abend geworden. Unser Tag ist vorüber. Möchten Sie noch irgendetwas besprechen? Gibt es noch irgendein Gefühl bei Ihnen?«
»Mein Penis ist wund«, sagte ich.
»Ha, große Überraschung«, sagte er. »Überlegen Sie mal, wie es wohl den Mädchen geht. Ich schicke Verlaine mit einer Salbe vorbei.«
Bald kam Verlaine mit einer Salbe vorbei.
»Hi, Verlaine«, sagte ich.
»Hi, Jeff«, sagte er. »Wollen Sie das selber auftragen, oder soll ich es tun?«
»Ich mach’s«, sagte ich.
»Cool«, sagte er.
Und ich sah, dass er es auch so meinte.
»Sieht schmerzhaft aus«, sagte er.
»Ist es auch, echt«, sagte ich.
»War aber währenddessen bestimmt ein super Gefühl, oder?«, sagte er.
Seine Worte schienen auszudrücken, dass er neidisch war, aber ich konnte in seinen Augen lesen, während sie meinen Penis betrachteten, dass er kein bisschen neidisch war.
Danach schlief ich wie ein Toter.
Sagt man doch so.
VII
Am nächsten Morgen schlief ich noch, als Abnesti sich über Lautsprecher meldete.
»Erinnern Sie sich an gestern?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich.
»Als ich fragte, welches Mädchen Sie eher dunkelfloxx™en würden?«, sagte er. »Und Sie sagten, keines von beiden?«
»Ja«, sagte ich.
»Tja, für mich war das genug«, sagte er. »Für das Protokollkomitee anscheinend aber nicht. Nicht genug für die Drei Reiter der Analität. Kommen Sie her. Legen wir los – wir müssen eine Art Bestätigungstest durchführen. Puh, das wird ungemütlich.«
Ich betrat den Spinnenkopf.
Im Kleinen Arbeitsraum 2 saß Heather.
»Also, diesmal«, sagte Abnesti, »werde gemäß dem Protokollkomitee nicht ich Sie fragen, welches Mädchen das Dunkelfloxx™ bekommen soll, was ProtKom zu subjektiv fand, sondern wir werden diesem Mädchen in jedem Fall Dunkelfloxx™ geben, egal was Sie sagen. Und dann schauen, was Sie sagen. Wie gestern werden wir Ihnen eine Infusion geben mit – Verlaine? Verlaine? Wo sind Sie? Sind Sie da? Was war es noch mal? Haben Sie die Projektanweisung?«
»Verbaluce™, VeriSprech™, PlauderLeicht™«, sagte Verlaine über Lautsprecher.
»Genau«, sagte Abnesti. »Und haben Sie sein MobiPak™ aufgefüllt? Sind die Mengen okay?«
»Hab ich«, sagte Verlaine. »Hab ich, während er schlief. Plus, ich hatte Ihnen schon gesagt, dass es erledigt ist.«
»Und was ist mit ihr?«, fragte Abnesti. »Haben Sie ihr MobiPak™ aufgefüllt? Sind die Mengen okay?«
»Sie haben neben mir gestanden und zugeschaut, Ray«, sagte Verlaine.
»Jeff, Entschuldigung«, sagte Abnesti zu mir. »Wir haben heute einige Spannungen hier. Liegt kein leichter Tag vor uns.«
»Ich möchte nicht, dass Sie Heather dunkelfloxx™en«, sagte ich.
»Interessant«, sagte er. »Liegt das daran, dass Sie sie lieben?«
»Nein«, sagte ich. »Ich möchte nicht, dass Sie irgendwen dunkelfloxx™en.«
»Ich verstehe Sie«, sagte er. »Das ist so lieb. Aber andererseits: Dreht es sich bei diesem Bestätigungstest darum, was Sie wollen? Eher nicht. Es dreht sich darum, dass wir aufzeichnen, was Sie sagen, während Sie Heather dabei zusehen, wie sie gedunkelfloxx™t wird. Fünf Minuten lang. Ein Fünf-Minuten-Test. Los geht’s. Infusion läuft?«
Ich sagte nicht »Roger«.
»Sie sollten sich geschmeichelt fühlen«, sagte Abnesti. »Haben wir Rogan ausgesucht? Keith? Nein. Wir haben Ihren Sprachlevel als angemessener für unseren Datenbedarf erachtet.«
Ich sagte nicht »Roger«.
»Warum wollen Sie Heather beschützen?«, fragte Abnesti. »Man könnte fast meinen, Sie liebten sie.«
»Nein«, sagte ich.
»Kennen Sie überhaupt ihre Geschichte?«, sagte er. »Kennen Sie nicht. Können Sie von Rechts wegen gar nicht. Kommen da Whiskey, Straßengangs, Kindermord drin vor? Darf ich Ihnen nicht sagen. Darf ich, eher am Rande, andeuten, dass in ihrer gewalttätigen und schmutzigen Vergangenheit nicht gerade ein Hund namens Lassie und ständige Familiengespräche über die Bibel vorkamen, während Omi dasaß und Makramee machte und ab