Zehnter Dezember - Teil 4
Ernsthaft? Du wolltest ihr Leben ruinieren und meins, du fotzenstocherndes schwanzkauendes Vieh? Du hast wohl den Arsch offen! Wer ist jetzt hier der Boss? Arschkrater, Rotzlippen, Scheißefresser –
Noch nie hatte er sich so stark/wütend/wild gefühlt. Wer ist der Mann? Wer ist dein Daddy? Was musste er noch tun? Um sicherzugehen, dass das Vieh keinen Schaden mehr anrichtete? Bewegst dich noch, Perversling? Hast noch Pläne, Wichser? Willst noch ein Loch im Kopf, reicht dir das eine nicht, das du schon hast, Großkotz? Denkst du, das mach ich nicht? Denkst du, ich –
Ruhig, Scout, du rastest aus.
Brems mal etwas ab, geliebter einziger Sohn.
Ruhe. Ich bin mein eigener Boss.
FUCK!
Was zum Teufel? Was machte er denn da am Boden? War er gestolpert? Hatte ihn einer getatzt? War ein Ast runtergefallen? Verflucht. Er berührte seinen Kopf. Blut an der Hand.
Der Bohnenstangenbubi bückte sich. Um was aufzuheben. Einen Stein. Wieso war der Knabe nicht mehr auf der Veranda? Wo war das Messer?
Wo war das Mädchen?
Krabbelte auf den Bach zu.
Flog durch den Garten.
Ging ins Haus.
Scheiße, alles war beschissen. Lieber n Abgang machen. Und womit, seinem guten Aussehen? Er hatte insgesamt so zirka acht Dollar.
O Mist! Der Junge hatte die Windschutzscheibe zertrümmert! Mit dem Stein! Das würde Kenny aber gar nicht gefallen.
Er versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht. Das Blut lief nur so aus ihm raus. Er würde nicht noch mal in den Knast gehen. Vergiss es. Er würde sich die Handgelenke aufschlitzen. Wo war das Messer? Er würde es sich in die Brust rammen. Das hatte was Edles. Dann würden die Menschen sich seinen Namen merken. Wer von denen hatte schon die Eier, Harakiri zu machen, Messer in die Brust?
Keiner.
Kein Mensch.
Los, Feigling. Mach schon.
Nein. Der König nimmt sich nicht das Leben. Der überlegene Mann nimmt schweigend den hirnlosen Protest des Pöbels hin. Wartet, bis er wieder aufstehen kann, um erneut zu kämpfen. Außerdem wusste er nicht, wo das Messer war. Na, er brauchte es ja auch nicht. Er würde in den Wald kriechen und irgendwas mit bloßen Händen töten. Oder eine Falle aus Gras bauen oder so. Puh. Musste er gleich kotzen? Da, bitte. Voll in seinen Schoß.
Passt ja, dass du noch das einfachste Ding verkackst, sagte Melvin.
Melvin, Mann, siehst du nicht, wie schlimm mein Kopf blutet?
Das war ein Junge. Du bist ein Witz. Ein kleiner Junge hat dich aufs Kreuz gelegt.
Oh, Sirenen, super.
Tja, trauriger Tag für die Bullen. Das würde einen Nahkampf Mann gegen Mann geben. Er würde bis zum letzten Augenblick sitzen bleiben, beobachten, wie sie anrückten, und dann ein stummes Todesmantra sprechen, das all seine Lebenskraft in den Fäusten konzentrierte.
Er saß da und dachte an seine Fäuste. Sie waren riesige Granitblöcke. Jeder ein Pitbull. Er versuchte sich aufzurappeln. Irgendwie funktionierten seine Beine nicht. Er hoffte, die Bullen wären bald da. Sein Kopf tat ihm echt weh. Wenn er das da oben anfasste, bewegte sich alles. Es war, als hätte er eine Mütze aus geronnenem Blut auf. Das musste genäht werden. Hoffentlich würde es nicht allzu wehtun. Würde es aber wahrscheinlich.
Wo war die Bohnenstange?
Ah, da war er.
Ragte über ihm auf, verdeckte die Sonne, mit hochgerecktem Stein, schrie irgendwas, das er nicht verstehen konnte, weil es so in seinen Ohren rauschte.
Dann sah er, dass der Junge den Stein gleich auf ihn niedersausen lassen würde. Er schloss die Augen und wartete, ganz und gar nicht im Frieden, er spürte, wie die ersten Anzeichen einer entsetzlichen Angst in ihm hochkamen, und wenn diese Angst weiter so schnell wachsen würde, dann gab es, das wurde ihm in einem Geistesblitz klar, einen Namen für den Ort, wo er dann wäre, und der lautete Hölle.
Alison stand am Küchenfenster. Sie hatte sich in die Hose gemacht. Was okay war. Das taten Menschen. Wenn sie voll Schiss hatten. Sie bemerkte es, als sie anrief. Ihre Hände hatten so krass gezittert. Taten sie immer noch. Ein Bein machte so klopf-klopf. Gott, was der für ein Zeug zu ihr gesagt hatte. Er hatte sie geboxt. Erst Knuff, dann Kniff. Sie hatte einen fetten blauen Flecken auf dem Arm. Wie konnte Kyle immer noch da draußen sein? Aber da war er, in seinen albernen Shorts, so selbstsicher, dass er herumhüpfte, Hände über dem Kopf verschränkt wie ein Boxer aus so einem süßen Paralleluniversum, wo ein dermaßen magerer Junge echt einen Kampf gegen einen Kerl mit Messer gewinnen konnte.
Moment.
Seine Hände waren nicht verschränkt. Er hielt den Stein hoch und schrie den Kerl an, der auf Knien vor ihm lag, wie der Gefangene mit verbundenen Augen, den sie auf diesem Video in Geschichte gesehen hatten, wo ihn gleich so ein total förmlicher Helm-Typ mit seinem Schwert köpfen würde.
Kyle, nicht, flüsterte sie.
Noch Monate später hatte sie Albträume, in denen Kyle den Stein niedersausen ließ. Sie stand auf der Veranda und versuchte seinen Namen zu schreien, aber kein Ton kam raus. Und der Stein sauste nieder. Dann hatte der Kerl keinen Kopf mehr. Der Schlag löste buchstäblich seinen Kopf auf. Dann kippte sein Körper zur Seite, und Kyle drehte sich zu ihr um, mit todunglücklichem Blick, so, Mein Leben ist gelaufen. Ich hab jemanden umgebracht.
Wie kam es bloß, fragte sie sich manchmal, dass wir im Traum oft die einfachsten Dinge nicht tun können? So, ein weinendes Kätzchen steht mitten in Glasscherben, und du willst es hochnehmen und ihm die Scherben von den Pfoten streichen, aber das kannst du nicht, weil du einen Ball auf dem Kopf balancierst. Oder du fährst, und da ist dieser alte Knacker auf Krücken, und du sagst so zu Mr Feder, deinem Fahrlehrer, Soll ich ausweichen? Und er so, Ähm, würd ich sagen. Aber dann hörst du es fett scheppern, und Feder schreibt ein Minus in sein Buch.
Manchmal wachte sie aus dem Traum mit Kyle weinend auf. Letztes Mal waren Mom und Dad schon da und sagten, So war es gar nicht. Weißt du noch, Allie? Wie ist es passiert? Sag es. Sag es laut. Allie, kannst du Mommy und Daddy sagen, wie es wirklich passiert ist?
Ich bin rausgelaufen, sagte sie. Ich hab gebrüllt.
Genau, sagte Dad. Du hast gebrüllt. Gebrüllt wie ein Sieger.
Und was hat Kyle gemacht?, fragte Mommy.
Den Stein hingelegt, sagte sie.
Euch Kindern ist was Schlimmes passiert, sagte Dad. Aber es hätte schlimmer kommen können.
So viel schlimmer, sagte Mom.
Aber euch Kindern ist es zu verdanken, sagte Dad, dass es nicht schlimmer kam.
Das habt ihr so gut gemacht, sagte Mom.
Großartig gemacht, sagte Dad.
GESTELL
Jedes Jahr zu Thanksgiving strömten wir abends nach draußen, hinter Dad her, der den Anzug vom Weihnachtsmann auf die Straße zerrte und über eine Art Kruzifix drapierte, das hatte er im Garten aus Metallstangen gebastelt. In der Super-Bowl-Woche hatte das Gestell ein Football-Trikot an und Rods Helm auf, und Rod brauchte das Okay von Dad, wenn er den Helm runternehmen wollte. Am 4. Juli war das Gestell Uncle Sam, am Veteranentag ein Soldat, zu Halloween ein Gespenst. Das Gestell war Dads einziges Zugeständnis an den Übermut. Wir kriegten immer jeder nur einen Wachsmalstift aus der Schachtel. Heiligabend kreischte er Kimmie an, als sie einen Apfelschnitz liegenließ. Wenn wir Ketchup aufs Essen taten, saß er uns im Nacken und sagte immer, Reicht reicht reicht. Auf Geburtstagsfeiern gab es nur Cupcakes, kein Eis. Als ich zum ersten Mal ein Mädchen mit nach Hause brachte, sagte sie, Was ist denn mit deinem Dad und diesem Gestell da los?, und ich saß blinzelnd da.
Wir zogen zu Hause aus, heirateten, bekamen selber Kinder und stellten fest, dass die Saat der Bosheit auch in uns aufging. Inzwischen schmückte Dad das Gestell aufwändiger, und die Logik war schlechter zu erkennen. Am Tag des Murmeltiers drapierte er irgendein Fell darüber und schleppte ein Flutlicht nach draußen, damit es einen Schattenwurf gab. Als Chile von einem Erdbeben erschüttert wurde, legte er das Gestell auf die Seite und sprühte einen Erdspalt auf den Boden. Mom starb, und er verkleidete das Gestell als Tod und hängte Babyfotos von ihr an die Querstange. Wenn wir zu Besuch kamen, fanden wir merkwürdige Talismane aus seiner Jugend um den Fuß des Gestells arrangiert: Medaillen aus der Army, Theaterkarten, alte Sweatshirts, Make-up-Tuben von Mom. Einen Herbst strich er das Gestell hellgelb an. Im selben Winter bedeckte er es mit lauter Wattebäuschen, um es zu wärmen, und sorgte auch für Nachkommen, indem er sechs Stangenkreuze in den Gartenboden rammte. Er zog Bindfäden zwischen dem Gestell und den Kreuzen und klebte Briefe daran, in denen er sich entschuldigte, Irrtümer zugab, um Verständnis bat, alles mit manischer Hand auf Karteikarten geschrieben. Er malte ein Schild mit LIEBE drauf und hängte es ans Gestell, dann noch eins mit VERGEBUNG?, und dann starb er in der Diele, bei laufendem Radio, und wir verkauften das Haus an ein junges Paar, das das Gestell herausriss und für die Müllabfuhr an die Straße stellte.
WELPE
Schon zweimal hatte Marie auf das Funkeln der Herbstsonne auf dem perfekten Maisfeld hingewiesen, denn durch das Funkeln der Herbstsonne auf dem perfekten Maisfeld kam ihr ein Spukhaus in den Sinn – nicht ein Spukhaus, das sie selbst einmal gesehen hätte, sondern das mythische, das ihr manchmal im Geist erschien (mit angrenzendem Friedhof und Katze auf dem Zaun), immer wenn sie das Funkeln der Herbstsonne sah, auf dem perfekten usw. usf. –, und sie wollte sichergehen, dass, falls die Kinder ein entsprechendes mythisches Spukhaus hatten, das ihnen im Geist erschien, immer wenn sie das Funkeln der usw. usf. sahen, es ihnen jetzt einfiel, damit sie es alle gemeinsam erleben konnten, wie Freunde, wie Studienfreunde auf einem gemeinsamen Trip, minus