Was soll denn aus ihr werden? - Teil 30
Dori ihre Frage vorbrachte. »Ach, Dori, eile nur nicht«, bat sie ängstlich, »nachher kannst du ja nicht mehr zurück. Denk’ doch noch recht über alles nach, es könnte dir doch noch anders werden mit der Zeit, mach nur nicht so schnell fertig.«
Dori fielen die Verzagtheit und die Angst der Mutter als eine schwere Last aufs Herz. Sollte die Nonna wirklich recht haben? Würde die Zeit kommen, da sie sich selbst bittere Vorwürfe machen müßte um ihrer Mutter willen? Hoffte diese doch darauf, daß ihre Gedanken sich ändern, wenn sie es auch nie ausgesprochen hatte? War es wirklich ihre Pflicht gegen die Mutter, daß sie so etwas tun sollte – so etwas – mit Niki Sami ihr ganzes Leben zubringen, für immer – immer? –
Dori sprang auf, sie konnte dem Gedanken nicht mehr stille halten, sie lief zur Tür hinaus, ins Freie. Da kehrte sie in Hast noch einmal zurück und rief in flehendem Ton in die Stube hinein: »Sag es ihm, Mutter, daß ich nicht kann. Denn ich kann nicht! Ich kann nicht!« Sie stürzte hinaus.
Gleich darauf trat Niki Sami herein; Dori mußte ihn noch erblickt haben. »Grüß Gott, Base, war das Dori, die den Fußweg hinunterrannte, eben jetzt, als ich auf der Straße herankam?« fragte er schnell.
»Ja, ich denke, es war sie. Setz dich, Vetter«, sagte Dorothea, ihn begrüßend.
»Nein, nein, dann will ich sie zurückholen. Ich will nun einmal von ihr selbst hören, was sie sagt. Die Basen drunten haben mir so verworrenes Zeug gesagt, von dem glaub’ ich kein Wort.«
Niki Sami wollte wieder zur Tür hinaus, aber Dorothea hielt ihn fest. Sie sagte, Dori laufe gewiß so drauf los, daß er sie doch nicht mehr erreiche, aber sie selbst könne ihm die Antwort geben, es sei noch besser so, daß sie beide so ganz ruhig miteinander reden. Dem Niki Sami war es auch recht so. Er setzte sich zu Dorothea hin. Sie begann: »Sieh, Vetter, es wird mir schwer, dir es zu sagen, aber Dori kann sich nicht zu der Heirat entschließen.«
In ungläubiger Verwunderung riß Niki Sami seine Augen auf. »Das wird wohl nicht so ernst gemeint sein«, sagte er dann. »Habt Ihr denn der Tochter nichts von allem gesagt, was ich Euch aufgetragen habe, wie sie es bei mir haben kann und was dann alles ihr Eigentum wird?«
»Sie fragt dem allem wenig nach, es nützt nichts, ihr viel davon zu sagen«, entgegnete Dorothea.
»Freilich nützt’s, wenn sie’s nicht weiß. So dumm ist die noch lang nicht, daß sie nicht verstünde, was es ist, wenn man ein Leben führen kann, wie man will und daß man sich wohl sein lassen kann, wenn man hat, was man braucht dazu. Soviel ich von der Nonna weiß, habt Ihr nicht zuviel zu brauchen, Base.« Niki Sami rasselte unwillkürlich ein wenig in seinen Taschen.
»Wenn aber Dori nicht mehr und nichts anderes begehrt, als was sie sagt, so hat sie eben genug und fragt dem, was drüber hinausgeht, nicht viel nach, Vetter.«
»Daran seid Ihr schuld! Das ist, weil sie’s nicht besser kennt und weiß«, warf Niki Sami vorwurfsvoll hin. »Da hat die Base Marie Lene recht, Ihr habt Eure Tochter nur so aufwachsen lassen, wie eine Rübe im Feld, Ihr könntet’s doch besser wissen.«
Jetzt ging ein leises Lächeln über Dorotheas Angesicht: »Es scheint mir doch, die Tochter sei bei dem Wachstum nicht so verfehlt ausgefallen, da du sie durchaus zur Frau haben willst, Niki Sami.«
»Daß sie verfehlt sei, hab’ ich ja nicht gesagt, und anstatt so etwas Unnützes zu sagen, Base, sagt mir lieber, was wir nun machen wollen, daß Eure Tochter zum Verstand kommt und einmal ja sagt! So kann man vorwärts machen.«
»Niki Sami«, sagte Dorothea jetzt in ernster Freundlichkeit, »ich glaube, du tust besser, diesen Gedanken ganz fallen zu lassen. Ich glaube, ihr seid nicht füreinander bestimmt, du und Dori. Wir wollen gute Freundschaft halten und uns mit dir freuen, wenn du dann eine andere Frau findest und sie uns als liebe Base zuführst.«
»Davon will ich nichts wissen, ich will nun einmal die und keine andere, und das wird wohl zu erreichen sein. Ich will dann in ein paar Tagen wiederkommen und mit ihr selber reden. Die wird sich wohl noch anders besinnen, es meint jede, sie müsse zuerst ein wenig dergleichen tun, als wolle sie nicht, das weiß man schon. Lebt wohl, Base.«
Dorothea wollte dem Vetter noch einmal begreiflich machen, daß bei seinem Wiederkommen dieselbe Antwort erfolgen werde, aber er wollte nichts mehr hören, er ging seiner Wege.
Als Dori bei ihrem Austritt aus dem Hause den Niki Sami heranschreiten gesehen hatte, war sie ohne Aufenthalt den Fußweg hinunter, der Brücke zugeeilt, dann den Berg hinauf gerannt, bis zur freien Höhe; wo der Pfad eine kleine Weile eben dahingeht, und wo sie so oft auf alle Seiten hin all den leuchtenden Blumen nachgelaufen war. Hier schaute sie sich um, Niki Sami folgte ihr nicht nach, wie sie befürchtet hatte. Aber nach den Blumen schaute sie nicht aus. Sie ging weiter, den Waldweg hinauf, und trat in ihr Sträßchen ein, das sie liebte, auf dem sie immer so gern dahingewandert war. Heute sah sie nicht darauf, sie schaute nicht um sich, sie ging immer zu. Bei der wohlbekannten Villa hob sie, wie aus Gewohnheit, den Kopf auf. In dem kleinen Garten war niemand, es war still ringsum. Sie ging an den Gasthäusern von Vulpera vorüber, der Straße zu, die zum Kurhaus hinunter führt. Schon war sie auf den schmalen Fußpfad getreten, um dem rauschenden Inn entlang zu gehen. Da besann sie sich: Niki Sami hatte ihr einmal gesagt, im Heimweg nehme er immer den Waldweg, denn er trinke gern im Vorbeiweg ein Glas Wasser in der Trinkhalle. Sie kehrte schnell um, sie wollte nicht mit ihm zusammentreffen. Rasch ging sie über die Brücke und am Garten beim Kurhaus hin.
»Nun, Dori, wie wär’s, wenn man einmal wieder einen alten Freund begrüßte?« rief es hinter den Bäumen hervor ihr zu. Es war Melchiors Stimme.
Dori kam einige Schritte zurück und trat in den Garten ein. Der alte Gärtner schnitt ganz rüstig an seinem Gesträuch herum, aber er war nicht allein. Vor ihm stand, sehr geläufig an ihn heran redend, ein dünn geschnürtes Persönchen mit einem weißen Tellerchen schräg auf dem Kopfe schwebend, was wohl ein Mützchen vorstellte. Breite Bänder waren daran befestigt und flatterten im Winde hoch auf. Ein weißes, oval geformtes Fetzchen mit einer Broderie eingefaßt, das wohl eine Schürze bedeuten sollte, flatterte ebenfalls wie ein Fähnchen hin und her. Dori wollte sich gleich wieder entfernen, als sie Melchiors fremdartige Bekannte erblickte, aber er machte ihr ein Zeichen, daß er nicht lange mehr in Anspruch genommen sein werde, und daß sie bleiben sollte. Gleich hinter dem Gesträuch im Schatten des Baumes stand ein Kinderwagen; Dori nahte sich diesem. Es saß ein kleiner, blasser Junge darin, der mit großen, ernsthaften Augen durch das Gesträuch zu dringen suchte, er wollte offenbar nichts von dem Gespräch der beiden Stehenden verlieren. Dori trat zu ihm heran. Es war kein kleines Kind, das noch im Wagen gestoßen werden mußte, das konnte man dem Ausdruck des Jungen wohl entnehmen. Die tiefliegenden Augen in dem schmalen Gesichtchen schauten so nachdenklich und forschend vor sich hin, als wären es diejenigen eines alten Männchens. Jetzt erblickte Dori zwei kleine Krücken, die neben dem Jungen auf dem Wagen lagen.
»Bist du krank. Kleiner?« fragte sie mitleidig, sich über den niedern Wagen bückend und liebevoll die blassen Wangen des Jungen streichelnd.
Er schaute ganz erstaunt zu ihr auf; Doris Weise mußte ihn in Verwunderung setzen. »Nein«, sagte er dann, »ich bin immer so. Hör, was sie jetzt wieder sagt.«
»Nein, Herr Gärtner, so denkt kein vernünftiger Mensch mehr«, fuhr das Mädchen auf der andern Seite des Gesträuchs mit lauter Stimme fort; »eine solche Frau hat Besseres zu tun, als einen kleinen Krüppel zu verpflegen, das wird ihr kein Mensch zumuten.«
»Aber sie ist ja die Mutter –«, unterbrach Melchior hier die Rede.
»Wenn sie aber viel Besseres und Größeres tun kann«, fuhr die Sprechende fort, »und sie Studien in dieser und jener Wissenschaft macht, wie wenige Frauen und auch Männer dazu es zu tun imstande sind, kann sie doch viel Größeres leisten, als wenn sie sich mit dem kleinen Krüppel abgibt. Ich kann Ihnen sagen, daß unser Herr selbst erstaunt ist über seine Frau und sagt, sie wisse soviel, daß man zwei Professoren aus ihr machen könnte. Sie mußte auch nur hierher, die Kur zu machen, weil sie soviel gearbeitet hat, der Arzt hat es befohlen. Der Herr macht unterdessen eine Reise mit den beiden ältern Söhnen, das sind zwei hübsche, gesunde Jungen. Der Arzt wollte, man solle den Kleinen mit hierher nehmen, die Luft müßte ihm gut tun. Aber was! Gut tun! Der ist und bleibt ein Krüppel! Was es für die Dame ist, einen solchen Jungen zu haben, kann man denken, sie ist froh, wenn ich solang wie möglich hier mit ihm draußen bleibe, so muß sie ihn doch nicht um sich haben.«
»Es ist gut, daß er eine so freundliche Pflegerin hat, da ihm die Mutter fehlt«, sagte Melchior trocken.
Die so bezeichnete Pflegerin blickte den Gärtner etwas zweifelhaft an, sie wußte offenbar nicht ganz sicher, ob seine Worte ernst gemeint seien.
»Sie ist gar nicht freundlich, sie ist so bös wie eine Teufelin«, ertönte plötzlich eine aufgebrachte Stimme durch das Gebüsch und mit funkelnden Augen beugte der lahme Junge sich vorwärts, um recht mit seiner Stimme durchzudringen.
»Da hören Sie’s, das hat man zum Dank!« rief