Was soll denn aus ihr werden? - Teil 22
schon«, sagte Niki Sami, in seinem störrigen Ton fortfahrend, »aber sie könnte einem auch zeigen, daß sie versteht, was man meint, und daß sie will.«
»Sie ist keine von denen, die anfangen, und du mußt dich noch recht zusammennehmen, wenn du nicht willst, daß sie dir antworte, wie du’s nicht gerne hörst«, sagte mit Nachdruck, der Pate.
»Ja, auch noch«, rief Niki Sami laut auflachend; »komm ich denn mit leeren Händen? Wo ist denn eine, die einem Sitz und Haus und Hof, wie wir sie haben, den Rücken kehrt?«
»So mach vorwärts, sag’ ich, Besseres kannst du nichts tun«, wiederholte der Pate, »du wirst dich doch zu fragen getrauen?«
»Getrauen! Getrauen!« wiederholte Niki Sami mit Hohn. »Wenn ich mich nicht zu fragen getraute, so möchte ich nur den sehen, der es täte. Morgen schon geh ich nach Schuls hinunter und die Antwort könnt Ihr noch vor Sonnenuntergang hören.«
»Gut, recht so, stell es so an, daß man sie gern hört!« damit stand der Pate auf, um sich in sein Schlafgemach zurückzuziehen.
Zwölftes Kapitel
Dori hatte eben ein vollgepacktes Körbchen an den Arm genommen und den runden Hut von der Wand heruntergeholt. Es war ein hellsonniger Nachmittag, heute konnte sie den Schattenhut brauchen. »Wenn du nur auch den Weg findest, Dori! Wäre nicht das lange Bergansteigen, ich käme doch mit dir, aber mein Husten macht mir so eng«, sagte Dorothea.
»Keine Rede davon, Mutter!« wehrte Dori, »den Weg find ich schon, und deinen Husten mußt du erst einmal wieder verlieren, nie hast du so etwas gehabt bei uns daheim. Und ich bin auch gar nicht allein auf dem Wege, ich geh’ mit einer solchen Freude im Herzen und so vielen Gedanken im Kopf, daß mir der Weg ganz kurz vorkommen wird. Du weißt nicht, was mir heute unser Herr Doktor wieder Schönes gelesen hat und was er mir nachher von der Geschichte Italiens alles erzählt hat, als ich ihm das lange Gedicht über Italien vorgelesen hatte. Er verstand es natürlich viel besser als ich und hatte mir tausend Dinge darin zu erläutern. Er ist zu gut, daß er sich so mit mir abgibt, alle Augenblicke muß er wieder neu entdecken, wie furchtbar dumm und unwissend ich bin. Manchmal, wenn wir irgend etwas danach lesen, kommt mit einemmal ein so trauriger Ausdruck auf sein Gesicht, daß es mir zu leid tut; vielleicht hattest du doch recht mit dem Kummer. Ich möchte dann so gern ihn fragen, ob ich denn nicht auch irgend etwas für ihn tun könnte, das eine Freude für ihn wäre, etwas, das ihm das Herz leicht und froh machen könnte! Er gibt mir so viel und macht mich so reich und froh! Aber ich kann gewiß nie in meinem Leben etwas für ihn tun.«
»Du wirst doch nie so etwas zu ihm sagen, das darfst du nicht tun«, sagte Dorothea ängstlich; »er will gewiß nicht, daß man sich um seine persönlichen Sachen kümmere.«
»Nein, nein, das tu’ ich ja nicht, Mutter! Nur keine Sorge, ich weiß viel zu gut, daß er denken müßte, es sei frech, daß eine solche Null, wie ich bin, etwas für ihn tun wollte. Nun will ich aber gehen.« Damit machte Dori rasch die Tür auf und stieß beinahe mit Niki Sami zusammen, der eben durch die Öffnung eintreten wollte.
»Tu du nur zahm! Wohin willst du denn schon?« fragte er, den Ausgang versperrend.
»Laß mich hinaus, ich habe schon zu lang gezögert«, sagte Dori eilig. »Ich muß nach Avrona hinauf, es ist Zeit, dah ich fort komme.«
»Ich komme mit«, entgegnete Niki Sami schnell, machte ganze Wendung und rasch ging es die Halde hinab, über die hölzerne Brücke und weiter, dem Waldwege zu. Dori eilte voran, der Begleiter lief hinterher, grollend, daß ein solcher Schritt angeschlagen wurde.
»Du wirst wohl zahmer tun, wenn wir im Wald sind und es so steil bergauf geht, daß man’s lieber besser hätte«, rief Niki Sami der Eilenden zu, als sie nun auf dem schmalen Waldweg angekommen waren. Dori lief zu. Nun ging es durch den Wald den Berg hinan. Aber jetzt rannte Dori nicht mehr gerade aus. Auf einmal stürzte sie rechts in den Wald hinein und schrie vor Freuden: »O, diese Anemonen! O, die herrlichen Blumen! Und diese Fülle! O könnt ich sie doch mitnehmen! Und dort, was sind denn das für Blumen? Wie weiße Nelken, die muß ich sehen!«
Schon war Dori wieder über den Weg gerannt und auf der anderen Seite zwischen den Bäumen verschwunden. »O, hätt’ ich doch den Korb leer! Alle nahm’ ich mit, alle!« schrie sie wieder hinter den Bäumen hervor. »O und die blauen Veilchen hier noch, so viele! So viele!«
»Komm doch einmal aus dem Gestrüpp heraus«, rief Niki Sami ärgerlich, »so kommt man ja nicht vorwärts!«
»Du hast recht, ich komme«, rief Dori zurück, rannte aber noch nach allen Seiten durch den Wald hin und kam erst weit oben auf den Pfad zurück. Nun hatte Niki Sami erst recht nachzukeuchen, denn er hatte auf Dori gewartet und nicht gesehen, wie diese trotz ihrer Umwege so weit hinaufkam, dah er sie plötzlich hoch über sich erblickte. Ganz heiß und voller Verdruß kam er oben auf der Wiese an, wo nahe am Waldhaus Dori seiner wartete, da und dort noch nach den jungen Wiesenblümchen auslaufend.
»Jetzt wollen wir einmal miteinander gehn, so kann man etwas sprechen zusammen«, sagte Niki Sami, oben angekommen sich die Stirne wischend, »so ist das Spazieren mit dir keine Freude.«
»Nicht? So komm, nun muß es gleich wieder in den Wald hineingehen. Mich wundert, was es dort wieder für Blumen hat«, sagte Dori, aus den Weg hinaustretend, den sie wohl kannte und liebte, der vom Waldhaus vorüber zu der Villa führte, in deren Garten Dori an den lieblichen Frühlingsabenden oft lange Gespräche mit ihrem Freunde Melchior geführt hatte.
»Nicht dorthin, hier geht der Weg nach Avrona hinauf«, sagte Niki Sami, als Dori, dem wohlbekannten Garten zusteuernd, immer vorwärts ging.
»Ach, da geht der Weg hinauf, das hätte ich nicht gewußt«, sagte Dori, in den schmalen Wiesenpfad eintretend. »Ich wäre bis zur Villa gegangen, dort arbeitet der Gärtner Melchior, der hätte mich weisen müssen. Aber es ist besser so, mit ihm habe ich immer so viel zu reden, daß die Zeit vergeht, ohne daß ich’s merke.«
»Was weiß denn auch dieser alte Knollenschaufler zu reden, daß du ihm nur zuhören magst«, sagte Niki Sami voll Ärger.
»Was der weiß? Was der weiß!« wiederholte Dori kampfbereit. »Mehr weiß er und viel Besseres, als mancher Junge, der meint, er stehe haushoch über dem Alten!«
»Kennst du denn so manchen Jungen hier herum?« fragte Niki Sami forschend.
»Nein, nicht manchen«, gab Dori zurück.
»Wen kennst du denn?« forschte der Vetter weiter.
»Weißt du, Niki Sami, es heißt, man kenne keinen, mit dem man nicht einen Scheffel Salz zusammen gegessen hat«, warf Dori hin.
»Dori«, sagte Nili Sami in vertraulichem Ton, »sag’ mir nun einmal etwas! Mit wem möchtest du gern so lang zusammen sein, bis man einen Scheffel Salz miteinander gegessen hätte, so daß man sich dann auch genug kennen würde?«
»Gerade mit dem Gärtner Melchior«, entgegnete Dori ein wenig lachend, »so könnte ich denn doch einmal genug reden mit ihm.«
Niki Sami zuckte verächtlich und voller Ärger die Achseln. Sie waren nun auf dem Zickzackwege angekommen, der durch den Wald gegen Avrona hinaufsteigt. Dori fing wieder zu laufen an. Aber diesmal war ihr Begleiter entschlossen, nicht zurückzubleiben. Er mußte aber tüchtig ausziehen, um nachzukommen, und die starken Bewegungen hatten ein anhaltendes Rasseln in seinen schweren Taschen zur Folge. Plötzlich warf Dori ungeduldig den Kopf zurück und rief: »Niki Sami, sobald ich heimkomme, fange ich einen Geldbeutel für dich zu stricken an, so gibt es nicht mehr bei jedem Schritt, den du tust, das unausstehliche Gerassel in deinen Taschen.«
»Das Gerassel ist nicht so unausstehlich für den, der es in der Tasche hat, das kannst du schon noch erfahren, und wenn du einen Geldbeutel machen willst, so mach ihn fest und groß genug, sonst kann ich ihn nicht brauchen.« Niki Sami kicherte vergnüglich über diesen Einfall.
Bei der Bank auf dem freien Punkt, wo die Aussicht weit ins Tal hinab und hinüber nach der grünen Höhe von Fettan offen liegt, stand Dori still und schaute rund um. Eine Glocke erschallte durch die große Stille von Fettan herüber. Dori lauschte. Ein fernes Glockenspiel ertönte durch ihr Inneres. Sie hörte über sich die vollen Wipfel der Kastanienbäume rauschen und schaute durch die sonnig leuchtenden Zweige in die tiefe Bläue des Himmels hinein. Dori war weit weg mit ihren Gedanken, was sie schaute, war nicht hier. Jetzt hob sie den Kopf empor. Der Himmel drüben über Fettan war schon wieder etwas grau geworden, die schwarzen Tannen erhoben ihre dunklen Spitzen auf dem grauen Grunde. Die Glocke war verhallt.
»Wie war es so schön!« fagte Dori, wie erwachend vor sich hin.
»Nicht so gar«, meinte Niki Sami. »Sitz auf die Bank nieder, wir wollen einmal ein Wort reden miteinander.«
Aber Dori war schon wieder auf dem Wege und stieg aufwärts. »Wo denkst du hin, wir kämen ja viel zu spät hinauf«, rief sie zurück. »Komm nur weiter, wir können ja genug miteinander reden auf dem Weg.«
Aber der Weg wurde immer noch ein wenig steiler und Dori lief wie ein Reh bergan. Der Vetter, der nicht so leicht war, wischte sich alle Augenblicke die großen Tropfen aus dem Gesicht und hatte genug mit dem Atemholen zu tun, zu reden hatte er selbst keine Lust mehr.
Da lagen endlich die wenigen Wohnungen von Avrona an der grünen Berghalde vor ihnen. Eben fiel ein freundlicher Sonnenstrahl auf die grauen