▶ JETZT! Kostenlos lesen Bestseller-Bücher online
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
Suche Erweitert
Sign in Sign up
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
  • Adult
  • Action
  • Bestseller
  • Romance
  • Fantasy
  • Thrillers
  • Science-fiction

Untreue - Kapitel 2

  1. Home
  2. Untreue
  3. Kapitel 2
Prev
Next

kostenloslesen.com gut, dass so über uns gedacht wird, weil wir so unseren Lebensstil über mehr als fünf oder sechs Jahrhunderte bewahren konnten, ehe die Barbaren über die Alpen kamen und unser Land einnahmen: mit ihren elektronischen Wunderausrüstungen, den Appartements mit winzigen Schlafzellen und überdimensionierten Salons zu Repräsentationszwecken, mit ihren überschminkten Frauen, mit Männern, die mit ihrem lauten Gerede die Nachbarn stören, und mit Jugendlichen, deren Kleidungsstil Rebellion anzeigen soll, die aber eine Heidenangst vor dem haben, was Vater oder Mutter davon halten könnten.

Sollen doch alle weiterhin der Meinung sein, dass wir Schweizer nur Käse, Schokolade und Uhren produzieren. Sollen sie doch glauben, dass es in Genf an jeder Ecke eine Bank gibt. Wir sind nicht im mindesten daran interessiert, dieses Bild von uns zu korrigieren. Wir sind glücklich ohne die Invasionen der Barbaren. Wir sind bis an die Zähne bewaffnet – da bei uns Militärdienst Pflicht ist, hat jeder wehrdienstpflichtige Schweizer ein Gewehr zu Hause, aber man hört nur relativ selten davon, dass jemand damit auf einen anderen geschossen hätte.

Wir haben seit Jahrhunderten nichts verändert und sind glücklich damit. Wir sind stolz darauf, neutral geblieben zu sein, während Europa seine Söhne in sinnlose Kriege geschickt hat.

Wir freuen uns, niemandem Erklärungen schuldig zu sein, warum in einigen Vierteln von Genf die Zeit offenbar stehengeblieben ist und weiterhin alte Damen ihre Tage in Cafés aus der Jahrhundertwende verbringen.

»Wir sind glücklich« trifft es nicht ganz. Richtiger wäre: Alle sind glücklich, außer mir, die ich in diesem Augenblick auf dem Weg in die Redaktion bin und darüber nachdenke, was bloß mit mir los ist.

Noch ein Tag, an dem wir uns auf der Lokalredaktion, für die ich arbeite, redlich bemühten, neben der Berichterstattung über die üblichen Unglücksfälle und Verbrechen (wie einen gewöhnlichen Verkehrsunfall, einen noch nicht einmal bewaffneten Raubüberfall und ein Großaufgebot der Feuerwehr, die wegen eines im Ofen vergessenen Bratens ausrücken musste und dabei ein ganzes Appartement unter Wasser setzte) Themen zu finden, über die es sich zu berichten lohnt.

Anschließend zurück nach Hause, kochen, Tisch decken, die Familie darum versammeln, gemeinsam das Tischgebet sprechen.

Noch ein Abend, an dem auch nach dem Abendessen jeder seinen Pflichten nachgeht – der Vater hilft den Kindern bei den Hausaufgaben, die Mutter räumt die Küche auf und legt das Geld für die Hausangestellte bereit, die früh am nächsten Morgen wiederkommt.

In den vergangenen Monaten gab es sehr wohl Momente, in denen ich mich wohl fühlte und den Eindruck hatte, ein sinnvolles Leben zu führen. Ich war mit mir im Reinen, mein Mann zeigte sich besonders liebevoll und aufmerksam, und unser Zuhause schien von einem ganz eigenen Licht erfüllt zu sein. Wir waren wie eine Bilderbuchfamilie.

Und dennoch breche ich immer wieder grundlos unter der Dusche in Tränen aus. Ich weine im Bad, weil mich da niemand hören und mir die verhasste Frage stellen kann: »Ist bei dir alles in Ordnung?«

Ja, warum sollte es das nicht sein? Seht ihr denn irgendwelche Anzeichen dafür, dass in meinem Leben etwas falschläuft?

Nichts dergleichen.

Tagsüber empfinde ich keine Begeisterung für mein Leben.

Und nachts macht mir mein Leben Angst.

Es gibt die glücklichen Bilder der Vergangenheit und alles das, was hätte sein können und nicht gewesen ist.

Da ist die unerfüllte Sehnsucht nach Abenteuern.

Die Angst, nicht zu wissen, was mit meinen Söhnen geschehen würde, wenn mir etwas zustoßen sollte.

Und dann beginnen die Gedanken um alles Negative zu kreisen, immer dasselbe, als würde in der Zimmerecke ein Dämon lauern, um sich bei erstbester Gelegenheit auf mich zu stürzen und mir zu sagen, dass das, was ich »mein Glück« nenne, nur ein vorübergehender Zustand sei. Aber wusste ich das denn nicht schon immer?

Ich möchte mich ändern. Ich muss mich ändern. Heute in der Redaktion reagierte ich übertrieben gereizt, nur weil ein Praktikant ein wenig zu lange brauchte, um das Material zu beschaffen, um das ich ihn gebeten hatte. Eigentlich bin ich gar nicht so, aber ganz allmählich verliere ich den Kontakt zu mir selber.

Es ist Unsinn, dem besagten Schriftsteller und dem Interview die Schuld zu geben. Das liegt Monate zurück. Er hat nur den Schlund eines Vulkans geöffnet, der jetzt jeden Augenblick ausbrechen und Tod und Verderben über mich bringen kann. Wäre der Schriftsteller nicht gewesen, wären ein Film, ein Buch oder ein paar zufällig gewechselte Sätze die Auslöser für diese Krise geworden. Offenbar gibt es Menschen wie mich, in denen sich über Jahre immer mehr Druck aufbaut, bis eines Tages der Vulkan in ihnen ausbricht und sie durchdrehen.

Bis sie sagen: »Mir reicht’s. Ich will nicht mehr.«

Einige bringen sich um. Andere lassen sich scheiden. Wieder andere gehen nach Afrika, um den Armen zu helfen und die Welt zu retten.

Aber ich kenne mich. Ich weiß, dass meine einzige Reaktion sein wird, meine Gefühle zu ersticken, bis ein Krebs mich von innen auffrisst. Denn ich bin davon überzeugt, dass die meisten Krankheiten das Ergebnis unterdrückter Gefühle sind.

Nachts um zwei Uhr wache ich auf und starre an die Decke, obwohl ich weiß, dass ich am nächsten Tag früh aufstehen muss (was ich auf den Tod nicht ausstehen kann). Anstatt an etwas Konstruktives zu denken, wie beispielsweise: »Was passiert da gerade mit mir?«, kann ich meine Gedanken einfach nicht ordnen. Manchmal, wenn auch nicht häufig, frage ich mich, ob ich nicht in psychiatrische Behandlung gehöre. Was mich davon abhält, mich einliefern zu lassen, sind weder mein Mann noch meine Arbeit, sondern die Kinder. Sie würden überhaupt nicht verstehen können, was in mir brodelt.

Meine Gefühle sind jetzt intensiver. Ich denke über meine Ehe nach, in der Eifersucht nie ein Thema war. Aber wir Frauen haben da einen sechsten Sinn. Möglicherweise hat mein Mann doch eine andere gefunden, und ich spüre es unbewusst. Allerdings gibt es keinen Grund, ihn zu verdächtigen.

Ist das nicht absurd? Habe ich von allen Männern der Welt nicht den einzigen absolut perfekten geheiratet? Er trinkt nicht, er geht abends nicht allein aus, trifft sich auch nie mit Freunden zu reinen Männerabenden. Der private Teil seines Lebens dreht sich ganz und gar um seine Familie.

Es könnte ein Traum sein, wäre es für mich nicht ein Alptraum. Weil ich fürchte, den enormen Erwartungen, die mein Mann an mich stellt, nicht gerecht werden zu können.

Auch wird mir klar, dass Begriffe wie »Optimismus« und »Hoffnung« und vieles andere, was wir in Ratgebern lesen und das uns helfen soll, das Leben zu meistern, nichts als leere Worte sind. Vielleicht aber sind die Weisen, die diese Begriffe verbreiten, selber noch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und benutzen uns als Versuchskaninchen, um zu sehen, wie wir reagieren.

Heute bin ich mit einer Jugendfreundin zum Mittagessen verabredet.

Sie hat ein japanisches Restaurant vorgeschlagen, von dem ich noch nie gehört hatte, obwohl ich für japanisches Essen schwärme. Angeblich ist es ausgezeichnet, wenn auch etwas weit von der Redaktion entfernt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen. Ich musste zweimal umsteigen und mich zu der Einkaufspassage durchfragen, in der das »ausgezeichnete Restaurant« liegt. Ich finde alles grauenhaft – die Einrichtung, die Papiertischdecken, die fehlende Aussicht. Aber meine Freundin hat trotzdem recht. Es gibt dort eines der besten japanischen Essen, die ich je in Genf genossen habe.

»Ich habe immer im selben Restaurant gegessen, das ich ganz ordentlich, aber nicht besonders fand«, sagt meine Freundin gerade. »Bis mir von einem Bekannten, der bei der diplomatischen Vertretung Japans bei der UNO arbeitet, dieses hier empfohlen wurde. Ich fand die Location so geschmacklos wie du vermutlich auch. Aber die Pächter kochen selber, und das gibt den Ausschlag.«

Ich selbst gehe auch immer in dieselben Restaurants und bestelle immer dieselben Gerichte, denke ich. Nicht einmal da bin ich imstande, ein Risiko einzugehen.

Meine Freundin nimmt Antidepressiva. Das Letzte, was ich möchte, ist, mit ihr über dieses Thema zu reden, denn heute früh bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich selbst nur einen Schritt weit von einer Depression entfernt bin und das nicht hinnehmen will.

Und gerade weil ich mir selber gesagt habe, dass dies das Letzte wäre, was ich gern tun würde, ist es das Erste, was ich mache. Das Unglück anderer hilft einem, wie gesagt, besser mit dem eigenen Leid fertig zu werden.

Oder, anders gesagt: Das Leid wird zu einem wichtigen Forschungs- und Produktbereich und damit natürlich auch zu einem wichtigen Umsatzträger der pharmazeutischen Industrie. Sind Sie traurig? Dann nehmen Sie diese Pille, und es lebt sich wieder leichter.

Ich frage meine Freundin, wie sie sich fühlt. »Es hat zwar lange gedauert, bis die Medikamente endlich wirkten, doch nach und nach gewann ich das Interesse an den Dingen zurück, und die hatten wieder Farbe und Geschmack.«

Ich sondiere vorsichtig, ob meine Freundin bereit wäre, bei einer Artikelserie über Depression für meine Zeitung mitzuarbeiten.

»Das lohnt sich doch nicht. Die Leute teilen heute alles, was sie fühlen, mit den anderen im Internet. Und es gibt Medikamente.«

»Was wird im Internet diskutiert?«, frage ich nach.

»Die Nebenwirkungen der Medikamente. An die Symptome der Krankheit rührt man lieber nicht, aus unbewusster Furcht, sie könnten etwas ›Ansteckendes‹ haben, das heißt, wir könnten plötzlich an uns selbst etwas feststellen, was wir vorher nicht wahrgenommen haben.«

»Weiter nichts?«

»Meditationsübungen. Ich selbst glaube nicht daran. Ich habe sie alle schon ausprobiert, aber es ging mir erst besser, als ich akzeptierte, dass ich ein Problem hatte.«

»Aber hilft es denn nicht zu wissen, dass man nicht allein ist? Tut es nicht allen gut, darüber zu sprechen, was für Gefühle eine Depression auslösen kann?«, bohre ich weiter.

»Ganz und gar nicht. Wer der Hölle entronnen ist, hat überhaupt kein Interesse daran zu wissen, wie das Leben dort drin weitergeht.«

Warum hatte meine Freundin so lange in diesem Zustand verharrt?

»Weil ich nicht wahrhaben wollte, dass ich eine Depression hatte. Und weil meine Freunde, mit denen ich darüber sprach, und auch du, wenn ich dir davon erzählte, meinten, das sei Unsinn, denn Menschen mit wirklichen Problemen hätten keine Zeit, eine Depression zu spüren.«

Es stimmt, das hatte ich tatsächlich gesagt.

Ich lasse nicht locker: Ein Artikel oder ein Post in einem Blog könnte anderen Menschen vielleicht helfen, ihre Krankheit besser zu ertragen und Hilfe zu suchen. Da ich aber nicht depressiv sei und nicht wisse, wie sich das anfühle, könnte sie mir deshalb nicht etwas darüber erzählen?

Meine Freundin zögert. Aber sie kennt mich und ahnt vielleicht etwas.

»Es ist, als befinde man sich in einer Falle. Du weißt, dass du festsitzt, aber es gelingt dir nicht…«

Genau das hatte ich vor ein paar Tagen auch gedacht.

Meine Freundin beginnt, Gemeinsamkeiten zwischen denen aufzuzählen, die einen Besuch in der »Hölle«, wie sie es nennt, bereits hinter sich haben: »Man kommt morgens nicht aus dem Bett. Die einfachsten Arbeiten werden zu Herkulesaufgaben. Man hat Schuldgefühle, weil kein nachvollziehbarer Grund besteht, depressiv zu sein, wo doch so viele andere Menschen auf der Welt wirklich leiden.«

Ich sollte das ausgezeichnete japanische Essen genießen, aber irgendwie schmeckt es mir jetzt nicht mehr so richtig. Meine Freundin fährt fort:

»Apathie. Fröhlichkeit vortäuschen, Traurigkeit vortäuschen, Orgasmen vortäuschen, vortäuschen, dass man sich amüsiert, vortäuschen, dass man gut geschlafen hat, vortäuschen, dass man lebt. Bis der Augenblick kommt, in dem man an eine imaginäre Grenzlinie gelangt und begreift, dass es, wenn man sie erst überschreitet, kein Zurück mehr gibt.

Wozu dann noch klagen, denn solche Klagen würden bedeuten, dass wir wenigstens noch gegen etwas ankämpfen. Besser, man akzeptiert den Zustand und versucht, ihn vor allen zu verbergen. Was ziemlich anstrengend ist!«

Was hatte die Depression meiner Freundin denn ausgelöst?

»Nichts, was ich benennen könnte. Aber warum so viele Fragen? Fühlst du etwas in der Richtung?«

Selbstverständlich nicht!

Besser das Thema wechseln.

Ich spreche über den Politiker, den ich in zwei Tagen interviewen werde: einen Exfreund von mir vom Gymnasium, an den sie sich wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnert. Wir haben uns ein paarmal geküsst, und er hat meine Brüste berührt, die damals noch nicht ganz entwickelt waren. Mehr nicht.

Meine Freundin reagiert ganz euphorisch. Ich dagegen möchte das Thema jetzt doch nicht vertiefen. Ich schalte den Autopiloten ein. Apathie. Diesen Zustand habe ich noch nicht erreicht. Noch beklage ich mich über das, was mir hier gerade widerfährt, aber ich fürchte, dass sich bei mir bald schon – es ist vielleicht nur eine Frage von Monaten, Tagen oder Stunden – Desinteresse an allem breitmachen und dies nur schwer zu überwinden sein könnte.

Mir ist, als würde meine Seele meinen Körper ganz allmählich verlassen und sich an

Prev
Next

SIE KÖNNEN AUCH MÖGEN

Der Zahir
Der Zahir
November 15, 2019
Elf Minuten
Elf Minuten
November 15, 2019
Die Spionin
Die Spionin
January 16, 2020
Am Ufer Des Rio Piedra Sa
Am Ufer Des Rio Piedra Sa
November 15, 2019
Tags:
Adult, Contemporary, Neue Literatur, Philosophy, Romance, Self-Help, Spirituality
  • HOME
  • Copyright
  • Privacy Policy
  • DMCA Notice
  • ABOUT US
  • Contact Us

© 2019 Das Urheberrecht liegt beim Autor der Bücher. All rights reserved