Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter - Teil 6
weder glücklicher
noch unglücklicher als kinderlose Paare.»
STEFAN KLEIN
12. Oktober
Ich hab es nicht übers Herz gebracht, es ihr zu sagen. Ich traf Mona gestern auf einer Party. Ich trug eine weitfallende Tunika über schwarzen Leggins – die Uniform der Fülligen – und stand natürlich am Buffet.
Mona hatte ein Kleid an, in dem ich ausgesehen hätte wie ein eingesperrter Hefeteig. Ich hatte Mona ziemlich lange nicht mehr gesehen. Ich sehe sie eigentlich ziemlich oft ziemlich lange nicht, weil sie im Vorstand eines börsennotierten Unternehmens ist und nicht besonders viel Zeit hat.
Tatsächlich ist sie die einzige meiner Freundinnen, bei der ich unsere Verabredungen mit ihrer Sekretärin koordinieren muss. Außerdem ist Mona eine der wenigen Frauen, die ich kenne, die bewusst und freiwillig auf Kinder verzichten.
Ich bewundere sie für vieles, auch dafür.
Anfang dieses Sommers – mir scheint, als sei es in einem anderen Leben gewesen – gingen wir ins Freibad. Wir hegten die verwerfliche Hoffnung, aus zwei alarmierenden weltweiten Phänomenen in diesem Jahr einen ganz persönlichen Nutzen ziehen zu können: Dank globaler Erwärmung und sinkender Geburtenraten hatten wir mit einem Bombensommer im weitgehend menschenleeren, zumindest aber kinderfreien Freibad gerechnet.
Jedoch: Wir wurden enttäuscht. Das Wetter war durchwachsen, das Babybecken randvoll mit Babys und Urin, und vom Fünfer sprangen dicke Teenager, die beim Aufprall auf der Wasseroberfläche eine Detonation auslösten, wie man sie sonst nur aus Katastrophenfilmen kennt.
Ich muss ehrlich sagen: Ich mag Kinder nicht grundsätzlich. Es gibt angenehme und unangenehme Exemplare. Und nur weil ich bald ein Kind haben werde, muss ich ja nicht automatisch alle anderen auch gut finden. Ich bin schließlich auch verheiratet und mag deswegen nicht alle Männer.
Mona und ich lagen jedenfalls auf unseren Badelaken und bemühten uns um Nachsicht und ein gleichmäßiges Bräunungsergebnis. Als jedoch ein schlechtgelaunter Säugling sich auf dem Nachbarhandtuch schwungvoll übergab, brachte Mona nicht mal mehr ein schmallippiges Lächeln zustande. «Ich dachte, die Deutschen sterben aus», sagte sie vorwurfsvoll.
Das tun sie ja auch – obschon man sonntagnachmittags im Freibad wirklich einen anderen Eindruck gewinnt. Ich habe gelesen, dass sich die Zahl der Geburten in den letzten vierzig Jahren fast halbiert hat und in Deutschland mittlerweile jedes Jahr mehr Menschen sterben als geboren werden. Das Kinderloch ist nicht mehr zu stopfen – und meine Freundin Mona ist schuld daran.
Ich jedoch, ich habe mein Bestes getan!
Mona ist die fleischgewordene Statistik: Sie ist gut ausgebildet, gut verdienend, gut gelaunt und wünscht sich kein Kind zum vierzigsten Geburtstag, sondern eine vierwöchige Reise durch Südamerika.
Mona ist neununddreißig, und sie vergisst nicht zufällig mal, die Pille zu nehmen. «Russisches Roulette mit Samen», nennt sie derlei Verhalten. Sie will nicht, wie manch andere Frau in diesem Alter, so eine wichtige Entscheidung dem Schicksal überlassen.
Ich hingegen habe enorm viel Verständnis für solche Zeugungs-Amokläufe. Irgendwann ist das keine biologische Uhr mehr, die da sanft in dir tickt, sondern ein ausgewachsenes Sprengstoffpaket mit einem Zeitzünder dran, eingestellt auf deinen vierzigsten Geburtstag.
Als Frau hast du ja komischerweise Zweifel, ob das Leben nach diesem magischen Datum überhaupt weitergeht. Als würde, bedingt durch eine tschernobylhafte Reaktorkatastrophe im Inneren deines Körpers, aus deiner Gebärmutter ein verstrahlter Champignon werden und deine sexuelle Attraktivität in ihre Elementarteilchen zerfallen.
Ich übertreibe? Nein. Das ist der Grund, warum nicht selten Frauen in dieser prekären Lebensphase Männer heiraten, mit denen sie vorher nicht mal Mittagessen gegangen wären. Oder, ups, aus Versehen schwanger werden, obschon die Verhütung in den letzten zwanzig Jahren doch immer astrein geklappt hat.
Auf einmal muss alles ganz schnell gehen, ein Erzeuger muss her. Das kann der Tankwart sein, der Kellner des Lieblingsrestaurants oder sonst jemand, von dem man nicht mal den Nachnahmen kennt.
«Warum willst du kein Kind?», fragte ich Mona.
«Mir fehlt keins», sagte sie. «Ich mag mein Leben so, wie es ist. Kinder bedeuten Stress. Kinder bedeuten, dass das Leben nicht so weitergehen kann wie bisher. Kinder bedeuten Verzicht. Und weißt du was? Immer mehr Frauen haben zum Glück mittlerweile mehr zu verlieren als ein intaktes Bindegewebe der Bauchdecke und schlappgenuckelte Titten.»
«Angeblich soll man ja mittlerweile beides haben können: Kind und Karriere», wagte ich einen Einwurf.
«Daran glaube ich nicht! Ich sehe das doch bei meinen Mitarbeiterinnen mit ihren erbärmlichen Bastelbiographien: Studium, Karrierestart, Schwangerschaft, Babypause, danach Teilzeit in einem schlecht bezahlten Job, der nicht ansatzweise der guten Ausbildung entspricht. Bis es so weit sein wird, dass Frauen es wagen können, Kinder zu bekommen, ohne aus dem Leben zu kippen, und Unternehmen auch bei Männern mit Fehlzeiten wegen der Kinder rechnen müssen, wird es noch dauern. Auf jeden Fall zu lange für mich. Ich will keine Kompromisse machen.»
«Dann werde doch Vollzeitmutter.» Bei Mona eine absurde Vorstellung, das wusste ich selbst.
«Ganz bestimmt nicht! Heute kann man sich doch als Frau für gar keinen Lebensentwurf mehr mit ruhigem Gewissen entscheiden. Als Hausfrau und Mutter kommst du dir berufstätigen Müttern gegenüber vor wie ein lächerliches und ärgerliches Relikt aus der Steinzeit. Du lässt dich von deinem Typen versorgen, siehst zu, dass du die Karottenflecken aus der Auslegeware wieder rauskriegst, kannst dich stundenlang über Pilzinfektionen im Windelbereich unterhalten – aber über sonst nichts. Erinnerst du dich noch, dass Nicole letztes Jahr nach Paris ging, weil ihr Mann dort für ein Jahr einen Job bekommen hatte und sie sich endlich mal nur um die Kinder kümmern wollte?»
Ich erinnerte mich gut: «Auf den Spielplätzen lernte sie nur Kinderfrauen und Tagesmütter kennen, und es war ihr so peinlich, Vollzeitmutter zu sein, dass sie sich als Au-pair-Mädchen aus Deutschland ausgab.»
«Genau», rief Mona laut, und die Leute guckten schon. «Das Wort ‹Rabenmutter› gibt es im Französischen überhaupt nicht! Bei uns dagegen zerfällst du als berufstätige Mutter in zwei halbe Menschen, die jeder versuchen, hundert Prozent zu geben, und die von ständigem schlechtem Gewissen geplagt sind: Du verlässt die Konferenz um fünf Uhr und hastest zur Krippe? Na bravo! Dein Chef wird sich kaum anmerken lassen, wie genervt er ist – jedoch froh sein, dass dein inkompetenter Kollege sich für das traditionelle Familienmodell entschieden hat, und ihm das bei der nächsten Gehaltsrunde hoch anrechnen. Dein Kind hat schlecht geschlafen? Na bravo! Es fühlt sich gewiss von seiner karrieregeilen Pseudomutter abgeschoben, und du bist dir auf einmal ganz sicher, dass aus deiner Tochter die erste weibliche Kettensägenmörderin Deutschlands wird.»
«Ich finde aber, als berufstätige Frau ohne Kind hat man es auch nicht gerade leicht. Jetzt mal abgesehen von den verständnislosen Blicken und Fragen überzeugter Eltern, die eine Frau ohne Kinderwunsch für einen biologischen Unfall halten. Außerdem trägst du als kinderlose Frau durch dein unkooperatives Gebärverhalten auch noch Mitschuld am demographischen Zusammenbruch deines Landes. Lässt selber deine Gebärmutter brachliegen, aber lästerst im Freibad über Proll-Kinder, die außer ‹Ey, Alter› nichts sagen und außer Pommes nichts essen. Fragst du dich nicht ständig, ob die Entscheidung gegen Nachwuchs die Entscheidung sein wird, die du in deinem Leben am bittersten bereuen wirst? Du wirst es nie genau wissen, aber es könnte sein, dass du das Beste in deinem Leben verpasst hast. Hast du dir nie Kinder gewünscht?»
Mona schwieg einen Moment und sagte: «Doch. Als ich sechzehn war, wollte ich später mal welche haben. Aber dann begann das Leben. Und aus später wurde nie. Findest du das schlimm? Ist es für das Lebensglück wichtig, Kinder zu haben? Ist es falsch oder bedenklich, keine Kinder zu wollen?»
«Nein. Aber mir fehlt ein Kind zu meinem Glück. Das ist leider so. Und ich finde es ungeheuerlich mutig, wie du dich freiwillig gegen Kinder entschieden hast. Es gibt so wenige gute Vorbilder für kinderlose Frauen. Wie gut, wie erfüllt wird unser Leben letztlich ohne Kinder sein? Kinder hat man wenigstens sicher, was man vom Job, vom Partner und von der Immobilie ja nicht behaupten kann. Nicht, dass einem die Blagen automatisch den Lebensabend versüßen, den Nachttopf ausleeren, das Pflegeheim bezahlen oder die welkende Hand halten. Aber höchstwahrscheinlich bereut man das Vorhandensein von eigenen Kindern seltener als ihr Fehlen.»
«Niemand bereut seine Kinder – was erstaunlich ist, wenn ich mir einige der ganz besonders misslungenen Exemplare so ansehe», sagte Mona und betrachtete angewidert einen Vierjährigen, der seit geraumer Zeit ununterbrochen «Scheiße» schrie und zeitgleich versuchte, seine kleine Schwester zu erschlagen. Die Mutter der beiden wirkte nicht hundertprozentig glücklich und rief in regelmäßigen Abständen: «Bruce Elvis! Du hörst jetzt sofort auf, die Cheyenne Sunshine mit der Schaufel in die Fresse zu hauen!»
«Ich habe Angst vor meinem Leben ohne Kind», sagte ich trotzdem. «Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, es sinnvoll zu füllen. Es ist noch so verdammt lang, und durch ein Kind kriegst du den Sinn des Lebens ja quasi frei Haus geliefert. Da musst du dich nicht mehr groß fragen, warum du auf der Welt bist, wie du die Zeit angemessen, das heißt mit möglichst wenig Fernsehen, rumkriegst und wie du es schaffst, ein paar schöne Spuren deines Daseins zu hinterlassen. Das Leben mit Kindern erscheint mir leichter als das ohne. Hannelore Elsner hat mal gesagt, es sei eine Gnade für kinderlose Frauen, dass sie nicht wissen, was sie versäumt haben. Aber ich ahne es. Leider.»
Seit diesem Gespräch im Freibad vor drei Monaten hatten Mona und ich uns nicht mehr gesehen.
Bis gestern auf der Party.
Wir sprachen über mein neues Buch. «Ich bin schwanger mit einem neuen Roman», sagte ich – und das war immerhin die halbe Wahrheit. Ich sagte ihr nichts von dem neuen Menschen in meinem Leben.
Dann erzählte Mona mir von einer gemeinsamen Bekannten, die seit neuestem schwanger ist.
«Aber die ist lesbisch und fünfundvierzig!», rief ich erstaunt.
«Sie war vier Wochen in Amerika, und im Frühling bekommt sie Zwillinge. Da muss man auch nicht lange