Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter - Teil 30
mich verkrampft auf dem Beifahrersitz hocken, die Flasche in eine Kühlmanschette gewickelt und fest umklammert.
Die Eröffnungsfanfare des Films war noch nicht verklungen, ich hatte gerade pseudoentspannt den Kopf an die Schulter meines Mannes gelehnt, als mein Handy vibrierte. SMS des Onkels: «Schlomo will die Flasche nicht. Bitte schnell mit Brust vorbeikommen!»
Damit hatte ich gar nicht gerechnet, dass mein Sohn womöglich etwas ablehnen könnte, was mit Nahrungsaufnahme zu tun hat.
Wir rasten also zurück, ich gab schweißgebadet dem verärgerten Kind die Brust und beschloss, mir für meinen Mann erst nach dem Abstillen wieder Zeit zu nehmen.
Den Stress tue ich mir nicht mehr an. Die Muttermilchpumpe habe ich Joanna zurückgegeben. Ich kann gut ein halbes Jahr lang auf ein ausschweifendes Nachtleben verzichten. Bin sowieso froh, wenn ich früh im Bett liege. Und bei Kinofilmen kommen für mich im Grunde ja sowieso nur Zeichentrickfilme ohne Altersbeschränkung in Frage. Für alle anderen ist mein Nervenkostüm zu schwach.
22. August
Baby ist vier Monate alt und wiegt: genug.
Mutter wiegt: mehr als genug.
Außentemperatur: 32 Grad im Schatten.
Innentemperatur: kurz vorm Siedepunkt, denn ich muss heute meine «Brigitte»-Kolumne abgeben.
Der Schlomenberger guckt mich kritisch an, und ich versuche, mich davon nicht ablenken zu lassen.
Er liegt, halb aufrecht, in einer Babywippe, die auf meinem Schreibtisch gleich neben meinem Computer steht. Bekleidet ist er mit einem sogenannten Spielanzug mit Kragen und kurzem Bein im für Babys dauerangesagten Matrosenlook.
Draußen ist es sehr heiß, und in drei Stunden muss ich meinen Text an die Redaktion schicken. Alle zwei Wochen erscheint die Zeitschrift «Brigitte» und mit ihr, auf der letzten Seite, meine Kolumne «Problemzonen».
Das heißt, alle zwei Wochen gehöre ich zur Gattung «berufstätige Mutter», wenn ich versuche, über zwei, drei Tage verteilt ein Telefoninterview zu führen, Material zum Thema zu lesen und schließlich meinen Text aufzuschreiben.
Der Schlom glotzt nach wie vor mäßig interessiert auf meinem Schreibtisch rum. Ich nutze die Stille und schreibe eilig den ersten Absatz:
Männer sind ja wirklich Geschmackssache. Und ich bin immer wieder verblüfft, zu was für eigenartigen Paarungen es kommen kann. Die Liebe, das muss man so sagen, führt manche vernunftbegabte Frau an die Seite von seltsamen Männern, im schlimmsten Fall von solchen, die mit Rucksack ins Büro gehen und sich die Zehennägel in der Küche schneiden.
Ich hätte zum Beispiel dem Albert von Monaco nicht mein Ja-Wort gegeben. Ich bin allerdings, um ganz ehrlich zu sein, auch nicht gefragt worden. Der Mann hat zu viel Bauch, zu viel Glatze bei ansonsten zu wenig gleichen Interessen. Ich hätte überhaupt keine Lust, bei den ganzen Staatsbanketten auf den Nachtisch zu verzichten,
Der Schlom gähnt! Ich nicke ihm freundlich und ermutigend zu. Es geht doch nichts über ein schlafendes Kind.
bloß um neben dem Monarchen-Moppel auf dem roten Teppich eine gute Figur zu machen. Nun, jetzt ist er ja zum Glück vom Markt, und ich muss mir diese Fragen gar nicht mehr stellen.
Wenn es um das heikle Thema Partnerwahl geht, verstehen Menschen ja oft nur wenig Spaß, und so manche Freundschaft hat nur Bestand, weil die besten Freundinnen sich nie gesagt haben, was sie wirklich von ihren jeweiligen Ehemännern halten. Ich bin sicher, auch im
Der Schlom fängt an zu meckern, windet sich und tritt mit seinen leckeren, prallen Weißwurstbeinchen in die Luft.
Ich rufe mit meiner lieblichsten Kindergärtnerinnenstimme: «Mein Schlömchen, lass deine Mama doch noch ein bisschen arbeiten! Schau mal, was ist das denn Tolles!?»
Ich drücke dem widerwilligen Kind eine Plastikgiraffe in die Hand und schreibe gehetzt weiter:
Bekanntenkreis von Elizabeth Taylor hat sich der ein oder andere mächtig auf die Zunge beißen müssen, als sie mit dem struppigen Bauarbeiter Larry Fortensky ankam. «Unbalanciertes kognitives System» heißt das, wenn meine Freundin einen anderen Geschmack hat als ich und sie das auch ganz klar so sagt. Das habe ich aus dem hochinteressanten Buch «Alles über die Liebe» von Professor Manfred Hassebrauck gelernt.
Der Mann weiß alles über die Geheimnisse der Partnerwahl. Leider kann der Professor meine Theorie nicht bestätigen, dass Paare, die einander ähnlich sehen, besonders gute Chancen auf eine lange und zufriedene Ehe haben – so wie Prinz Charles und Camilla beispielsweise, mit ihren lustigen Pferdegesichtern, oder Victoria von Schweden und Daniel, die beiden freundlichen Bratpfannen. Statistisch bedauerlicherweise nicht belegbar, ich glaube es aber trotzdem.
«Hingegen eindeutig erwiesen ist»,
Der Schlom schreit wütend. Die Giraffe ist ihm aus der Hand gefallen. Ich gebe sie ihm zurück.
sagt mir Herr Hassebrauck, «dass Paare sich im Laufe der Zeit äußerlich immer ähnlicher werden und Gemeinsamkeiten das Schmiermittel einer guten Beziehung sind. Wenn zwei ohnehin das Gleiche vorhaben, dann müssen sie sich nicht streiten. Deswegen haben Verbindungen, die über Partnerschaftsagenturen im Internet zustande kommen, höhere Haltbarkeitsquoten. Dort wird gezielt nach Übereinstimmungen gesucht.»
Und was muss übereinstimmen?
Der Schlom schreit mich böse an. Die Giraffe langweilt ihn offensichtlich. Ich versuche, ihn zu ignorieren.
Klugheit und Humor schon mal nicht, das beweist mein lustiger und gescheiter Freund Heiner, der eine so unerträglich doofe, junge und fade Tusnelda geheiratet hat, dass er sie bei Abendeinladungen getrost vor der Tür vergessen könnte – es würde niemandem auffallen, und wenn doch, würde es niemanden stören.
«Die interne
Der Schlom steigert seine Lautstärke und ist jetzt ein echter Störfaktor. Konzentration unmöglich. Ich muss härtere Geschütze auffahren. Ich greife nach dem «Activity Center» – jener bunten, knisternden, blinkenden Erlebnisdecke mit Spielebogen – und hänge sie mir über die linke Schulter. Es ertönt in Endloswiederholung die nervtötende digitale Melodie von «Fuchs, du hast die Gans gestohlen».
Der Schlom schweigt verblüfft und betrachtet seine ganz offensichtlich durchgeknallte Mutter mit stillem Mitleid.
Buchführung muss stimmen», erklärt Professor Hassebrauck solch sonderbaren Paarungen, «und es sollte Übereinstimmung in drei wesentlichen Punkten geben: bei der Einstellung zu Treue, zu eigenen Kindern und beim Bedürfnis nach Nähe beziehungsweise nach Unabhängigkeit. Im Übrigen profitieren Männer von jüngeren Partnerinnen: Je jünger sie im Vergleich zu ihm ist, desto höher ist seine Lebenserwartung. Frauen hingegen leben mit einem gleichaltrigen Partner am längsten.»
Dann werden uns Jean Pütz, Flavio Briatore und mein Freund Heiner ja noch eine ganze Weile erhalten bleiben.
Hauptsache, das kognitive System ist ausbalanciert, sag ich immer.
Die Anziehung zwischen Ähnlichen reicht laut Studien sogar bis zu den Vornamen von Paaren: Wenn die mit demselben Buchstaben anfangen, ist die Beziehung stabiler.
Mein Mann betritt ohne Vorwarnung das Arbeitszimmer, sieht mich als «Activity Center» verkleidet und sagt: «Ich gehe mal ’ne Runde mit Schlömchen spazieren. Der arme Kerl ist ja ganz verstört.»
Der Schlom seufzt erleichtert «Raghööhl» und lässt sich von seinem Vater raustragen, ohne mich noch eines einzigen Blickes zu würdigen.
Ich schalte die «Aktivitätendecke für dynamischen Spielspaß» aus, summe meschugge «Fuchs, du hast die Gans gestohlen» vor mich hin und schreibe den letzten Satz:
Na also, hab ich’s doch gewusst: Camilla und Charles forever!
«Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch dich, aber nicht von dir, und obwohl sie bei dir sind, gehören sie dir nicht. Du kannst ihnen deine Liebe geben, aber nicht deine Gedanken; denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Du kannst ihrem Körper ein Haus geben, aber nicht ihrer Seele; denn ihre Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst – nicht einmal in deinen Träumen.»
KAHLIL GIBRAN
1. September
Wenn mein Sohn vom Arm seines Vaters aus auf mich herabschaut, kann ich seinen Ausdruck nur als überheblich bezeichnen.
Die beiden passen gut zueinander und geben mir manchmal das Gefühl, ziemlich überflüssig zu sein. Ich liebe das. Das ist genau das, was ich immer wollte.
Ich habe nicht diesen fragwürdigen Ehrgeiz vieler Mütter, die unverzichtbar sein wollen, die ihren Männern nicht zutrauen, das Kind zu wickeln, zu beruhigen, warm genug anzuziehen, die sich klammern an das emotionale Monopol auf ihre Kinder, weil es ihnen Sicherheit und Macht verschafft.
Schrecklich, diese zickig gezischten Maßregelungen von Müttern, adressiert an die Väter ihrer Kinder: «Pass doch auf, du hältst ihn viel zu fest!», «Achtung, du lässt sie ja gleich fallen!», «Nimm ihr die Mütze ab, das ist doch viel zu warm!», «Du musst ihn über die Schulter legen, sonst beruhigt er sich nie!», «Das ist doch viel zu viel Brei auf dem Löffel!».
Vom ersten Tag an habe ich mir innerlich immer sofort auf die Finger gehauen, wenn ich mich bei einer derartigen Bevormundung ertappte.
Eine Mutter, die den Vater nicht ans gemeinsame Kind lässt, die alles besser weiß und alles selber macht, tut niemandem damit einen Gefallen.
Unser Sohn schläft in den Armen seines Vaters genauso selig ein wie in meinen. Trost sucht und findet er bei mir ebenso wie bei seinem Vater.
Würde ich Schlomo nicht stillen, ich könnte problemlos ein paar Tage abhauen – was ich garantiert nach dem Abstillen tun werde! –, ohne mir auch nur einen Gedanken machen zu müssen.
Mein Mann kennt unseren Sohn genauso gut wie ich. Er hält ihn anders als ich, wenn er ihn beruhigen will. Es funktioniert trotzdem.
Wenn er unseren Schlomenberger tollkühn und in meinen Augen lebensgefährlich herumwirbelt, sage ich nichts und gucke woandershin.
Und wenn ich sehe, wie Vater und Sohn Arm in Arm eingeschlafen sind, decke ich sie zu und weiß, dass mein Sohn ein ungeheuerlich privilegierter Junge und mein Mann ein ungeheuerlich privilegierter Vater ist.
Eigentlich ist es erstaunlich, warum nicht viel mehr Väter diesen Luxus der Nähe zum eigenen Kind einfordern. Fast automatisch denken wir immer noch, Kinder gehörten zur Mutter und dass sie es ist, die auf ihre Karriere zugunsten der Familie verzichten soll, muss oder auch darf.
In der «Süddeutschen Zeitung» schrieb der Schriftsteller Ralf Bönt dazu:
«Die noch andauernde Fixierung des feministischen Diskurses auf eine Karriere jenseits der Familie erweist sich aber nach den großen Erfolgen, die bei den Suffragetten nicht