Sakrileg – The Da Vinci Code - Kapitel 47
besaß seine Haltung etwas unerschütterlich Aufrechtes, was wohl eher seiner vornehmen Abkunft als bewusstem Bemühen entsprang.
Teabing trat auf Langdon zu und streckte ihm jovial die Hand entgegen. »Sie haben Gewicht verloren, Robert.«
»Und Sie haben zugenommen.« Langdon grinste.
Lachend tätschelte Teabing seinen Bauch. »Touché. Ich fürchte, meine einzigen fleischlichen Sünden sind heutzutage kulinarischer Art.« Teabing wandte sich Sophie zu, nahm ihre Hand und hauchte mit leicht geneigtem Kopf und abgewendetem Blick einen Kuss auf ihre Finger. »M’ lady …«
Sophie warf Langdon einen unsicheren Blick zu. Offenbar wusste sie nicht recht, ob sie eine Reise in die Vergangenheit oder in ein Irrenhaus gemacht hatte.
Der Butler, der ihnen geöffnet hatte, kam mit einem Tablett in den Salon, auf dem ein Teeservice stand, das er auf einem Tischchen vor dem Kamin abstellte.
»Das ist Rémy Legaludec«, sagte Teabing, »mein Butler.«
Der hagere Mann verbeugte sich steif in der Hüfte und verschwand.
»Rémy stammt aus Lyon«, flüsterte Teabing, als handele es sich um eine peinliche Krankheit. »Saucen kochen kann er ganz ordentlich, aber sonst …«
Langdon musste lächeln. »Ich hätte eher damit gerechnet, Sie würden englisches Personal importieren.«
»Um Himmels willen, nein!«, rief Teabing entsetzt. »Einen englischen Koch möchte ich niemandem an den Hals wünschen – außer den Beamten meines zuständigen französischen Finanzamts natürlich.« Er blickte Sophie an. »Pardonnez-moi, Mademoiselle Neveu. Seien Sie versichert, meine Frankophobie richtet sich lediglich auf die französische Politik und die französische Fußballnationalmannschaft. Ihre Regierung nimmt mich aus wie eine Weihnachtsgans, und Ihre Nationalmannschaft hat die unsere vor kurzem zur Schnecke gemacht.«
Sophie lächelte huldvoll.
Teabing betrachtete erst Sophie, dann Langdon. »Es muss etwas passiert sein. Sie wirken beide ein wenig derangiert.«
Langdon nickte. »Wir hatten einen interessanten Abend.«
»Unverkennbar. Sie tauchen unangemeldet mitten in der Nacht an meiner Schwelle auf und erzählen etwas vom Gral. Sagen Sie, geht es wirklich um den Gral, oder war das nur ein Köder, weil Sie wissen, dass es das Einzige ist, mit dem man mich jederzeit aus dem Schlaf holen kann?«
Ein bisschen von beidem, dachte Sophie. Das Kryptex unter dem Sofa erschien vor ihrem inneren Auge.
»Sir Leigh«, sagte Langdon, »wir möchten uns mit Ihnen über die Prieuré de Sion unterhalten.«
Teabings buschige Augenbrauen hoben sich, und er blickte Langdon interessiert an. »Die Hüter des Geheimnisses. Dann geht es also wirklich um den Gral. Sie sagen, Sie hätten Informationen mitgebracht? Gibt es etwas Neues, Robert?«
»Möglicherweise. Wir sind uns nicht sicher. Wir würden allerdings weniger im Dunkeln tappen, wenn Sie uns einige Informationen geben könnten.«
Teabing wackelte drohend mit dem Zeigefinger. »Stets der geschäftstüchtige Amerikaner! Gibst du mir, geb ich dir. Also gut, ich stehe zu Diensten. Was möchten Sie von mir wissen?«
Langdon seufzte. »Ich hatte gehofft, Sie würden so freundlich sein, Mademoiselle Neveu in die wahre Natur des Grals einzuführen.«
Teabing sah Langdon entgeistert an. »Sie ist noch unwissend?«
Langdon nickte bestätigend.
Auf Teabings Zügen breitete sich ein beinahe obszönes Lächeln aus. »Sie haben mir eine Jungfrau gebracht, Robert?«
Langdon zuckte zusammen und blickte Sophie an. »Das ist die Bezeichnung der Gralsforscher für jemand, der die wirkliche Gralsgeschichte noch nicht kennt«, erklärte er verlegen.
Teabing wandte sich Sophie zu. »Wie viel wissen Sie denn, meine Liebe?«
Sophie berichtete mit knappen Worten, worüber Langdon bereits mit ihr gesprochen hatte – über die Prieuré de Sion, die Tempelritter, die Sangreal-Dokumente, und dass der Heilige Gral angeblich kein Kelch sei, sondern etwas ganz anderes, das unermessliche Macht verkörpert.
»Das ist alles?« Teabing sah Langdon tadelnd an. »Ich hielt Sie immer für einen Gentleman, Robert, aber Sie haben der Dame den Höhepunkt vorenthalten.«
»Ja, ich weiß, aber ich dachte, Sie und ich … ich meine, wir beide zusammen könnten ihr vielleicht …« Langdon verstummte. Das vertretbare Maß ungewollter Zweideutigkeiten schien ihm offensichtlich überschritten.
Teabing hielt Sophie fest im Blick. »Sie sind also eine Gralsjungfer, meine Liebe? Vertrauen Sie sich mir an. Und glauben Sie mir, Sie werden das erste Mal nie vergessen.«
55. KAPITEL
Sophie saß neben Langdon auf dem Sofa, trank Tee und aß Gebäck. Die belebende Wirkung des Getränks tat ihr gut. Sir Leigh strahlte und ging mit klackenden Beinschienen unbeholfen auf den Steinplatten vor dem großen Kamin auf und ab.
»Ja, der Heilige Gral«, begann er im Tonfall eines Predigers. »Meistens werde ich gefragt, wo er ist, und diese Frage, fürchte ich, werde ich nie beantworten können.« Er blickte Sophie scharf an. »Aber die viel wichtigere Frage lautet: Was ist der Gral?« Er schaute Langdon an, der zustimmend nickte. »Wenn wir den Gral verstehen wollen«, fuhr Teabing fort, »müssen wir zuerst die Bibel verstehen. Wie gut kennen Sie das Neue Testament, Sophie?«
Sie hob die Achseln. »Eigentlich gar nicht. Ich bin bei einem Mann aufgewachsen, der Leonardo da Vinci angebetet hat.«
Teabing sah erstaunt und erfreut zugleich aus. »Eine erleuchtete Seele! Hervorragend. Dann muss Ihnen bekannt sein, dass Leonardo einer der Hüter des Gralsgeheimnisses gewesen ist. Er hat viele versteckte Hinweise in sein künstlerisches Schaffen einfließen lassen.«
»Ja, das hat Mr Langdon mir schon erläutert.«
»Und wie steht es mit Leonardos Sichtweise des Neuen Testaments?«
»Darüber weiß ich überhaupt nichts.«
Mit leuchtenden Augen wies Teabing auf das Bücherregal an der anderen Wand. »Wären Sie bitte so freundlich, Robert? Im untersten Fach. La Storia di Leonardo.«
Langdon nahm einen großen Band vom Regal und legte ihn auf den Tisch vor dem Sofa. Teabing drehte das Buch zu Sophie und schlug die Innenseite des hinteren Einbanddeckels auf, wo eine Reihe von Zitaten abgedruckt war. »Das ist aus Leonardos Notizen zu Polemik und Mutmaßungen«, sagte er und deutete auf eines der Zitate. »Ich glaube, das hier wird Ihnen bei unserer Diskussion weiterhelfen.«
Sophie las:
Viele haben aus Täuschungen
und falschen Wundern
ein Geschäft gemacht
und führen die törichte Menge
hinters Licht.
– LEONARDO DA VINCI –
»Hier ist noch eins«, sagte Teabing.
Unkenntnis blendet und lässt uns in die Irre gehen.
Oh, ihr elenden Sterblichen, öffnet die Augen.
– LEONARDO DA VINCI –
Sophie fröstelte plötzlich. »Meint da Vinci etwa die Heilige Schrift?«
Teabing nickte. »Leonardos Einstellung zur Heiligen Schrift hat unmittelbar mit dem Heiligen Gral zu tun. Er hat den wahren Heiligen Gral sogar gemalt, wie ich Ihnen gleich zeigen werde, aber zuerst müssen wir uns noch ein bisschen über die Bibel unterhalten.« Teabing lächelte. »Die Quintessenz dessen, was man wissen muss, hat der großartige Theologe Martyn Pervy in einem Satz zusammengefasst.« Teabing räusperte sich. »Die Heilige Schrift ist uns nicht per Fax vom Himmel zugegangen.«
»Bitte?«
»Er meint damit, dass die Heilige Schrift keine Schöpfung Gottes ist, sondern der Menschen. Sie ist nicht auf wundersame Weise irgendwann einmal fertig vom Himmel gefallen. Die Menschen haben sie als Chronik eines dramatischen Zeitgeschehens geschaffen. Die Heilige Schrift hat sich angesichts zahlloser Hinzufügungen, Korrekturen und Neuübersetzungen verändert und fortentwickelt. Es hat nie eine endgültige Version des Buchs der Bücher gegeben.«
»Ich verstehe.«
»Christus war eine historische Gestalt von unerhörter Wirkung, vielleicht die geheimnisvollste und inspirierendste Führergestalt, die die Welt je gesehen hat. Als der Messias der Prophezeiung ließ er Könige stürzen, führte Millionen Menschen zu einem neuen Aufbruch und begründete eine neue Weltanschauung. Als unmittelbarer Abkömmling der Könige Salomon und David hatte Jesus einen legitimen Anspruch auf den jüdischen Königsthron. Kein Wunder also, dass sein Leben von Tausenden seiner Anhänger im ganzen Land aufgezeichnet wurde.« Teabing genehmigte sich einen Schluck Tee und stellte die Tasse auf dem Kaminsims ab. »Es gab mehr als achtzig Evangelien, die für das Neue Testament zur Auswahl standen, dennoch kamen nur vier zum Zuge – die Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.«
»Und wer hat bestimmt, welche Evangelien ausgewählt wurden?«, wollte Sophie wissen.
»Ah!« Teabing war von seiner aufmerksamen Zuhörerin sehr angetan. »Hier stoßen wir auf die grundlegende Ironie des Christentums! Das Neue Testament, wie wir es heute kennen, geht auf den heidnischen römischen Kaiser Konstantin den Großen zurück.«
»Ich dachte immer, Konstantin der Große sei Christ gewesen«, wandte Sophie ein.
»Wohl kaum«, spöttelte Teabing. »Er war sein Leben lang Heide. Man hat ihn auf dem Totenbett getauft, als er sich nicht mehr dagegen wehren konnte. Zu Konstantins Zeiten war die offizielle römische Religion der Sonnenkult des Sol Invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes, und Konstantin war der Hohepriester dieser Staatsreligion. Doch leider versank Rom immer tiefer in religiösen Unruhen. Drei Jahrhunderte nach der Kreuzigung hatte sich die Anhängerschaft Christi explosionsartig vermehrt. Christen und Heiden waren sich in die Haare geraten. Die Streitigkeiten nahmen solche Ausmaße an, dass das Römische Reich auseinander zu fallen drohte. Konstantin hielt es für an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Im Jahr 325 unserer Zeitrechnung vollzog er die Einigung des Reichs unter dem Banner einer einzigen Religion – des Christentums.«
»Wie kommt ein heidnischer Herrscher dazu, sich ausgerechnet das Christentum als Staatsreligion auszusuchen?«, fragte Sophie verwundert.
Teabing kicherte in sich hinein. »Konstantin war ein ausgezeichneter Geschäftsmann. Er hatte begriffen, dass das Christentum im Kommen war, und da hat er eben aufs schnellste Pferd gesetzt. Die Historiker staunen noch heute, mit welchem Geschick Konstantin aus seinen heidnischen Sonnenanbetern Christen gemacht hat. Er hat die heidnischen Symbole, Festtage und Rituale mit der sich herausbildenden christlichen Tradition verschmolzen und auf diese Weise eine Art Mischreligion geschaffen, die für beide Seiten akzeptabel war.«
»Bäumchen wechsle dich«, sagte Langdon. »Nein, im Ernst, die Spuren der heidnischen Religion sind in der christlichen Symbolik unübersehbar. Aus der ägyptischen Sonnenscheibe ist der Heiligenschein der christlichen Märtyrer geworden. Die Bildnisse der Isis, die ihren auf wundersame Weise empfangenen Sohn Horus nährt, wurden zum Vorbild der Darstellungen der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. Und die Elemente der kirchlichen Liturgie – die Mitra, der Altar, die liturgischen Gesänge, die Kommunion als Akt der Gottesverspeisung und so weiter – stammen ausnahmslos aus den älteren heidnischen Religionen und sind vielfach unverändert übernommen worden.«
Teabing stöhnte auf. »Wenn ein Symbolologe erst einmal loslegt, sich über das christliche Bild- und Symbolgut auszulassen … Aber am Christentum gibt es