Sakrileg – The Da Vinci Code - Kapitel 45
die dramatische Geschichte des Heiligen Grals näher bringen wollte. Die Produzenten der BBC waren von Teabings explosivem Thema, seiner sauberen Recherche und seinen Referenzen begeistert, befürchteten aber, dass die ungeheure Brisanz der Geschichte die Glaubwürdigkeit der BBC als Hort des seriösen Journalismus beschädigen könnte. Auf Teabings Vorschlag hatte die BBC das Glaubwürdigkeitsproblem gelöst, indem sie drei weltweit anerkannte Historiker in der Sendung auftreten ließ, die mit ihren eigenen Forschungsergebnissen die unglaubliche Geschichte vom Geheimnis des Heiligen Grals einhellig bestätigten.
Einer dieser Experten war Langdon gewesen.
Die BBC hatte Langdon für die Filmarbeiten auf Teabings Pariser Anwesen eingeflogen. Er hatte in Teabings luxuriösem Salon vor der Kamera gesessen und erzählt, was er zu erzählen hatte – wie er anfangs selbst skeptisch gewesen sei, als er von der alternativen Deutung der Gralslegende erfahren hatte, wie seine jahrelange Forschungsarbeit ihn dann aber von der Stichhaltigkeit dieser Deutung überzeugt hatte. Langdon hatte einige seiner eigenen Forschungsergebnisse vorgetragen – eine Reihe verschiedener Beziehungen auf symbolischer Ebene –, die nachdrücklich für die Richtigkeit von Teabings scheinbar ungeheuerlichen Behauptungen sprachen.
Als die Sendung in England ausgestrahlt wurde, hatte sie ungeachtet der Absicherung durch Experten und trotz des gut dokumentierten Beweismaterials einen Sturm der Entrüstung bei den Kirchen ausgelöst, kaum dass die Sendung ausgestrahlt war. In den Vereinigten Staaten kam es erst gar nicht mehr zur Ausstrahlung, doch das Protestgeschrei hallte bis über den Atlantik. Langdon hatte kurz darauf von einem guten alten Freund, dem katholischen Bischof von Philadelphia, ein Schreiben erhalten, auf dem der fromme Mann ihm jene Worte entgegenschleuderte, die Cäsar zu seinem Protegé Brutus gesagt hatte, als der ihn zusammen mit den anderen Verschwörern im Senat erdolcht hatte: Et tu, Robert?5
»Robert«, sagte Sophie, »sind Sie sicher, dass wir diesem Mann vertrauen können?«
»Absolut«, gab Langdon zurück. »Wir sind so etwas wie Kollegen. Und Geld ist für ihn kein Thema – er ist Multimillionär. Aber er ist sauer auf die französischen Behörden. Zufällig weiß ich, dass er vom französischen Fiskus gewaltig geschröpft wird, weil er eine historische Liegenschaft erworben hat. Deshalb wird er kaum den Wunsch haben, Fache in die Hände zu arbeiten.«
Sophie starrte auf das gelbe Band der Straße im Dunkel der Nacht. »Wie viel Einblick wollen Sie ihm denn gewähren, falls wir zu ihm gehen?«
Langdon schien keine Bedenken zu haben. »Ach, wissen Sie, Leigh Teabing weiß mehr über die Prieuré de Sion als sonst jemand auf der Welt.«
Sophie schaute ihn an. »Mehr als mein Großvater?«
»Mehr als irgendjemand außerhalb der Bruderschaft.«
»Und woher wollen Sie wissen, dass dieser Teabing nicht dazugehört?«
»Er hat fast sein ganzes Leben damit verbracht, sein Wissen über den Heiligen Gral zu verbreiten. Die Mitglieder der Prieuré dagegen haben ein Gelübde abgelegt, das Geheimnis zu hüten.« Langdon konnte Sophies Bedenken gut verstehen. Schließlich hatte ihr Saunière persönlich das Kryptex anvertraut. Sie hatte Skrupel, einen völlig Fremden in die Sache einzubeziehen, auch wenn sie noch nicht wusste, was sich im Kryptex befand und was sie damit tun sollte. Angesichts der Information, um die es möglicherweise ging, waren ihre Skrupel keineswegs übertrieben. »Wir brauchen Teabing ja nicht gleich vom Schlussstein zu erzählen. Vielleicht verschweigen wir es ganz. Jedenfalls können wir uns in Teabings Villa versteckt halten und unsere Lage überdenken. Und wenn wir uns mit ihm über den Gral unterhalten, bekommen wir vielleicht einen Hinweis darauf, weshalb Ihr Großvater Ihnen das Kryptex zugespielt hat.«
»Uns«, korrigierte Sophie.
Langdon verspürte einen Anflug bescheidenen Stolzes. Dennoch fragte er sich zum x-ten Mal, weshalb Saunière ihn mit ins Boot geholt hatte.
»Und Sie wissen, wo dieser Teabing wohnt?«
»Seine Adresse ist Château Villette.«
»Das Château Villette?«
»Genau.«
»Solche Bekannte möchte ich auch gern haben.«
»Sie kennen das Anwesen?«
»Ich bin öfters daran vorbeigefahren. Es ist nicht weit von Versailles entfernt. Von hier aus sind es ungefähr zwanzig Minuten.«
Langdon nickte. »Okay.«
»Zeit genug, dass Sie mir erzählen, was der Heilige Gral denn nun wirklich ist.«
Langdon schwieg einen Moment. »Ich erkläre es Ihnen, wenn wir bei Teabing sind. Er und ich sind Experten für jeweils andere Aspekte der Legende. Wenn Sie die Geschichte von uns beiden hören, wird es sich sehr gut ergänzen.« Langdon lächelte. »Die Gralssuche ist Teabings Lebensinhalt. Die Geschichte des Heiligen Grals von Leigh Teabing zu hören ist etwa so, als würde Einstein persönlich einem die Relativitätstheorie auf verständliche Weise erklären.«
»Dann wollen wir nur hoffen, dass Ihr guter Leigh nichts gegen späten Besuch hat.«
»Sagen Sie lieber Sir Leigh zu ihm, Sophie – aber das nur am Rande.« Langdon hatte sich diesen Fauxpas selbst einmal zuschulden kommen lassen – nur einmal. »Teabing ist ein ziemliches Unikum. Die Queen hat ihn vor einiger Zeit zum Ritter geschlagen, nachdem er eine umfassende Geschichte des Hauses York verfasst hatte.«
Sophie sah zu Langdon hinüber. »Jetzt machen Sie aber Witze! Wir sind doch nicht etwa unterwegs zu einem echten Ritter?«
Langdon grinste sie schief an. »Wir sind auf der Gralssuche, Sophie. Wer könnte uns da besser zur Seite stehen als ein Ritter?«
52. KAPITEL
Château Villette, ein weitläufiges, fünfundsiebzig Hektar großes Anwesen, lag fünfundzwanzig Autominuten nordwestlich von Paris in der Umgebung von Versailles. Das Schlösschen, 1668 von François Mansart für den Grafen von Aufflay entworfen und gebaut, gehörte zu den bemerkenswertesten historischen Schlossbauten in der Umgebung von Paris. Mit den beiden großen rechteckigen Teichen und dem von Le Nôtre entworfenen Garten war Château Villette eher ein mittleres Schloss als ein Landhaus. Man nannte es denn auch liebevoll Le Petit Versailles.
Mit quietschenden Reifen brachte Langdon den Lieferwagen am Abzweig der anderthalb Kilometer langen Zufahrtsstraße zu Teabings Anwesen zum Stehen. Hinter einem beeindruckenden Tor, das mit allen sicherheitstechnischen Schikanen versehen war, erhob sich in der Ferne das Schloss aus den weiten Rasenflächen. Ein englischsprachiges Schild prangte am Tor.
PRIVATE PROPERTY. NO TRESPASSING.6
Als gälte es, vor seinem Heim eine britische Duftmarke zu setzen, hatte Teabing nicht nur sämtliche Schilder mit englischen Aufschriften versehen, er hatte auch die Gegensprechanlage am Tor auf der rechten Seite installieren lassen, wo in ganz Europa der Beifahrer saß, nur eben bekanntlich nicht in England.
Sophie bedachte die falsch platzierte Rufanlage mit einem schiefen Blick. »Und wenn nun jemand ohne Beifahrer vorfährt?«
»Fragen Sie mich nicht«, wehrte Langdon ab. Er hatte sich deswegen mit Teabing beinahe schon in den Haaren gelegen. »Er hat eben gern alles so, wie er es von zu Hause gewohnt ist.«
Sophie kurbelte die Seitenscheibe herunter. »Ich glaube, es ist besser, Sie führen das Gespräch, Robert.«
Als Langdon sich über Sophie hinweg weit nach rechts beugte, um auf den Sprechknopf zu drücken, stieg ihm der betörende Hauch ihres Parfüms in die Nase und machte ihm bewusst, wie nahe sie einander waren. Aus dem Lautsprecher drang eine Art Freizeichen. Endlich knackte es in der Rufanlage. Eine indignierte französische Stimme meldete sich. »Château Villette. Wer ist da?«
»Hier ist Robert Langdon. Ich bin ein Freund von Sir Leigh Teabing«, sagte Langdon, der Sophie inzwischen beinahe auf dem Schoß lag. »Ich brauche seine Hilfe.«
»Sir Leigh hat sich bereits zur Ruhe begeben … wovon Sie übrigens auch bezüglich meiner Wenigkeit ausgehen können. Was war gleich Ihr Anliegen?«
»Das ist eine Privatsache. Eine Angelegenheit von größtem Interesse für Sir Leigh.«
»Dann bin ich sicher, dass Sir Leigh Sie morgen Vormittag mit dem größten Vergnügen empfangen wird.«
Langdon bemühte sich um ein Minimum an körperlichem Abstand zu Sophie. »Aber es ist sehr wichtig!«
»Was auch für Sir Leighs Ruhe gilt. Falls Sie tatsächlich mit Sir Leigh befreundet sind, dürfte Ihnen bekannt sein, dass es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten steht und dass er der Schonung bedarf.«
Leigh Teabing war als Kind an Polio erkrankt. Deshalb ging er an Krücken und musste Beinschienen tragen, doch Langdon hatte ihn bei seinem letzten Besuch als einen so lebendigen und vielseitigen Mann erlebt, dass man seine Behinderung völlig vergaß.
»Dann richten Sie Sir Leigh bitte aus, dass ich auf neue und sehr brisante Informationen über den Heiligen Gral gestoßen bin – Informationen, die ich leider nicht bis morgen zurückhalten kann.«
Eine lange Pause entstand. Sophie und Langdon warteten. Der Motor des Lieferwagens tuckerte im Leerlauf.
Eine ganze Minute verstrich. Schließlich ließ sich eine klare helle Stimme vernehmen. »Lieber Freund, mir scheint, Sie leben noch nach New Yorker Zeit.«
Langdon grinste. Er hatte den unüberhörbaren britischen Akzent sofort erkannt. »Sir Leigh, ich muss mich für meine Unverschämtheit entschuldigen, Sie zu dieser nachtschlafenen Zeit herauszuklingeln.«
»Wie ich von meinem Butler höre, weilen Sie nicht nur in Paris – Sie bringen auch neue Kunde vom Gral?«
»Nun, ich dachte mir, ich könnte Sie damit aus dem Bett locken.«
»Das ist Ihnen gelungen.«
»Wäre es denkbar, dass Sie für einen alten Freund die Zugbrücke herunterlassen?«
»Wer gleich mir die Wahrheit sucht, ist mehr als ein Freund. Er ist mir ein Bruder.«
Langdon blickte Sophie an und verdrehte die Augen. Teabings Vorliebe für salbungsvolle Sprüche war ihm nur zu bekannt.
»Ich werde das Tor für Euch öffnen«, verkündete Teabing, »aber zuerst muss ich mich vergewissern, ob Ihr reinen Sinnes seid. Verteidigt Eure Ehre. Drei Fragen sind zu beantworten.«
Langdon stöhnte auf. »Üben Sie Nachsicht, genau wie ich«, flüsterte er Sophie zu. »Wie schon gesagt – Teabing ist ein ziemliches Unikum.«
»Kommen wir zur ersten Frage«, erklärte Teabing in dramatischem Tonfall. »Was soll ich Ihnen servieren, Kaffee oder Tee?«
Langdon kannte Teabings Einstellung zur amerikanischen Vorliebe für Kaffee. »Tee!«, trumpfte er auf. »Earl Grey.«
»Ausgezeichnet. Nun die zweite Frage: Milch oder Zucker?«
Langdon zögerte.
»Milch«, flüsterte Sophie ihm ins Ohr. »Die Briten nehmen doch immer Milch zum Tee.«
»Milch«, sagte Langdon.
Keine Antwort.
»Zucker …?«
Immer noch keine Antwort.
Moment mal. Langdon erinnerte sich an das ätzende Gebräu, das ihm bei seinem letzten Besuch kredenzt worden war. »Zitrone«, sagte er. »Earl Grey mit viel Zitrone.«
»Ihr schlagt Euch wacker, kühner Streiter.« Teabing schien sich prächtig zu amüsieren. »Und zum Abschluss noch eine Frage, die schwerwiegender nicht sein könnte: In welchem Jahr