Sakrileg – The Da Vinci Code - Kapitel 32
Sie?«
»Er riecht, als hätte ihn jemand mit Alkohol abgerieben.« Langdon hielt den Schlüssel an die Nase und drehte ihn langsam. »Auf der Rückseite ist der Geruch stärker. Ja, das riecht wie ein Putzmittel auf Alkoholbasis. Man hat den Schlüssel damit abgerieben, oder …« Er hielt inne.
»Was ist?«
Er hielt den Schlüssel schräg gegen das Licht und betrachtete die glänzende Oberfläche des Goldkreuzes. Sie wirkte an manchen Stellen ein wenig stumpfer, als würde etwas daran haften.
»Haben Sie sich die Rückseite des Schlüssels genau angeschaut, bevor Sie ihn in die Tasche gesteckt haben?«
»Wie denn? Ich hatte es eilig!«
»Haben Sie noch den kleinen UV-Strahler?«
Sophie holte den Leucht-Pen aus der Tasche. Langdon nahm ihn, knipste ihn an und ließ den Strahl auf die Rückseite des Schlüssels fallen.
Sofort leuchtete eine Schrift auf, rasch, aber leserlich hingekritzelt. »Somit ist klar, was da nach Alkohol gerochen hat«, meinte Langdon.
Sophie betrachtete fasziniert die violetten Buchstaben hinten auf dem Schlüssel:
24 Rue Haxo
Eine Adresse! Großvater hat dir eine Adresse aufgeschrieben!
»Wo ist das?«, wollte Langdon wissen.
Sophie hatte keine Ahnung. Sie beugte sich zum Fahrer vor. »Connaissez-vous la Rue Haxo?«
Der Taxifahrer dachte kurz nach und erklärte, die Straße liege in einem westlichen Vorort in der Nähe des Tennisstadions. Sophie bat ihn, dorthin zu fahren.
»Der kürzeste Weg ist der durch den Bois de Boulogne. In Ordnung?«, erkundigte sich der Fahrer.
Sophie hob die Brauen. Sie hätte sich einen weniger anstößigen Weg vorstellen können, aber jetzt war nicht die Zeit, empfindlich zu sein. »Nur zu.« Unser Besucher aus Amerika wird den Schock schon überstehen.
Sophie betrachtete wieder den Schlüssel. Was würden sie an dieser Adresse vorfinden? Eine Kirche? Eine Art Hauptquartier der Prieuré de Sion?
Die Bilder des Geheimrituals, dessen Zeugin sie vor zehn Jahren in der Kellergrotte geworden war, drängten sich wieder in ihr Gedächtnis. »Robert, ich muss Ihnen noch viel erzählen«, sagte sie seufzend und sah Langdon in die Augen, während das Taxi mit hohem Tempo nach Westen fuhr. »Aber berichten Sie mir bitte zuerst, was Sie über diese Prieuré de Sion wissen.«
36. KAPITEL
Capitaine Bezu Fache stand vor dem Salle des États und hörte sich wutschnaubend den Bericht des Museumswächters Grouard an, der sich von Sophie und Langdon hatte entwaffnen lassen. Konnte der Kerl denn nicht einfach auf das verdammte Bild schießen?
»Capitaine!« Leutnant Collet kam von der Kommandozentrale zu ihm gerannt. »Wir bekommen gerade die Meldung, dass man den Wagen von Agentin Neveu gefunden hat.«
»Ist sie bis in die Botschaft gekommen?«
»Nein. Der Wagen stand vor einem Bahnhof. Sie haben zwei Bahntickets gekauft. Der Zug ist schon weg.«
Fache scheuchte Grouard davon und zog Collet in eine Fensternische. »Wohin fuhr der Zug?«, fragte er mit leiser, drängender Stimme.
»Nach Lille.«
»Vielleicht ist es ein Täuschungsmanöver«, sagte Fache. »Gut, lassen Sie den Zug auf alle Fälle am nächsten Bahnhof anhalten und durchsuchen. Neveus Auto bleibt erst mal stehen, wo es ist. Ein paar Beamte in Zivil sollen aufpassen, ob die beiden zum Wagen zurückkehren. Lassen Sie die Straßen der Umgebung absuchen, falls die Flüchtigen ihr Glück zu Fuß versuchen. Fahren an dem Bahnhof auch Busse ab?«
»Nein, Chef. Um diese Stunde stehen dort nur Taxis.«
»Gut. Lassen Sie die Fahrer befragen, vielleicht hat einer was gesehen. Geben Sie der Taxizentrale eine Beschreibung durch. Ich setze mich mit Interpol in Verbindung.«
Collet blickte Fache überrascht an. »Sie schreiben die beiden zur Fahndung durch Interpol aus?«
Fache wusste, dass dieser Schuss auch nach hinten losgehen konnte, sah aber keine andere Möglichkeit.
Man muss das Netz so schnell wie möglich zuziehen. Und so straff es nur geht.
Die erste Stunde war jedes Mal entscheidend. In der ersten Stunde war das Verhalten flüchtiger Personen noch vorhersehbar. Flüchtige brauchten immer drei Dinge: ein Fortbewegungsmittel, Geld und Unterschlupf. Die heilige Dreifaltigkeit. Und Interpol konnte dem in Sekundenschnelle einen Riegel vorschieben, indem sie sämtlichen Pariser Bahnhöfen, Flughäfen, Reisebüros, Hotels und Banken per E-Mail oder Fax ein Fahndungsfoto schickte. Dann war alles dicht. Die Flüchtigen konnten nicht aus der Stadt, konnten nirgendwo unterkriechen und nirgendwo an Bargeld kommen, ohne erkannt zu werden. Üblicherweise gerieten die Gesuchten irgendwann in Panik und verrieten sich, indem sie einen Wagen stahlen oder einen Raub begingen oder aus Verzweiflung die Scheckkarte benutzten. Egal, welchen Fehler sie machten – die Behörden konnten im Handumdrehen ihren Aufenthaltsort ermitteln.
»Wir lassen doch nur Langdon ausschreiben, oder? Sophie Neveu wohl nicht. Sie gehört schließlich zu unserem eigenen Stall.«
»Natürlich wird auch sie zur Fahndung ausgeschrieben, verdammt!«, rief Fache. »Was haben wir davon, wenn nach Langdon gefahndet wird, und Neveu kann nach Belieben die Drecksarbeit für ihn machen? Ich werde mir die Personalakte der Dame vornehmen, samt Freunden, Verwandten und persönlichen Kontakten – jeden, den sie um Hilfe bitten könnte. Es wird sie eine ganze Menge mehr kosten als bloß ihren Job!«
»Soll ich weiter am Telefon bleiben?«
»Nein. Fahren Sie zu dem Bahnhof und koordinieren Sie die ganze Sache. Ich betraue Sie mit der Leitung des Einsatzes dort. Aber unternehmen Sie nichts ohne Rücksprache mit mir!«
»Jawohl, Chef!«, rief Collet und rannte hinaus.
Fache stand wie erstarrt in der Fensternische. Draußen vor dem Fenster leuchtete die Glaspyramide. Im Wellengekräusel der Wasserbecken verzerrte sich ihr Spiegelbild.
Sie sind dir durch die Lappen gegangen, aber noch ist nicht aller Tage Abend. Entspann dich.
Eine Codeknackerin und ein Hochschullehrer.
Nicht mal bis zum Morgengrauen würden sie durchhalten.
37. KAPITEL
Der mit kleinen, dichten Wäldchen durchsetzte Landschaftspark Bois de Boulogne wurde von den Parisern mit vielerlei Namen belegt, meist aber nannten sie ihn den »Garten der Lüste«. Das mochte übertrieben klingen, war es aber nicht. Jeder, der schon einmal Hieronymus Boschs gleichnamiges unheimliches Gemälde gesehen hatte, begriff sofort, was gemeint war. Der Park und das Gemälde waren gleichermaßen düster und unübersichtlich, ein Tummelplatz für Freaks und Fetischisten. Die gewundenen Sträßchen des Parks wurden nachts von Hunderten meist spärlich bekleideter käuflicher Körper gesäumt, die den Kunden Befriedigung auch der geheimsten und bizarrsten Wünsche versprachen.
Während Langdon seine Gedanken ordnete, um Sophie von der Prieuré de Sion zu erzählen, passierte das Taxi die bewaldete Randzone des Parks und bog dann nach Westen auf die kopfsteingepflasterte Diagonalachse ein. Langdons Konzentration litt erheblich unter dem geisterhaften Anblick der nächtlichen Bewohner des Parks, die sich am Straßenrand feilboten und im Strahl der Scheinwerfer überall aus den Schatten auftauchten. Zwei barbusige, kaum der Pubertät entwachsene Mädchen warfen flammende Blicke ins Taxi. Ein Stück weiter ließ ein Schwarzer, der nur mit einem winzigen Stoffdreieck bekleidet war, die gut eingeölten Muskeln spielen. Neben ihm stand eine atemberaubende Blondine. Als sie ihren Minirock hob, offenbarte sich, dass sie weder blond noch eine Frau war.
Der Himmel steh mir bei! Langdon atmete tief durch und beschloss, den Blick lieber im Wageninnern zu belassen. Einen unpassenderen Hintergrund für das, was er nun berichten wollte, konnte es kaum geben.
»Legen Sie los«, drängte Sophie.
Langdon nickte. Er fragte sich, wo er am besten anfangen sollte. Die Geschichte der Prieuré de Sion umfasste mehr als ein Jahrtausend. Es war eine atemberaubende Chronik von düsteren Geheimnissen und brutaler Erpressung, bis hin zur grausamen Folter auf Geheiß eines zürnenden Papstes.
»Die Bruderschaft von Sion wurde im Jahr 1099 von einem französischen König von Jerusalem gegründet, Gottfried von Bouillon, der unmittelbar zuvor die Stadt eingenommen hatte.«
Sophie, deren Blick unverwandt auf Langdon ruhte, nickte.
»König Gottfried befand sich angeblich im Besitz eines machtvollen Geheimnisses, das seit den Tagen Christi in seiner Familie weitergereicht worden war. Aus Furcht, dieses Geheimnis könne mit seinem Tod untergehen, gründete er eine geheime Bruderschaft – die Prieuré de Sion –, die er mit der Aufgabe betraute, das Geheimnis wohl behütet von Generation zu Generation weiterzugeben. In den Jahren, als Gottfried König von Jerusalem war, kam der Bruderschaft ein Gerücht zu Ohren: Unter den Ruinen des Tempels des Herodes, der seinerseits auf den Ruinen des Tempels von König Salomon errichtet worden war, ruhte angeblich ein Schatz, der aus kostbaren Dokumenten bestand. Nach Ansicht der Prieuré untermauerten diese Dokumente Gottfried von Bouillons machtvolles Geheimnis. Sie waren von einer solchen Brisanz, dass die Kirche vor nichts zurückschrecken würde, um in ihren Besitz zu gelangen.«
Langdon hielt inne, und Sophie sah ihn abwartend an.
»Die Prieuré gelobte, diese Dokumente aus dem Schutt des Tempels zu bergen, wie lange es auch dauern mochte, und sie für alle Zeiten zu schützen, damit die Wahrheit niemals untergehen werde. Um an die Dokumente heranzukommen, bildete die Bruderschaft eine militärische Gruppierung, die aus neun Rittern bestand und den Namen ›Orden der armen Ritter Christi und vom Tempel Salomonis‹ führte – besser bekannt unter dem Namen Tempelritter.«
Sophie sah ihn überrascht an. Die Templer waren ihr wohlvertraut.
Langdon hatte oft genug Vorlesungen über die Tempelritter gehalten. Er wusste um ihre Bekanntheit und ihren legendären, geheimnisumwitterten Ruf, doch für die Geschichtswissenschaft war die Geschichte des Templerordens ein schwieriges Kapitel, bei dem Tatsachen, Legenden und bewusste Fehlinformationen sich in einer Weise miteinander vermischten, dass das Herausfiltern der Wahrheit nahezu unmöglich war. Inzwischen vermied es Langdon in seinen Vorlesungen, die Templer überhaupt zu erwähnen, da sich jedes Mal unweigerlich eine letztendlich fruchtlose Diskussion über alle möglichen und unmöglichen Verschwörungstheorien entspann.
Schon setzte auch Sophie zu einem Einwand an. »Sie behaupten, der Templerorden sei von der Prieuré de Sion gegründet worden, um eine Sammlung von Geheimdokumenten zu bergen? Ich dachte, die Templer sollten die Pilger im Heiligen Land schützen.«
»Das ist eine weit verbreitete Ansicht, aber sie ist falsch. Der Schutz der Pilger diente lediglich als Tarnung des wirklichen Ziels der Templer. Ihre wahre Absicht war, im Heiligen Land die Dokumente aus der Tiefe der Ruinen des altjüdischen Tempels zu bergen.«
»Hat es denn geklappt?«
Langdon grinste. »Das weiß man eben nicht genau. Aber die Gelehrten sind sich insofern einig, dass die Templer tief in den Trümmern irgendetwas gefunden haben müssen … etwas, das sie so