Sakrileg – The Da Vinci Code - Kapitel 15
Postskript. Er war fassungslos. P. S. Robert Langdon suchen! Er hatte das Gefühl, der Boden würde unter seinen Füßen nachgeben. Saunière hat in seinem Postskript ausgerechnet mich benannt? In seinen wildesten Träumen konnte Langdon sich nicht vorstellen, warum.
Robert Langdon suchen.
»Wozu hat Saunière das geschrieben?«, wunderte sich Langdon, der allmählich ärgerlich wurde. »Was sollte mir daran gelegen sein, Jacques Saunière umzubringen?«
»Was das Motiv angeht, tappt Fache noch im Dunkeln, aber er hat Ihr Gespräch vorhin aufnehmen lassen, weil er hofft, Sie könnten ihm eins liefern«, erklärte Sophie.
Langdon war sprachlos.
»Fache hat sich ein Minimikrofon angesteckt. Über einen Sender in seiner Tasche wurde alles in die Einsatzzentrale übertragen.«
»Das gibt’s doch nicht«, sagte Langdon. »Ich habe ein Alibi, verdammt! Ich bin nach meinem Vortrag sofort in mein Hotel zurück. Sie können sich an der Rezeption erkundigen.«
»Das hat Fache bereits getan. In seinem Bericht steht, Sie hätten sich gegen 22.30 Uhr am Empfang den Schlüssel geben lassen. Unglücklicherweise liegt die Tatzeit eher bei 23 Uhr. Sie hätten das Hotel ohne weiteres unbemerkt wieder verlassen können.«
»Das ist doch Wahnsinn. Fache hat keinerlei Beweis!«
Sophie schaute ihn mit großen Augen an, als wollte sie sagen: Von wegen, keinerlei Beweis! »Mr Langdon, Ihr Name steht neben der Leiche auf dem Boden, und im Terminkalender des Opfers sind Sie für ungefähr die Zeit eingetragen, als der Mord geschah.« Sie machte eine vielsagende Pause. »Fache hat mehr als genug Beweise, um Sie einzubuchten.«
Langdon wurde plötzlich klar, dass er einen Anwalt brauchte. »Ich war es nicht!«
»Mr Langdon, wir sind hier nicht in einer amerikanischen Fernsehserie.« Sophie seufzte. »In Frankreich schützt das Gesetz die Polizei und nicht den Verdächtigen. Leider muss man im vorliegenden Fall auch die Reaktion der Medien in Betracht ziehen. Jacques Saunière war eine sehr bekannte und beliebte Pariser Persönlichkeit. Morgen früh ist der Mord Thema Nummer eins in den Nachrichten. Fache kommt nicht darum herum, sofort eine Erklärung abzugeben. Er wird eine wesentlich bessere Figur machen, wenn er gleich einen Verdächtigen präsentieren kann. Ob Sie nun schuldig sind oder nicht, das DCPJ wird Sie jedenfalls hinter Schloss und Riegel schmoren lassen, bis es seine Ermittlungen abgeschlossen hat.«
Langdon kam sich vor wie ein Tier im Käfig. »Warum erzählen Sie mir das eigentlich?«
»Weil ich Sie für unschuldig halte, Mr Langdon.« Sophie senkte einen Moment den Blick. »Und weil es zum Teil auch meine Schuld ist, dass Sie in diese Lage geraten sind.«
»Wie bitte? Es ist Ihre Schuld, dass Saunière mich aufs Kreuz legen wollte?«
»Saunière hat Sie nicht aufs Kreuz legen wollen, Mr Langdon. Das Ganze ist ein Missverständnis. Die Botschaft war für mich bestimmt.«
Langdon brauchte ein paar Sekunden, um diese Worte zu verdauen. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen …«
»Die Botschaft war gar nicht für die Polizei gedacht. Saunière hat sie für mich geschrieben. Ich glaube, er war gezwungen, alles in so großer Eile zu erledigen, dass er nicht darüber nachdenken konnte, wie es möglicherweise auf die Polizei wirkt.« Sie machte eine kurze Pause. »Der Zahlencode hat nichts zu bedeuten. Saunière hat ihn nur deshalb niedergeschrieben, damit die Dechiffrierabteilung in die Ermittlungen mit einbezogen wird. Auf diese Weise hat er dafür gesorgt, dass ich umgehend erfahre, was ihm zugestoßen ist.«
Langdon versuchte mühsam, die Übersicht zu behalten. Ob Sophie Neveu nicht alle Tassen im Schrank hatte oder doch, war im Augenblick nicht die Frage, doch Langdon begriff jetzt wenigstens, warum sie ihm zu helfen versuchte. P. S. Robert Langdon suchen! »Was bringt Sie auf die Idee, die Botschaft sei für Sie bestimmt gewesen?«
»Die Proportionsstudie nach Vitruv«, sagte sie. »Diese Zeichnung war schon immer mein Lieblingswerk von Leonardo da Vinci. Heute Nacht hat Saunière sie benutzt, um mich auf den Plan zu bringen.«
»Langsam. Soll das heißen, der Direktor des Louvre hätte Ihre Lieblingszeichnung gekannt?«
Sie nickte. »Tut mir Leid, das geht jetzt alles ein bisschen durcheinander. Jacques Saunière und ich …«
Ihre Stimme versagte. Robert Langdon spürte ihre plötzliche Traurigkeit, die Erinnerung an eine schmerzliche Vergangenheit, die dicht unter der Oberfläche schwärte. Zwischen Sophie und Jacques Saunière hatte offensichtlich ein besonderes Verhältnis bestanden … Er betrachtete eingehend die schöne junge Frau, die vor ihm stand. In Frankreich pflegten sich ältere Herren oft eine junge Geliebte zuzulegen, doch Langdon konnte sich Sophie Neveu irgendwie nicht in der Rolle einer Mätresse vorstellen.
»Wir hatten vor zehn Jahren ein Zerwürfnis«, sagte Sophie fast im Flüsterton. »Seitdem haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Als meine Abteilung heute Nacht die Nachricht bekam, dass man ihn ermordet hatte, und ich anschließend das Foto seiner Leiche und den Text zu sehen bekam, wurde mir klar, dass er mir eine Botschaft schicken wollte.«
»Wegen der Proportionsstudie nach Vitruv?«
»Das auch. Aber vor allem wegen der Buchstaben P. S.«
»Für Postskriptum.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das sind meine Initialen.«
»Aber Sie heißen doch Sophie Neveu.«
Sie mied seinen Blick. »P. S. war mein Kosename, als wir noch zusammengelebt haben.« Sie errötete. »Es ist die Abkürzung von Prinzessin Sophie.«
Langdon wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
»Es ist albern, ich weiß. Aber das ist schon viele Jahre her. Ich war damals ein kleines Mädchen.«
»Sie haben Saunière schon als kleines Mädchen gekannt?«
»Sehr gut sogar«, sagte sie. Ihre Augen wurden feucht. »Jacques Saunière war mein Großvater.«
14. KAPITEL
Wo ist Langdon?«, fauchte Fache, als er die Einsatzzentrale betrat, und blies den letzten Rauch seiner Zigarette durch die Nasenlöcher.
»Immer noch auf dem Klo, Monsieur.« Leutnant Collet hatte bereits mit dieser Frage gerechnet.
»Der Mann braucht ja eine Ewigkeit«, murrte Fache.
Er betrachtete über Collets Schulter hinweg den roten Punkt. Collet konnte die Rädchen in Faches Gehirn surren hören. Sein Chef kämpfte mit dem Verlangen, zu den Toilettenräumen zu gehen und nachzusehen. Im Idealfall wurden einer überwachten Person Zeit und Bewegungsfreiheit in Hülle und Fülle gewährt, um den Verdächtigen in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Langdon musste aus eigenen Stücken zurückkommen. Aber trotzdem – er war jetzt schon zehn Minuten fort.
Zu lange.
»Könnte er was gemerkt haben?«, wollte Fache wissen.
Collet schüttelte den Kopf. »Wir sehen immer noch kleine Bewegungen innerhalb der Herrentoilette, also muss der Sender noch am Mann sein. Wenn er den Knopf gefunden hätte, hätte er ihn weggeworfen und abzuhauen versucht.«
Fache sah auf die Uhr. »Also gut.« Dennoch schien ihm irgendetwas zu schaffen zu machen.
Collet spürte, dass sein Capitaine unter einer untypischen Spannung stand. Fache, der gewöhnlich auch unter Stress souverän und kühl handelte, schien heute Nacht gefühlsmäßig stark engagiert zu sein – als würde es sich um eine persönliche Angelegenheit handeln.
Kaum verwunderlich, dachte Collet. Fache braucht dringend einen Erfolg. In jüngster Zeit waren Faches aggressive Ermittlungstaktiken, sein Kleinkrieg mit mächtigen ausländischen Botschaften und seine maßlosen Budgetüberschreitungen für die Beschaffung modernster Technologien ins Kreuzfeuer der Kritik von Seiten seines vorgesetzten Ministeriums und der Medien geraten. Wenn ihm heute Nacht eine auf Hochtechnologie gestützte spektakuläre Verhaftung eines Amerikaners gelang, dürften seinen Kritikern auf absehbare Zeit der Wind aus den Segeln genommen und Faches Job noch für die paar Jahre gesichert sein, bis er sich mit einer großzügig bemessenen Pension in den Ruhestand zurückziehen konnte.
Und die Pension wird er brauchen, dachte Collet. Faches Begeisterung für die neuen Technologien hatte ihm nicht nur beruflich geschadet, sondern auch privat. Es wurde gemunkelt, Fache hätte vor ein paar Jahren sein gesamtes Vermögen in den Neuen Markt investiert und alles bis auf das letzte Hemd verloren. Und Fache ist ein Mann, der nur teure Hemden trägt.
Aber heute Nacht war noch genug Zeit. Sophie Neveus ungelegener Auftritt war zwar störend gewesen, aber letztlich belanglos. Sie hatte sich inzwischen verzogen. Und Fache hatte immer noch einige Asse im Ärmel. Als Nächstes würde er Langdon damit konfrontieren, dass das Opfer seinen Namen auf den Boden geschrieben hatte: P. S. Robert Langdon suchen. Die Reaktion des Amerikaners auf dieses kleine Detail würde bestimmt sehr aufschlussreich werden.
»Capitaine«, rief ein Beamter von der anderen Seite des Raumes herüber, »ich glaube, Sie sollten dieses Gespräch annehmen.« Mit besorgter Miene hielt er einen Telefonhörer hoch.
»Wer ist dran?«, wollte Fache wissen.
»Der Chef unserer Dechiffrierabteilung.«
»Was ist denn los?«
»Es geht um Sophie Neveu. Da stimmt was nicht.«
15. KAPITEL
Die Zeit war gekommen.
Silas stieg aus dem schwarzen Audi. Er fühlte sich stark. Seine weite Kutte flatterte leicht in der nächtlichen Brise. Der Sturm der Veränderung kündigt sich an. Die vor ihm liegende Aufgabe war nicht mit Gewalt zu bewältigen. Sie verlangte vor allem Fingerspitzengefühl. Silas ließ die dreizehnschüssige Heckler & Koch USP 40, die der Lehrer ihm besorgt hatte, im Wagen.
Eine todbringende Waffe gehört nicht in ein Gotteshaus.
Der Platz vor der Kirche war zu dieser Stunde fast menschenleer; nur ein trauriges Häuflein minderjähriger Nutten, die ein paar Nachtschwärmer durch fleißiges Vorzeigen ihrer Auslagen anzumachen versuchten, war zu sehen. Das Aufblitzen ihrer weißen Haut weckte in Silas’ Lenden eine nur allzu bekannte Sehnsucht. Instinktiv spannte er den Oberschenkel an. Die Dornen des Bußgürtels gruben sich noch tiefer in sein sündiges Fleisch. Die Anwandlung der Lust war augenblicklich vorüber.
Seit zehn Jahren hatte sich Silas jegliche sexuelle Betätigung versagt, sogar die der einsamen Sünde. Der Weg verlangte es so. Er hatte es auf sich genommen, für die Gefolgschaft bei Opus Dei sehr viel zu opfern, doch er hatte noch viel, viel mehr dafür zurückbekommen. Überdies waren ihm das Keuschheitsgelübde und der Verzicht auf persönlichen Besitz kaum wie ein Opfer erschienen. Angesichts des Elends, aus dem er hervorgegangen war, und der sexuellen Scheußlichkeiten, die er im Gefängnis über sich ergehen lassen musste, empfand er Keuschheit und Armut beinahe als willkommen.
Zum ersten Mal seit seiner Verhaftung und Deportation nach Andorra war Silas nach Frankreich zurückgekehrt. Er hatte das Gefühl, von seinem Heimatland auf die Probe gestellt zu werden, indem es seine gerettete Seele mit den Erinnerungen an die gewaltsame Vergangenheit konfrontierte. Du