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Perlmanns Schweigen - Teil 81

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Zurückgebliebenen auf die Uhr und sagte in monotonem, abwesendem Ton:«Noch gut zwei Stunden. »

Während sie darauf wartete, daß er fortfuhr, steckte Evelyn Mistral die Hände in die Taschen der Jacke, kreuzte die Beine und schlüpfte mit dem einen Fuß halb aus dem Schuh. Nach einer Pause, die wie eine Ewigkeit war, hob sie den Blick vom Pflaster.

«Forget it», sagte sie, warf ihm aus halbgeschlossenen Augen einen kurzen Blick zu und wandte sich zum Gehen.

«No, por favor, no», sagte Perlmann hastig, faßte sie am Arm und zog sie, indem er ein hupendes Auto zur Vollbremsung zwang, über die Straße.

Drüben angekommen löste sie sich sanft und sah ihn unsicher an. «¿Seguro?»

Perlmann nickte nur und ging voran in die Nebenstraße. Nicht einmal jetzt bin ich imstande, eine Grenzlinie um mich herum zu ziehen und nein zu sagen. Nicht einmal jetzt, wo es um alles geht.

Er hatte gerade aufgeschlossen, und Evelyn Mistral hatte bereits die Wagentür in der Hand, da schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

«Ach, verdammt», rief sie aus,«das geht ja gar nicht. Ich muß doch auf diesen blöden Anruf aus Genf warten!»Und dann erzählte sie Perlmann über das Autodach hinweg von ihrem Ärger mit der gescheiterten Finanzierung eines Projekts.

Als er dann im Auto saß und ihr im Rückspiegel nachblickte, sah er, wie sie sich, bevor sie um die Ecke bog, noch einmal umdrehte und dabei das Haar aus dem Gesicht strich. Kaum war sie verschwunden, fing er am ganzen Körper an zu zittern. Dieses Zittern war viel heftiger als vorhin bei der Unterschrift, und er war ganz sicher, daß es niemals wieder aufhören würde.

35

Kurz vor der Autobahnauffahrt bei Rapallo fand er einen Müllcontainer, wo er sich nicht beobachtet fühlte. Er hatte bis hierher fast dreiviertel Stunden gebraucht. Denn kaum hatte er die Nebenstraße beim Rathaus verlassen, war er in eine Reihe von Verkehrsstockungen geraten, hervorgerufen durch Lieferwagen, die, wie damals in Genua, ungeniert mitten auf der Straße hielten, um ihre Ware abzuladen. Seine ganze Verzweiflung hatte sich in eine grenzenlose, irrsinnige Wut auf die Fahrer dieser Lieferwagen verwandelt, die, wenn sie den leeren Wagen hinten zugemacht hatten, aufreizend langsam nach vorne gingen und dabei oft noch mit einem Bekannten ein paar Worte wechselten, bevor sie endlich losfuhren. Schwitzend hatte er das Fenster heruntergelassen, dann aber sofort wieder zugemacht, weil er das wütende Gehupe in der Schlange nicht aushielt. Die Krawatte hatte er zusammen mit der Medaille und der Urkunde nach hinten auf den Sitz geschleudert. Immer von neuem hatte es ihn gedrängt sich, auszumalen, was geschehen wäre, hätte Evelyn Mistral den Anruf vergessen. Doch eine lähmende Müdigkeit im Kopf hatte jeden Versuch, es sich vorzustellen, versanden lassen.

Jetzt setzte er den Handkoffer ab und schob den schweren Deckel des Containers mit beiden Händen nach hinten. Ein beißender Geruch von vermoderndem Gemüse schlug ihm entgegen. Der halbe Container war voll von braunem, fast schon schwarzem Kohl, der einen warmen, stinkenden Dunst ausströmte. Perlmann machte den Koffer auf und sah sich um. Es war vollkommen gleichgültig, ob die Frau am Steuer des ankommenden Wagens es sehen würde oder nicht. Trotzdem ließ er sie vorbeifahren, ehe er die Wäschetüte und die beiden gefährlichen Texte auf den Kohl kippte. Dann sah er mit zugehaltener Nase gebannt zu, wie die Blätter die dunkle Schmiere, die sich zwischen den Kohlköpfen gebildet hatte, aufsaugten. So ähnlich hatte er sich die spätere Vernichtung des betrügerischen Texts vorgestellt, als er in Portofino auf dem Bett lag. Was ihn dort gequält hatte, kam ihm jetzt wie eine Lappalie vor, kaum der Rede wert, und er hätte alles darum gegeben, wenn sich die Zeit um diese achtundvierzig Stunden hätte zurückdrehen lassen.

Aus dem Kofferraum holte er die vier Bücher. Als erstes warf er den gelben Langenscheidt auf den stinkenden Kohl. Beim Aufprall gurgelte es träge. Jetzt das russisch-italienische Wörterbuch. Perlmann zuckte zurück, als der dunkle Saft aufspritzte. Dann kam das große, rote Lexikon. Es traf halb geöffnet auf den braunen Brei, und das gräuliche Papier fing sich sofort an zu wellen. Am längsten zögerte er bei der Grammatik. Er schlug sie auf und blätterte. Es gab da verschiedene Schichten von akribischen Randnotizen, zeitlich gestaffelte Ablagerungen von Aneignungsarbeit, die man an der unterschiedlichen Tinte erkennen konnte. Wenn man aus einer gewissen inneren Distanz heraus, mit halbgeschlossenen Augen, darauf blickte, so war es, als sähe man durch einen langen Erinnerungskorridor hindurch weit in die eigene Vergangenheit hinein. Was er hier in der Hand hielt, dachte er, war etwas vom Echtesten, Wirklichsten, was es in seinem Leben gegeben hatte. Zu Hause, in Agnes’ Bücherregalen, die immer noch vollständig unberührt waren, gab es die gleiche Grammatik noch einmal. Als Perlmann merkte, wie ungereimt es war, sich an diesen Gedanken zu klammern, klappte er das Buch mit forcierter Entschiedenheit zu und warf es hinein. Noch ehe er das dumpfe Geräusch des Aufschlags hörte, hatte er sich schon abgewandt.

Er stellte den leeren Handkoffer zurück auf den Rücksitz. Die Medaille und die Urkunde. Er hatte sie schon in der Hand und machte einen Schritt auf den Container zu, da hielt er inne. Nein, natürlich nicht. Sie müssen im Auto gefunden werden. Er setzte sich ans Steuer.

Die vielen Tunnel auf der Strecke waren eine Tortur. Gestern abend im Dunkeln war es ihm nicht so gegangen, jetzt aber sah er in jedem Lichterpaar, das auf der Gegenfahrbahn aus dem Tunnel kam, einen Lastwagen. Er war froh über die staubigen Sträucher und die beiden Leitplanken zwischen den Fahrbahnen. Trotzdem bekam er vor jedem Tunnel Herzklopfen. Einen kurzen Moment lang wünschte er, die beiden Fahrtrichtungen würden auch oben am Berg, wo er nachher mit Leskov entlangfuhr, durch zwei verschiedene Tunnel laufen. Es war kein Wunsch, der zu einem Gedanken wurde, und er hinterließ im Gedächtnis keinerlei Spur.

Beim Aussteigen am Flughafen merkte er, daß der Blazer am Rücken klatschnaß war und an der ledernen Sitzlehne klebte. Er schloß ab und war schon einige Schritte gegangen, da drehte er um und ging noch einmal zurück zum Auto. Es war besser, die Handbremse jetzt schon zu lösen. Nachher war da Leskovs Bein. Es war das letzte Mal, dachte er, als er den Hebel nach unten drückte.

Als sein Blick beim Betreten der Ankunftshalle auf die Digitaluhr an der Wand fiel, zeigte sie gerade noch 14.00 an. Doch einen winzigen Augenblick später, noch in der Spanne desselben Blicks, wechselte die Anzeige auf 14.01. Die Ziffer 01 und die Wahrnehmung ihres lautlosen Erscheinens wirkten auf Perlmann wie ein Signal: Die ihm verbleibende Zeit ließ sich nun bereits in Minuten ausdrücken. Er spürte das Blut pochen, und die freudigen Ausrufe der gerade ankommenden Passagiere und wartenden Kinder drangen nur wie aus weiter Ferne zu ihm, während er auf die Uhr starrte, bis es fünf nach zwei war. Dann stellte er seine Armbanduhr. Es war ihm nicht möglich, sich gegen die vollständige Sinnlosigkeit dieses Tuns zu wehren.

Der Flug aus Frankfurt war längst auf dem Monitor und auch schon auf der schwarzen Anzeigetafel. Perlmann lehnte sich gegen einen Pfeiler, zündete automatisch die letzte Zigarette aus dieser Packung an und warf die Schachtel in den Abfallbehälter neben sich. Er hätte mit den verrinnenden Minuten gern mehr angefangen, als den schwarzen Gummibelag des Fußbodens zu betrachten. Aber in seinem Kopf wollte sich nichts mehr bewegen, das Denken war wie eingetrocknet, und selbst die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit schien er verloren zu haben. Nur sein Körper war da, plump und abstoßend. Die Kopfhaut juckte, er kratzte sich blutig und wischte danach automatisch die Schuppen vom Blazer. Die kaum getragenen Schuhe drückten, und als er sich bückte, um sie lockerer zu schnüren, begann die eiskalte Nase zu laufen.

Und dann plötzlich jagten sich die Gedanken. Die anderen hatten im Rathaus seine zitternde Hand gesehen, und sie würden daran denken, wenn sie von dem Unfall erfuhren. Er sah Ruge vor sich, wie er die geflickte Brille schräg stellte und am Unfallort nachdenklich den leeren Handkoffer betrachtete. Es würde bekannt werden, daß Leskov nicht angeschnallt war, und dann würden von Levetzov und Millar sich wortlos ansehen. Man würde es sonderbar finden, daß er praktisch kein Geld bei sich gehabt und die Kreditkarten im Koffer gelassen hatte. Und das Fünfmarkstück, um Gottes willen, es wird mich verraten, der Wagen ist noch kaum gefahren, und ich bin wahrscheinlich der einzige Deutsche, der ihn hatte. Perlmann verspürte den blinden Impuls, zum Auto hinauszurennen, aber da war bereits der nächste Gedanke: Die Schaufel, warum war im Lehmhaufen eine Schaufel, was mache ich, wenn nachher genau an dieser Stelle jemand arbeitet. Der Gedanke wurde von einem weiteren weggewischt: Kirsten. Sie wird sich fragen, wo die Russischbücher geblieben sind, vor allem das große Lexikon mit dem unangenehmen Papier, das Martin nicht kennt. Sie wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen, sie ist eigensinnig und kann stur sein, sie wird die anderen fragen, jeden einzelnen, und dieses Rätsel wird sich in den Köpfen mit den anderen Merkwürdigkeiten, wie etwa der ausgefallenen Route, verbinden. Und dann fiel in die Anspannung dieser Gedankenflucht hinein noch ein letzter Gedanke, und der ließ Perlmann erstarren: Die Alte. Sollte sie in der Lokalpresse ein Foto der Toten zu sehen bekommen, wird sie reden. Es war idiotisch, einfach hirnverbrannt, sie anzusprechen und die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, dazu noch mit dieser schwachsinnigen Geschichte von einem Film. Hoffentlich bin ich nachher nicht mehr zu erkennen.

Perlmann hielt es nicht mehr aus herumzustehen und ging in Richtung Abflughalle. Bevor er die Rolltreppe betrat, warf er einen Blick auf

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