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Perlmanns Schweigen - Teil 27

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er Agnes damit auf die Nerven, daß er sich in kindischer Empörung beklagte, niemand habe ihm etwas davon gesagt. Anfänglich verfiel er leicht in ein Romantisieren anderer Berufe, vor allem derjenigen, die weit ab von seinem eigenen lagen. Inzwischen war sein Blick nüchterner geworden, analytischer, und bestimmt durch die immer selbe Frage, ob es ihm in einem anderen Beruf leichter geworden wäre, Gegenwart zu erleben.

Heute nacht haderte Perlmann mit seinen toten Eltern, denn er meinte einen klaren ursächlichen Zusammenhang zu sehen zwischen den unverrückbaren, in ihrer Starrheit dogmatischen Erwartungen, die sie an ihr einziges Kind herangetragen hatten, und der fatalen Lage und inneren Not, in der er sich gegenwärtig befand. Turmhohe Wellen des Anklagens, der Vorhaltung, des Vorrechnens von Schuld und Versäumnis begruben ihn unter sich und rissen ihn, entgegen aller Anstrengung der Vernunft, mit sich fort. Als es auf zwei Uhr ging, nahm er eine halbe Schlaftablette. Um drei spülte er auch noch die andere Hälfte hinunter.

Er spielte die As-Dur-Polonaise vor einem Publikum, das sich endlos nach hinten in die Dunkelheit des Saales auszudehnen schien. Er wußte, er mußte sich ganz aufs Spielen konzentrieren, alles hing jetzt davon ab, daß er keinen Fehler machte. Statt dessen starrte er ins Dunkel des Saals und suchte Millar, er wußte, seine blitzende Brille war da irgendwo, aber er konnte sie nirgends entdecken, die Augen tränten ihm vor Anstrengung. Dann tauchte plötzlich Evelyn Mistrals Gesicht auf, mit strahlendem Lachen, er wollte sie etwas fragen, aber inzwischen war es Hannas Gesicht, das ihn prüfend betrachtete, es war Hannas Gesicht und auch dasjenige von Laura Sand, spöttisch und weiß und still. Von Beginn an hörte er die Angststelle wie ein paradoxes, zeitlich vorausgehendes Echo, er wußte, daß er sich nicht auf sich verlassen konnte, daß es eine Frage des Zufalls war, ob die Finger es richtig machen würden, ob sie sich gegen den lähmenden Einfluß der Angst würden behaupten können, er schwitzte an den Händen, der Schweiß wurde immer mehr, er schob sich zwischen Finger und Tasten, die Finger glitten aus, jetzt kam die Stelle, er hörte ganz laut, wie sie klingen mußte, aber er konnte nichts machen, die Finger griffen nicht mehr, es war eine Empfindung grenzenloser Ohnmacht, und dann wachte er auf mit trockenen und sehr kalten Händen, die er sofort unter die Decke schob.

9

Die Wirkung der Tablette lag ihm noch schwer über den Augen, und dennoch konnte er nicht mehr einschlafen. Während das erste, fahle Licht der Bucht eine unwirkliche Gegenwart verlieh, verwandelte sich die unsichtbare Traumgestalt Millars in die reale Person, der er beweisen mußte, daß er sich bei Bach besser auskannte. Aber wie sollte er diesen Beweis führen? Sich die Partitur zu besorgen, war keine Lösung; es durfte um keinen Preis so aussehen, als habe er etwas Besonderes unternommen. Worauf es ankam, wenn er ihn auf seinen Irrtum aufmerksam machte, war die schneidende Beiläufigkeit desjenigen, dem diese Dinge seit Jahrzehnten geläufig waren. Die Platte, von der Hanna gesprochen hatte. Damit ließe sich beweisen, daß es ein zweifacher Irrtum war: Nicht nur war die Werkangabe falsch, sondern auch die Behauptung, es gebe keine Aufnahme. Die Geschichte mit der Trouvaille bekäme dadurch nachträglich einen lächerlichen Klang. Perlmann hörte noch einmal Millars unmögliche Aussprache des französischen Worts, man hatte zweimal überlegen müssen, bevor man verstand. Aber mit der Platte war es ähnlich wie mit der Partitur: Wie kam es, daß er sie bei sich hatte? Eine Cassette wäre leichter zu erklären; mit einem Walkman etwa. Er konnte sich doch nicht auch noch eine dieser kleinen CD-Anlagen kaufen, die an die tausend Mark kosten durften. Oder doch?

I happened to see it and just picked it up. Das hatte genau die richtige Beiläufigkeit, dachte Perlmann beim Rasieren. Und dazu hatte der Satz, wenn der richtige Tonfall gelang, einen weltläufigen Touch. Ferner erklärte die Bemerkung, warum er die Sache erst morgen erwähnte. Auf die CD-Anlage im Salon hatte Signora Morelli bereits bei seiner Ankunft hingewiesen.

Er entspannte sich, und als er zum Hörer griff, um Kaffee zu bestellen, bekam er plötzlich Lust, Millar heute morgen gegenüberzusitzen, gestärkt durch das Geheimnis seines Plans. Auf der Treppe kam es ihm vor, als schwämme sein Gehirn im Schädel. Aber irgendwie würde es schon gehen. Punkt acht betrat er den Speisesaal.

Außer dem rothaarigen Mann vom Schwimmbecken war kein Mensch im Raum. Perlmann grüßte und setzte sich in die andere Ecke. Bei einem Kellner, den er noch nie gesehen hatte, bestellte er zögernd das Frühstück. Da erschien Evelyn Mistral in der Tür und ging überrascht auf ihn zu. Sie hatte einen Pullover über die Schultern gelegt, und das Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Doch, doch, sagte sie, für gewöhnlich sei das gemeinsame Frühstück um acht, nur für den Sonntag hätten sie neun vereinbart. Aber das sei ihr heute zu spät. Es war ihr sichtlich peinlich, ihn, den Leiter der Gruppe, darüber aufklären zu müssen, sie rückte das Geschirr zurecht und wechselte rasch das Thema.

«Du wirst es nicht glauben», sagte sie,«aber der Rothaarige heißt John Smith. Kommt aus Carson City, Nevada. Neulich hat er Brian angesprochen, sozusagen von Amerikaner zu Amerikaner. Ist ein stinkreicher Typ, der den Winter hier verbringt. It figures, sagte Brian zu ihm, als er sich am Schluß mit Namen vorstellte. Wenn Brian jemanden verachtet, dann aber richtig», lächelte sie.

«Und das dürfte nicht allzu selten der Fall sein», entfuhr es Perlmann.

Ihre Hand mit dem Hörnchen hielt mitten in der Bewegung inne.«Du magst ihn nicht besonders, nicht?»

Perlmann nahm einen Schluck Kaffee. Das Gehirn schwamm.«Ich finde ihn ganz in Ordnung», sagte er,«freilich leidet er nicht gerade unter einem Mangel an Selbstbewußtsein. »

Sie lachte.«Das stimmt. Etwas allerdings gibt es, mit dem er überhaupt nicht zurechtkommt, und das ist Lauras Art von Ironie. Da wird er ganz hilflos und zappelt wie ein kleiner Junge. Aber sonst fühlt er sich allem gewachsen – um es einmal so auszudrücken. »Sie faßte sich an den Pferdeschwanz, und auf der Stirn erschien der rötliche Streifen.«Neulich in der Sitzung habe ich mich sehr darüber geärgert, wie er mich behandelt hat. Irgendwie herablassend, fand ich. – Aber gespielt hat er wunderbar, gestern abend, fandest du nicht auch?»

«Ja… doch», sagte Perlmann mit einem Stocken, als sei er über eine Schwelle gestolpert.

Nur die Verzögerung in der Bewegung ihres Messers verriet, daß sie das Stocken bemerkt hatte.«Ich wünschte, ich hätte auch ein Instrument gelernt», sagte sie, und erst jetzt sah sie ihn an.«Papa hat mich gedrängt; aber damals hatte ich irgendwie keine Lust. Juan, mein kleiner Bruder, hat es besser gemacht. Er spielt Cello. Nicht besonders, aber es macht ihm Spaß. »

Und du, spielst du ein Instrument? Er mußte die Frage um jeden Preis verhindern, und so fragte er sie weiter nach juan und der ganzen Familie, einschließlich der Großeltern, man hätte meinen können, er suche Stoff für eine Familiensaga.

Sie waren unter der Tür des Speisesaals, da kamen von Levetzov und Millar die Treppe herunter. Sie warfen sich einen Blick zu, der Evelyn Mistral nicht entging. Sie hob den Arm, machte mit den Fingern eine gezierte Bewegung wie bei einem Triller auf dem Klavier, hängte sich lächelnd bei Perlmann ein und steuerte ihn durch die Tür hinaus auf die Freitreppe zu. Erst auf der Promenade unten sah sie ihn an, und dann brachen sie beide in Lachen aus.

Sie blieb bei ihm eingehängt, während sie am Hafen entlangspazierten. Das Gehen tat Perlmann gut, und der Druck über den Augen ließ allmählich nach. Eingehüllt in die restliche Nachwirkung der Tablette, die wie ein schützender Filter über allem lag, überließ er sich der Einbildungskraft, die ihm sagte, daß er diesen strahlenden Herbstmorgen mit den feinen Nebelschwaden über dem glatten, funkelnden Wasser genoß. Die Gegenwart war zum Greifen nahe, als ihm Evelyn Mistral, die das Haar inzwischen gelöst hatte, Salamanca beschrieb, und er war ganz sicher, daß das sein nächstes Reiseziel sein würde.

Als sie um die Ecke bogen und plötzlich vor einer Kirche standen, trat gerade ein Brautpaar heraus. Er wünschte, das Fotografieren, Gratulieren und Scherzen würde noch viel länger dauern, und war enttäuscht, wie schnell alle plötzlich in die Autos stiegen und übermütig hupend wegfuhren.

Schließlich hängte sich Evelyn Mistral erneut bei ihm ein und zog ihn sanft fort. Es sei schon bald halb zwölf, meinte sie, und sie habe heute noch viel vor.«Morgen in vierzehn Tagen bin ich ja schon dran!»Maria schreibe zwar bereits an ihrem ersten Kapitel, aber im zweiten gebe es noch so viele Lücken und Ungereimtheiten, es sei zum Verzweifeln.«Und wenn ich dran denke, daß da Brian, Achim und Adrian sitzen werden… »

Auf dem Rückweg hatte Perlmann das Gefühl, daß sein Schluckreflex nicht mehr funktionierte und daß er ihn alle paar Sekunden durch eine vorsätzliche, beinahe schon geplante Handlung ersetzen mußte. Das habe nichts zu bedeuten, sagte er, als sie ihn fragte, warum er plötzlich so schweigsam sei.

Im Hotel zog er die Vorhänge zu und legte sich ins Bett. Es war verblüffend, dachte er, wie wenig er sich im Inneren gegen das konventionelle Getue vor der Kirche aufgelehnt hatte. Wie hatte die Braut eigentlich ausgesehen? Ihre Gesichtszüge waren auf einmal seltsam verwischt, und er versuchte vergeblich, dem Gesicht seine scharfen Konturen zurückzugeben. Darüber schlief er ein.

Es war schon nach drei Uhr, als er aufwachte. Er duschte lange, ließ Kaffee und ein belegtes Brot kommen und setzte sich dann an Leskovs Text. Heute wollte er fertig werden. Damit er morgen mit seinem Beitrag beginnen konnte. Bei der Trattoria würde er nur ganz kurz vorbeigehen, um nach Sandra zu

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