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Perlmanns Schweigen - Teil 131

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kaufen? Es gelang ihm, seine Müdigkeit wie einen Puffer zwischen sich und diese Frage zu schieben, und eine Weile spann er diesen Gedanken weiter: Es kam darauf an, diese Müdigkeit, die viel zu tief saß, um noch jemals ganz zu verschwinden, zu einer schützenden Hülle auszubauen – zu einem Ersatz für Gelassenheit.

In dem Umschlag von Frau Hartwig, den er jetzt aufmachte, waren lauter Anfragen und Aufforderungen mit inzwischen abgelaufenen Fristen. Er warf alles in den Papierkorb. Den Brief aus Princeton ließ er in der Schublade des Schreibtischs verschwinden. Dann brachte er die Chronik zusammen mit dem schwarzen Wachstuchheft in die Küche zu den alten Zeitungen.

Anschließend saß er lange an dem vollständig leeren Schreibtisch. Von Zeit zu Zeit strich er über die glänzende Fläche. In der nächsten Zeit kam es darauf an, wenig zu denken, und auch das langsam. Vor allem wollte er nicht in Sätzen denken, in artikulierten, ausformulierten Sätzen, die er innerlich hörte. Für lange, sehr lange Zeit wollte er nicht mehr nach Wörtern suchen, Wörter abwägen, Wörter vergleichen. Sein Denken sollte sich darin erschöpfen, daß er bestimmte Dinge tat statt anderer, daß er nach links ging statt nach rechts, in dieses Zimmer statt in jenes, daß er diesen Weg nahm statt jenen. Seine Gedanken sollten sich darin zeigen, daß er die Dinge in der zweckmäßigen Reihenfolge tat, daß es Ordnung gab in seinen Bewegungen, einen Sinn in seinem Verhalten. Darüber hinaus sollten die Gedanken auch für ihn selbst unbemerkt bleiben, ohne bewußte Spuren und vor allen Dingen ohne sprachliches Echo im Inneren. Auch wenn er den einen Satz schrieb statt eines anderen, sollte es im Kopf still bleiben. Der Stift sollte seinen Weg übers Blatt nehmen, seine Spur ziehen, ohne daß der Satz, der durch diese Spur zustande kam, eine innere Gegenwart besaß. Die Spur würde er am Ende dorthin schicken, wo sie von ihm einen Text erwarteten.

Etwas anderes, was er mit großer Wachsamkeit vermeiden mußte, war das Ausrechnen fremder Gedanken. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken, was andere denken und tun mochten, wenn er dies oder jenes tat. Er würde tun, was er tat, und die anderen würden daraufhin tun, was sie taten. Mehr sollte da nicht mehr sein. Und auch seine detailversessene Phantasie mußte er zum Schweigen bringen. Das Training in Langsamkeit mußte er durch ein Training in Phantasielosigkeit ergänzen.

Das erste, was er später beim Einschalten des Fernsehens sah, war eine Großaufnahme von Händen, die über Klaviertasten glitten. Gespielt wurde Bach. Sofort wechselte er auf einen anderen Kanal. Hier wurde ein russischer Physiker interviewt, und jemand übersetzte simultan. Perlmann behielt den Finger am Knopf der Fernbedienung, gleich würde er auch diesen Kanal abschalten, aber dann blieb er doch dabei, immer noch ein Satz, und noch einer, er spürte, wie er in einen Strudel geriet, der alles wieder heraufbeschwor, jetzt verlor der Dolmetscher die entscheidende Balance zwischen dem alten und dem neuen Satz, nein, jetzt muβt du das Vorherige sausen lassen und dich auf das Neue konzentrieren, Perlmann rief es ihm in Gedanken zu und rutschte ganz nach vorn auf die Kante des Sofas. Erst als die Anspannung zu einem Magenkrampf wurde, riß er sich los.

Anschließend machte er einen langen Spaziergang durch den dunklen Park und achtete auf die Leere im Kopf. Als er beim Zubettgehen die Brille abnahm, dachte er an den Tunnel. Er schlief besser als in den ersten Tagen. Nur einmal schreckte er auf: Er hatte Signora Medici in Russisch drangenommen und dann festgestellt, daß er die Wörter selbst nicht wußte und seine eigenen Fragen vergessen hatte wie ein Seniler.

60

Die nächste Woche verbrachte Perlmann mit dem Warten auf Leskovs Brief. Wenn der Text am Freitag angekommen war, konnte der Brief schon am Dienstag hier sein. Bis Samstag aber müßte er auf jeden Fall eintreffen. Stundenlang stand er am Fenster und wartete auf den Briefträger. Warum rief Leskov nicht an? Oder schickte ein Telegramm? Es gab in der ganzen Zeit keine halbe Stunde, in der Perlmann nicht an Leskov und den versprochenen Brief gedacht hätte. Aber es kam kein Brief. Wahrscheinlich hatte der Postbeamte am Flughafen recht gehabt, und es dauerte eine volle Woche. Am Montag kommt selten Post, hörte er Leskov sagen. Also konnte er erst am nächsten Dienstag mit dem Brief rechnen.

Mitte der Woche kam das Angebot von Olivetti. Nun war doch von drei Monaten Probezeit die Rede. Seine Aufgaben: übersetzen von geschäftlicher Korrespondenz mit deutschen, englischen und amerikanischen Partnern; Betreuung der deutschen und englischen Ausgabe einer umfangreichen Werbebroschüre, die im nächsten Sommer herauskommen sollte; gelegentliches Dolmetschen auf Messen. Signor Angelini habe erwähnt, daß Perlmann auch Russisch könne; daran sei man für die weitere Zukunft besonders interessiert. Und schließlich wäre es schön, wenn er Signor Angelini bei der Zusammenarbeit mit den Universitäten unterstützen könnte. Sie boten ihm vier Millionen Lire pro Monat, knapp die Hälfte von dem, was er jetzt verdiente. Über Altersversorgung, Versicherungen und dergleichen werde man sprechen, wenn er grundsätzlich zugesagt habe. Für diese Dinge werde man eine Reihe von Unterlagen brauchen.

Wer hatte Angelini etwas von seinem Russisch gesagt? Evelyn Mistral hatte dichtgehalten, da war er eigentlich sicher. Es mußte Leskov gewesen sein, und zwar beim Abendessen nach seiner Ankunft, als Angelini dabei war. Er hatte davon erzählt, wie sie sich kennengelernt hatten, wie sie zusammen durch die Eremitage gegangen waren… Aber warum hatte Adrian von Levetzov dann so irritiert reagiert, als Leskov im Cafe davon sprach, wie er Perlmann die erste Fassung geschickt hatte? Es mußte so gewesen sein, daß Leskov es beim Abendessen nur Angelini erzählt hatte, der neben ihm saß… Perlmann schlug sich mit den Knöcheln gegen die Stirn. Er hatte doch aufhören wollen, die anderen auszurechnen.

Er hatte den Brief gerade zur Seite gelegt, da rief Frau Hartwig an und gab ihm eine Botschaft durch, die Brian Millar mit der elektronischen Post geschickt hatte. Sein Verleger sei an Perlmanns Buch außerordentlich interessiert. Ob er einen Termin nennen könne? Er vermisse Italien, hatte Millar hinzugefügt, und:«Wie geht es Ihrem Chopin?»

Ob er noch dran sei, fragte Frau Hartwig nach einer langen Pause.

Mit dem Buch werde es noch dauern, ließ Perlmann sie schreiben, und danke für die Mühe. Und zum Schluß:«Wie geht es Ihrem Bach?»

«Von dem Buch wußte ich ja gar nichts», sagte Frau Hartwig pikiert.

«Später», erwiderte er.

Die Sonne schien, und es taute, als er am Fluß entlangging. Aber er nahm nicht viel wahr. Er war ganz damit beschäftigt, Briefe auszuprobieren, mit denen er den kürzlich erhaltenen Preis zurückgeben könnte. Schließlich hatte er einen Text im richtigen Ton. Doch als er ihn, noch in den durchnäßten Schuhen, am Schreibtisch niedergeschrieben hatte, fand er ihn melodramatisch und warf ihn weg.

In der Nacht bekam er wieder Herzbeschwerden und war kurz davor, den Arzt zu rufen. Frühmorgens ging er zu ihm in die Praxis. Der Arzt, den er seit vielen Jahren kannte, sagte nicht viel und machte lange Pausen, die Perlmann unangenehm waren. Schließlich verschrieb er ihm zögernd neue Schlaftabletten und verbot ihm das Rauchen.

Auf dem Heimweg ging Perlmann bei der vertrauten Buchhandlung vorbei. Er hätte gerne mehr über Meditation gewußt, die Technik, zu innerer Ruhe zu gelangen. Lange stand er vor dem Regal mit den entsprechenden Büchern. Aber in jedem Abschnitt, den er las, gab es etwas, was ihn abstieß, etwas Sektiererisches, Missionarisches, ein Pathos, das er nicht mochte. Er kaufte nichts.

Freitag. Heute mußte Leskov seinen Text einreichen. Und immer noch kein Brief. Natürlich: Er hatte Tag und Nacht arbeiten müssen, da war keine Zeit für einen Brief geblieben. Dazu kam er wahrscheinlich erst am Wochenende. Das bedeutete eine weitere Woche des Wartens. Aber eigentlich war das ja ein gutes Zeichen: Es bewies, daß der Text angekommen war. Andernfalls hätte Leskov beliebig viel Zeit für einen Brief gehabt. Es sei denn, es ging ihm so schlecht, daß daran nicht zu denken war.

Zu der Stunde, zu der sie jeweils von der Mittagspause zurückgekommen war, rief er Maria an. Es klang spontan und aufrichtig, als sie sagte, wie sehr sie sich freue, von ihm zu hören. Trotzdem wurde das Gespräch mühsam. Die zwei Wochen hatten genügt, um alles weit in die Vergangenheit zu rücken, und jeder Satz klang wie ein krampfhaftes Aufwärmen von Überholtem. Die Frage, ob sie seine Dateien inzwischen gelöscht habe, hatte er gut vorbereiten wollen; sie sollte sich ganz beiläufig anhören, wie ein Scherz in einem ausklingenden Flirt. Als er sie jetzt stellte, klang sie völlig unmotiviert. Sie habe neulich aufgeräumt, sagte Maria; aber ob seine Dateien beim Gelöschten gewesen seien, daran erinnere sie sich im Moment nicht. Ob sie schnell nachsehen solle?

«Nein, nein», wehrte er ab und bemühte sich, es leicht und spielerisch klingen zu lassen.«Es spielt doch überhaupt keine Rolle! »

«Auch wenn sie nicht mehr im Computer sind: Ich erinnere mich noch gut an die Texte! »sagte Maria lachend.

Es würde unmöglich sein, sie ein zweites Mal anzurufen, dachte er beim Auflegen.

Am Samstag war die Abrechnung für seine Kreditkarte in der Post. Abgebucht wurden unter anderem die Beträge für den Mietwagen, einschließlich der Selbstbeteiligung an der Reparatur, und für die beiden Wörterbücher aus der Buchhandlung in Genua. Perlmann hatte an diesem Tag mit dem Buch beginnen wollen, das man ihm zur Besprechung angeboten hatte. Jetzt saß er nur herum und probierte im Fernsehen immer von neuem alle Kanäle durch.

Er hatte befürchtet, wieder vom Tunnel zu träumen. Statt dessen kämpfte er die halbe Nacht, wie ihm schien, mit einem Computer, der immer dann, wenn er eine Datei löschen sollte, statt dessen eine Sicherungskopie erstellte. Brian Millar sah

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