▶ JETZT! Kostenlos lesen Bestseller-Bücher online
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
Suche Erweitert
Sign in Sign up
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
  • Adult
  • Action
  • Bestseller
  • Romance
  • Fantasy
  • Thrillers
  • Science-fiction

Perlmanns Schweigen - Teil 12

  1. Home
  2. Perlmanns Schweigen
  3. Teil 12
Prev
Next

stolz, daß es ihm gelang, Millar nicht anzusehen. Nichts sagen. Die Stille aushalten.

«Bill war übrigens ein bißchen sauer, daß Sie ihn nicht ebenfalls eingeladen haben», sagte Millar schließlich, und dadurch, daß in seiner Stimme eine Irritation über Perlmanns ausgebliebene Reaktion mitschwang, klang es fast, als sei er selbst Bill Saunders, der sich beklagte.

«Ach, wirklich?»sagte Perlmann und sah Millar einen Moment lang an. Er war glücklich über den Ton milder Ironie, der ihm gelungen war, und jetzt blickte er Millar ein zweites Mal an, länger und ganz ruhig. Nicht stahlblau sind die Augen, sondern porzellanblau. Auf Millars Grinsen, dachte er, lag ein Schatten der Unsicherheit, und daß er jetzt forsch und geschwätzig über Princeton im allgemeinen zu reden begann, schien ihm diesen Eindruck zu bestätigen. Aber statt eines Triumphgefühls entstand in Perlmann plötzlich ein Vakuum, und dann stürzten die Empfindungen eines Verfolgten auf ihn ein. Warum lassen sie mich nicht in Ruhe. Während er im Zeitlupentempo Gräten entfernte, rang er den Impuls nieder aufzustehen und wegzulaufen. Erleichtert griff er zu, als er spürte, wie ihn Millars Sprache auch jetzt wieder wütend zu machen begann. Gierig stürzte er sich hinein in seine Wut.

Millar ließ sich in seine Sätze, vor allem in die idiomatischen, kolloquialen Wendungen, mit einem Genuß hineinfallen, der Perlmann abstieß. Suhlen. Er suhlt sich regelrecht in seiner Sprache. Perlmann haßte Dialekte, und er haßte sie, weil sie oft genau so gesprochen wurden, mit derselben stampfenden Anmaßung, mit der Millar sein Yankee-Amerikanisch sprach. Am allerschlimmsten fand er das bei dem Platt, mit dem er aufgewachsen war. Daß ihm seine Eltern zum Schluß sehr fremd geworden waren, hatte viel damit zu tun gehabt. Je älter sie wurden, desto trotziger hatten sie darauf bestanden, mit ihm Platt zu sprechen, und je deutlicher er diesen Trotz gespürt hatte, desto entschiedener hatte er mit ihnen Hochdeutsch gesprochen. Es war ein stummer Kampf mit Worten gewesen. Darüber reden konnte man nicht. Was hätte es genützt, ihnen zu sagen, daß ihre Ansichten immer starrer und dogmatischer wurden, und daß das viel damit zu tun hatte, daß sie sich immer mehr einfach von den Wendungen und Metaphern des Dialekts leiten ließen, und von den Vorurteilen, die sich darin kristallisierten.

Der Mann mit den aufgekrempelten Jackenärmeln, dem offenen Hemd und dem bleichen, unrasierten Gesicht, der sich jetzt an der Tür umsah und dann auf sie zukam, mußte Giorgio Silvestri sein. Als Perlmann ihm die Hand gab und die gelassene, ironische Wachheit in seinen dunklen Augen sah, die so ganz anders war als Millars sprungbereite Wachheit, war er sofort von ihm eingenommen. Es kam ihm vor, als sei mit diesem mageren, zerbrechlich erscheinenden Italiener, der abgerissen wirkte, bis man seine Kleider aus der Nähe sah, jemand angekommen, der ihm helfen konnte. Und als er dann als erstes eine Gauloise ansteckte und Millar den Rauch ins Gesicht blies, war Perlmann sich seiner Sache ganz sicher. Einzig daß er auf Evelyn Mistrals Begrüßungsworte mit fließendem, akzentfreiem Spanisch reagierte und sich damit ihr strahlendes Lachen verdiente, war ein bißchen störend.

Sein Englisch war nicht weniger fließend, wenn auch nicht akzentfrei. Von Laura Sand, die ihn unverwandt ansah, darauf angesprochen, erzählte er von den zwei Jahren, die er auf einer psychiatrischen Station in Oakland bei San Francisco gearbeitet hatte.

«East Oakland», sagte er zu Millar gewandt, und fuhr, als er dessen säuerliches, von Stirnrunzeln begleitetes Lächeln sah, fort:«Danach hatte ich genug. Nicht von den Patienten, die schreiben mir heute noch. Sondern von dem gnadenlosen, eigentlich muß man sagen: barbarischen amerikanischen Gesundheitssystem. »

Millar wich der erneuten Rauchwolke aus, als bestehe sie aus Giftgas.

«Well», sagte er schließlich, unterdrückte, was er auf der Zunge hatte, und widmete sich seinem Nachtisch.

Silvestri bestellte beim Kellner, den er wie einen alten Bekannten behandelte, sobald er seinen Florentiner Akzent hörte, ein besonderes Dessert und einen dreifachen Espresso. Perlmann machte darüber einen Scherz, und dabei passierte es: Er erlag wieder einmal seinem Berührungstick.

Seit Jahren kämpfte er gegen diese Angewohnheit, Leute, besonders solche, die er gerade erst kennengelernt hatte, zu berühren, wenn er sich mit einem vereinnahmenden Scherz oder einer persönlichen Bemerkung an sie wandte. Wie jetzt bei Silvestri legte er ihnen am Tisch die Hand auf den Unterarm, und im Stehen geschah es ihm oft genug, daß er plötzlich seinen Arm um ihre Schulter gelegt fand. Es gab Leute, die darin einfach ein kontaktfreudiges, liebenswertes Naturell sahen, und andere, die sein Verhalten unangenehm berührte. Seine Berührungssucht machte keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, und bei Frauen kam es nicht selten zu Mißverständnissen. Die Gegenwart von Agnes hatte geholfen, aber nicht immer, und wenn sie Zeuge geworden war, hatte man an ihrem Gesicht ablesen können, wie rätselhaft und auch unheimlich sie es fand, daß gerade er, der am liebsten am Rande großer, leerer Plätze saß, diesen Tick hatte. Ihm selbst war es nicht weniger rätselhaft, und er empfand den Zwang jedesmal als einen Riß, der mitten durch ihn hindurchging.

Es war von Levetzovs Idee, nach dem Essen gemeinsam in den Salon hinüberzugehen, wo die ockerfarbenen Sessel standen. Brian Millar, der als letzter kam, weil er den kleinen Raum inspiziert hatte, in dem die runden Spieltische mit dem grünen Filz standen, blieb stehen und ging dann auf den Flügel zu.

«Ein Grotrian Steinweg», sagte er,«den ziehe ich jedem Steinway vor. »Er schlug ein paar Töne an und klappte dann den Deckel wieder zu.«Ein anderes Mal», lächelte er, als von Levetzov ihn aufforderte, etwas zu spielen.

Perlmann spürte, wie sein Atem plötzlich schwerer ging. Jetzt kann er auch das noch. Er bat den Kellner, der die Getränke brachte, ein Fenster zu öffnen.

Von Levetzov hob sein Glas.«Da es sonst niemand tut, möchte ich hiermit alle begrüßen und auf gute Zusammenarbeit anstoßen», sagte er mit einem Seitenblick auf Perlmann, der spürte, wie sich der Schweiß seiner Hände mit dem Kondenswasser am Glas vermischte.«Und dort oben werden wir also arbeiten», fuhr er fort und zeigte auf die Tür der Veranda, zu der drei Stufen hinaufführten.«Ein perfekter Raum für unsere Zwecke, ich habe mir vorhin ein Bild gemacht. Veranda Marconi wird er genannt; nach Guglielmo Marconi, einem Pionier der Radiotechnik, wie die Tafel draußen sagt. »

Perlmann, der die Tafel nicht bemerkt hatte, blickte auf seine neuen Schuhe hinunter, die ihm weh taten. Das schmerzhafte Drükken, das für immer mit Konfirmation und harten Kirchenbänken verknüpft bleiben würde, verschmolz mit der heißen Empfindung der Scham über die vergessene Begrüßungsrede und mit einem sich auftürmenden, hilflosen Ärger über von Levetzovs Gebaren als Reiseführer.

«Jetzt fehlt nur noch Vasilij Leskov», sagte Laura Sand, und es kam Perlmann vor, als habe sie seine Gedanken gelesen und versuche mit diesem Themenwechsel zu verhindern, daß die anderen sich erhoben, um die Veranda in Augenschein zu nehmen.«Wann kommt er? Und überhaupt: Wer ist er?»

Er sei ein Sprachpsychologe ohne feste Anstellung an der Universität, sagte Perlmann. Nur hin und wieder ein Lehrauftrag. Womit er sich finanziell über Wasser halte, könne er nicht sagen. Beeindruckend sei, wie gut Leskov beschreiben könne, viel besser als die meisten anderen, die im Fach arbeiteten. Er bringe einem zu Bewußtsein, wie sehr es vor aller Theorie darauf ankomme, unsere Erfahrungen mit Sprache ganz genau zu beschreiben. Zwar betriebe er eine Art altmodischer introspektiver Psychologie, mit der man ja heutzutage keinen Blumentopf mehr gewinnen könne. Aber gerade das habe er, Perlmann, in dem Gespräch damals in St. Petersburg interessant gefunden.

«Sprechen Sie denn auch Russisch?»fragte von Levetzov irritiert. Auf diese Frage war Perlmann nicht gefaßt gewesen, aber er zögerte keinen Moment.

«Nein, nein», sagte er und brachte sogar ein bedauerndes Lächeln zustande,«kein Wort. Er aber kann perfekt Deutsch. Seine Großmutter war eine Deutsche und redete mit ihm nur in ihrer Muttersprache, als er nach dem Tod des Vaters einige Jahre bei ihr wohnte. Sein Englisch sei ziemlich holprig, sagte er mir; aber er wäre hier sicher zurechtgekommen.»

Perlmann hatte keine Ahnung, warum er gelogen hatte, und es war ihm unheimlich, mit welcher Zielsicherheit es geschehen war. Evelyn Mistral, zu der er nur zögernd hinüberblickte, betrachtete ihn mit einem Gesicht, in dem Nachdenklichkeit und Schalkhaftigkeit abwechselten. Jetzt sind wir Komplizen, dachte er und wußte nicht, ob er sich darüber freute oder ob das Gefühl der soeben entstandenen Verwundbarkeit überwog.

«Leider ist ihm die Ausreisegenehmigung verweigert worden», schloß er und griff mit einer Erleichterung, die ihn erstaunte, zu den Zigaretten.

«Jetzt wollen wir doch noch einen Blick in die Veranda werfen», sagte Achim Ruge, als das Gespräch über die Verhältnisse in der ehemaligen Sowjetunion versandete und Millar gähnend auf die Uhr sah.

Perlmann ging die drei Stufen als letzter hinauf. Wie wird es sein, wenn ich sie an jenem Tag herunterkomme.

Ruge hatte sich vorn in den Sessel mit der hohen Lehne gesetzt, dessen gestickte Polster an Gobelins erinnerten.«Wenn einer, der hier sitzt, nichts zu sagen hat, ist er selbst schuld», sagte er mit einem glucksenden Lachen und löste damit ein allgemeines Gelächter aus. Perlmann gab vor, die Wappen mit den Zotteln zu betrachten, welche die Wand entlangliefen.

«Was also hast du über Sprache zu sagen, Achim?»hörte er Evelyn Mistral fragen, die eine strenge Lehrerin zu imitieren suchte.«Oder hast du etwa vergessen, die Hausaufgaben zu machen?»

Erneutes Gelächter. Nur Laura Sand lachte nicht mit, sondern untersuchte die alte Truhe in der Ecke. Jetzt überboten sich die anderen mit Karikaturen eines Kreuzverhörs, und Ruge spielte mit wachsendem Genuß den verschlagenen Idioten, der sich hinter einer Fassade von Verschüchterung versteckt. Perlmann schlug das Herz bis zum Hals. Als Silvestri eine trockene Bemerkung machte und dann die Zigarette mit einer blitzartigen Bewegung der Zunge im Mund verschwinden ließ, überschlug sich

Prev
Next

SIE KÖNNEN AUCH MÖGEN

Das Gewicht der Worte
Das Gewicht der Worte
April 18, 2020
Der Klavierstimmer
Der Klavierstimmer
April 22, 2020
Lea
Lea – Pascal Mercier
April 22, 2020
Nachtzug nach Lissabon
Nachtzug nach Lissabon
April 22, 2020
  • HOME
  • Copyright
  • Privacy Policy
  • DMCA Notice
  • ABOUT US
  • Contact Us

© 2019 Das Urheberrecht liegt beim Autor der Bücher. All rights reserved