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Perlmanns Schweigen - Teil 119

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auf und wischte mit der Serviette über die Stelle. Es blieb ein großer, schwarzer Fleck. Im Raum war sonst nur noch ein Pärchen. Die beiden waren mit sich selbst beschäftigt und warfen ihm nur einen flüchtigen Blick zu.

«Ich war kurz draußen», sagte Millar, als Perlmann sich auf einen der Sessel im Salon setzte.«Immer noch trocken. Jetzt kann das Geld nur noch an Sie oder Vasilij gehen, der eine Stunde geschätzt hatte. »Er zog einen Zehntausend-Lire-Schein aus der Tasche.«Wir können den Einsatz ja schon mal bereitlegen.»Das Bündel Scheine, das zusammenkam, beschwerte er mit dem Aschenbecher.«Bis wann läuft die Wette? Sollen wir sagen: Mitternacht?»

53

Perlmann hatte nicht gewußt, daß er es tun würde. Er merkte es erst in dem Moment, als Millar die Arme auf die Sessellehne legte und sich nach hinten drückte, um fürs Aufstehen Anlauf zu nehmen. Fast war ihm, als würde er von einer unsichtbaren Macht geschoben, die mehr über ihn wußte als er selbst. Mit einer einzigen Bewegung war er auf den Beinen und ging mit raschen Schritten zum Flügel. Bevor er sich setzte, schirmte er mit dem Körper die Hände ab und riß sich das Pflaster vom Finger. Während er den Deckel der Tastatur hochklappte, sah er aus dem Augenwinkel, wie Millar von der Kante des Sessels wieder nach hinten rutschte.

Er brauchte nicht zu überlegen. Nocturnes waren das einzige, was er sich, nach fast einem Jahr ohne einen einzigen Ton, zutraute. Alles andere von Chopin war technisch zu schwierig, die Gefahr der Blamage zu groß. Ferner gab es bei den Nocturnes keine Schwierigkeit mit dem Gedächtnis. Mit diesen Stücken war er aufgewachsen, er hatte sie Hunderte von Malen gehört und gespielt.

Wenn nur das verfluchte Problem mit dem Rhythmus nicht wäre. Er hatte ein sehr exaktes und müheloses Rhythmusempfinden. Aber es dauerte stets eine Weile, bis es sich einstellte und das innere Metronom zu ticken begann. Die ersten Takte spiele er so, wie einer gehe, den man gerade unsanft aus dem Schlaf gerissen habe, hatte Bela Szabo immer gesagt. Und er hatte recht: Wenn das Gefühl für den Rhythmus dann griff, war es wie ein Aufwachen, es entstand eine befreiende Sicherheit in Kopf und Händen, und er hatte dabei jedesmal den Eindruck, noch nie zuvor richtig wach gewesen zu sein, so wach wie gerade jetzt. Er hatte gelernt, diese kurzen Phasen der Unsicherheit hinter sich zu bringen, bevor er jemandem vorspielte. Jetzt aber würden es alle hören.

Er begann mit Opus 9, Nummer 1 in b-Moll. Ohne Pflaster fühlte sich der Ringfinger der linken Hand kühler an als die anderen, und als er die Tasten berührte, spürte er nicht, wie erwartet, Schmerz, sondern einen feinen, klebrigen Film. Trotzdem kam der Anschlag gut, fand er, die befürchtete Fremdheit der Berührung wich bereits nach wenigen Tönen. Er war gerade in den ersten Lauf hineingeglitten und konzentrierte sich auf die sonderbare Mischung aus Verschleppung und Beschleunigung, da brach mit einem ohrenbetäubenden Krach der Donner los. Der erste Knall war noch nicht verklungen, da leuchtete das kalte Licht eines Blitzes durch den Salon und mischte sich unangenehm mit dem warmen, goldenen Licht der Kronleuchter. Gleich darauf erzitterte alles unter einem neuen, noch lauteren Donner. Perlmann nahm die Hände von den Tasten. Die Köpfe waren jetzt alle dem Fenster zugewandt, durch das man draußen über dem Meer eine dichte Folge von Blitzen sehen konnte, grellen Verästelungen von gespenstisch kurzer Dauer. Er holte das Taschentuch hervor, befeuchtete es und säuberte den Ringfinger. Danach spürte er nun doch ein Brennen entlang der Narbe.

Als das Naturschauspiel vorbei zu sein schien und es abgesehen von einem fernen Grollen ruhig blieb, begann Perlmann noch einmal von vorn. Jetzt war das Gefühl für den Rhythmus sofort da, er hatte das ganze Stück klar vor Augen und wurde ruhig. Ja, er konnte sie noch, seine weichen und doch glasklaren Chopin-Töne – das einzige, was Szabo immer anerkannt und um das er ihn sogar ein bißchen beneidet hatte. Mit einem ähnlichen Anschlag, so stellte sich Perlmann vor, hatte Glenn Gould Chopin gespielt. Gläserne Klarheit mit Rändern aus Samt. Auch mit den perlenden Läufen war er zufrieden. Nur verträumt klang es nicht. Und das lag nicht daran, daß der linke Ringfinger jetzt, wo die Untermalung lauter wurde, richtig zu schmerzen begann und auch die beiden Finger der rechten Hand, die vorhin die Zigarette gehalten hatten, brannten, wenn sie sich aneinander rieben. Was war es dann?

Um jedes Klatschen zu verhindern, schloß Perlmann das zweite Nocturne aus demselben Opus nahtlos an. Wieder donnerte es, aber der Knall war jetzt nicht mehr direkt über dem Hotel, und er spielte weiter.

«Jetzt muß ich doch mal sehen, ob es regnet», sagte Millar halblaut und stand auf. Evelyn Mistral hielt den Finger an die Lippen. Millar ging hinaus.

Das war es, dachte Perlmann: Er verglich seinen Klang die ganze Zeit mit Millars Bach, und das wirkte wie eine Sperre, die verhinderte, daß er in die richtige Gemütsverfassung hineinfand. Er schloß die Augen, überließ sich mehr den Tönen und versuchte zu vergessen. Das dritte Nocturne gelang besser. Nur die wunden Finger wurden allmählich zum Problem.

Gegen Ende des Stücks kam Millar zurück, sein Räuspern war unüberhörbar.

Als nächstes wählte Perlmann die Nummer 1 in F-Dur aus Opus 15. Daß das eine Gefahr in sich barg, merkte er erst, als er schon mitten im Thema war. Mit einemmal spürte er, daß er ein Gesicht hatte. Hinter den geschlossenen Lidern begann es zu brennen. Um Gottes willen. Unwillkürlich streckte er den Rücken und kniff in einer gewaltsamen Grimasse die Augen zusammen. Sekunden des entsetzten Wartens. Nein. Es war gerade noch einmal gutgegangen. Im allerletzten Moment hatte er die Tränen zurückzudrängen vermocht. Das Stück in Des-Dur darf ich also nicht spielen. Auf gar keinen Fall.

Vorhin hatte er zweimal danebengegriffen, aber die Erleichterung ließ ihn das vergessen, und nun kam die dramatische, technisch schwierigere Passage. Er hatte keine Zeit mehr, davor Angst zu haben, und plötzlich explodierte es in seinen Händen, und er spielte die Stelle fehlerlos herunter, als habe er sie erst heute morgen noch geübt. Ein gewaltiges Gefühl der Erleichterung, fast des Übermuts, bemächtigte sich seiner. Der Schmerz in den Fingern war jetzt unwichtig, und während er das Stück zu Ende spielte, war er plötzlich sicher: Dann schaffe ich auch die Polonaise.

Vorher aber brauchte er noch Zeit, um sich zu sammeln. Dafür eignete sich das dritte, technisch leichte Stück aus Opus 15, bei dem zudem die Finger geschont wurden. Er war nicht mehr ganz bei der Sache, es hatte in ihm zu arbeiten begonnen, und so geriet ihm das erste Drittel zu einer flachen, glanzlosen Folge von Tönen. Doch dann kamen die Debussy-Stellen, wie Szabo sie in ihren Auseinandersetzungen getauft hatte. Die melodiöse Struktur wurde schwächer, die Töne schienen ziellos zu zerfließen und bekamen etwas Unentschiedenes, Abwartendes, beinahe Zufälliges. Perlmann, pflegte Szabo mit einem ärgerlichen Seufzer zu sagen, Sie können das nicht spielen, als sei es Debussy. Da ist immer noch eine klare Melodie, eine klare Logik drin. Man hat fast den Eindruck, Sie wollten einer Melancholie der Auflösung das Wort reden. Schwermut: meinetwegen. Aber Chopin! Perlmann gab den Tönen soviel Unbestimmtheit wie möglich. Zum Teufel mit Szabo. Es war eine Kriegserklärung an Millar und seine Strukturbesessenheit, und Perlmann widerstand nur mit Mühe der Versuchung, zu ihm hinüberzublicken. Er spürte, wie sich etwas in ihm zu lösen begann. Er war dabei, sich gegen diesen Brian Millar zu behaupten und auch vor den anderen zu sich selbst zu stehen. Und nun tat er etwas, was er während eines öffentlichen Vortrags für undenkbar gehalten hatte: An späterer Stelle wiederholte er zwei der Passagen, in denen ihm diese Selbstbefreiung am besten zu gelingen schien. Es hatte eines Rucks bedurft, um sich über die innere Gegenwart Szabos hinwegzusetzen, und jetzt hielten sich Trotz und schlechtes Gewissen die Waage.

Sich jetzt sofort in die As-Dur-Polonaise zu stürzen – nein, das war doch zu gewagt. Vorher brauchte er noch etwas technisch Anspruchsvolleres als das Bisherige. Wegen des Selbstvertrauens. Ganz sicher war er ja doch nicht. Der As-Dur-Walzer aus Opus 34. Ein Stück, das er damals bei vielen festlichen Gelegenheiten gespielt hatte, fast bis zum Überdruß. Es müßte auch heute noch einwandfrei kommen. Es hatte einige Akkordläufe, die denen in der Polonaise glichen. Und danach war er auf die Tonart eingestimmt.

Zu Beginn passierten ihm zwei Pedalfehler, und einmal nahm er eine Taste zuviel mit. Sonst aber ging es einwandfrei. Als es von neuem zu donnern begann und das Gewitter eher wieder näherzukommen schien, blieb er mühelos im Takt. Er begann leicht zu frösteln, aber jetzt war das nicht, wie so oft in den vergangenen Tagen, Ausdruck der Angst, sondern der gespannten Erwartung. Er konnte die Polonaise spielen. Er würde sie spielen. Das sagten ihm seine Arme und Hände, die sich sehr sicher und stark anfühlten.

An die Narbe hatte er gar nicht mehr gedacht, da durchfuhr ihn ein Schmerz wie von einer Nadel. Er mußte drei Anschläge des linken Ringfingers auslassen, verlor die Konzentration und verpfuschte den nächsten Akkordlauf der rechten Hand. Zwar fand er danach das Gleichgewicht wieder, aber die Zuversicht war zusammengebrochen. Die mächtigen Akkorde der Polonaise, auf die alles ankam, türmten sich vor ihm auf wie riesige Hürden, und jetzt brannten auch die wunden Finger an der rechten Hand viel stärker als vorher. Das Stechen war vorbei, aber sein weiteres Spiel war voller Zögern und enthielt eine Verlangsamung, die der Walzer nicht vertrug. Es ist unmöglich, Danach höre ich auf. Als der Schluß in Sicht kam, beschleunigte

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