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Perlmanns Schweigen - Teil 110

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Geschichte über Erfindung und Aneignung nicht mehr zusammenkriege. Dabei steht es alles da, schwarz auf weiß. In Petersburg. Hoffentlich.

Perlmann nahm die letzte Seite zur Hand. Wenn er sich durch das Schlachtfeld von Durchgestrichenem und Eingefügtem hindurchkämpfte, würde er vielleicht abschätzen können, ob danach noch viele Seiten kamen. Aber gleich oben links kamen zwei Wörter, die er nicht entziffern konnte, und das übernächste kannte er nicht. Eine lähmende Müdigkeit setzte ein. Nie wieder. Er schob das Blatt unter den Stoß.

Der Umschlag, in dem er Leskov den Text schickte, mußte besonders strapazierfähig sein. Geradezu wetterfest. Perlmann sah ihn auf einem offenen Postwagen liegen. Es war auf einem verlassenen russischen Bahnhof, es wurde Nacht, und der Schnee fiel in dicken Flocken. Es nützte nichts, sich zu sagen, daß das Unsinn war, weil die Sendung ja per Flugzeug direkt nach St. Petersburg ging. Auf dem ganzen Weg zum Schreibwarengeschäft und auch in dem Moment, als er die Hand energisch auf den Türgriff des Ladens legte, sah er den verlassenen Bahnsteig vor sich und den Schnee, der auf den Umschlag fiel.

Das Geschäft war noch zu. Die Siesta vergessen und dann dumm vor einem geschlossenen Laden stehen – plötzlich kam ihm das vor wie eine Erkennungsmelodie für den ganzen Aufenthalt. Verschämt blickte er sich um, ob ihn jemand beobachtet hatte. Aber außer einem gebückten, alten Mann, der von seinem Hund fast umgerissen wurde, war niemand zu sehen. Im Schaufenster, wo die Chronik gestanden hatte, war bereits eine Weihnachtskrippe aufgebaut. Langsam begann er seinen Rundgang um den Häuserblock. Als an der Ecke jemand mit einem Stab den eisernen Rolladen einer Apotheke hochschob, wartete er und kaufte dann eine neue Zahnbürste.

Bis wann er den Text vorlegen mußte, damit es mit der Stelle klappte, davon hatte Leskov nichts gesagt. Doch auch unabhängig davon hätte Perlmann den Text am liebsten noch heute nachmittag zur Post gebracht. Bis Sonntag abend, wenn Leskov aufgeregt die Wohnung betrat, konnte er auf keinen Fall dort sein. Aber der Gedanke an die Tage, die Leskov in der Annahme verbringen mußte, der Text sei unwiederbringlich verloren, war unerträglich, und Perlmann wollte, daß dieser Alptraum für ihn keine Stunde, keine Minute länger dauerte als nötig.

Aber natürlich war es ausgeschlossen, ihn von hier aus zu schicken, mit dem Stempel von Santa Margherita. Sollte er nachher gleich nach Genua fahren und ihn dort aufgeben? Vorgestern, beim Aufzählen der Orte, wo er den Text vergessen haben könnte, hatte Leskov in Frankfurt aufgehört. Daß er ihn in der Maschine der Alitalia vergessen hatte, schien für ihn keine Möglichkeit zu sein. Oder war es nur Zufall, daß er sie nicht erwähnt hatte? Wenn es aber einen Grund dafür gab und er die Gewißheit hatte, daß es auf dem Flug nach Genua nicht geschehen sein konnte, so wäre der Stempel von Genua kaum weniger verräterisch als der hiesige. Nein, von Italien aus konnte er den Text auf keinen Fall abschicken. Er mußte es in Frankfurt tun. Dort war er aber erst Sonntag mittag, und das bedeutete für Leskov drei weitere Tage Verzweiflung.

Perlmann sah auf die Uhr. Es gab noch den Abendflug um sechs. Aber zurück käme er heute nicht mehr, und nach allem, was geschehen war, konnte er Silvestris Sitzung morgen früh unmöglich fernbleiben. Der morgige Nachmittag und Abend kamen ebenfalls nicht in Frage: Das waren die letzten gemeinsamen Stunden der Gruppe, und er würde sich endgültig unmöglich machen, wenn er da einfach verschwand. Blieb der Samstag, wenn morgens alle außer Leskov abgereist waren. Leskov konnte den Nachmittag allein verbringen, und zu einem gemeinsamen Abendessen war er wieder zurück. Immerhin ein Tag der Verzweiflung weniger.

Perlmann beschleunigte den Schritt und ging zum Reisebüro, das in einem anderen Teil des Orts lag. Auch hier mußte er noch zehn Minuten warten, in denen er ruhelos auf und ab ging. Wie lange war eine Luftpostsendung von Frankfurt nach St. Petersburg unterwegs? Und wie sicher war diese Postverbindung? Als Eilsendung konnte er den Text nicht schicken: Für derart brandeilig würden die Angestellten einer Fluggesellschaft ein Manuskript nicht halten. Konnte man sich vorstellen, daß sie es per Einschreiben schickten?

Der Computer für die Flugreservierungen streikte, und man sagte ihm, er möge später wiederkommen. Perlmann war froh, daß es zum Schreibwarengeschäft ein ganzes Stück war, das Gehen half gegen den hilflosen Ärger. Außer der dicken Frau war heute noch ein lang aufgeschossener Junge mit einem Gesicht voller Pickel hinter dem Ladentisch. Auf Geheiß der Frau breitete der Junge wortlos verschiedene Umschläge aus. Die gewöhnlichen ohne Verstärkung und Wattierung schied Perlmann sofort aus. Dann nahm er denjenigen mit dem Kartonrücken und bog ihn hin und her, bis der Karton fast umknickte. Die Festigkeit gefiel ihm, aber das Papier war nichts Besonderes, und außerdem war er nicht sicher, ob der Umschlag für das ungewöhnliche Format der gelben Blätter groß genug war. Er befeuchtete den Zeigefinger an der Zunge und verrieb den Speichel auf dem Papier, das dunkelbraun wurde und sich Schicht für Schicht auflöste.

«Keine Angst, ich bezahle natürlich dafür», sagte er zu der Frau, die empört nach Luft schnappte.

Die beiden wattierten Umschläge, die ihm in der Größe genau zu passen schienen, waren aus mattem Papier, das weniger fest gepreßt war als das andere, glänzende, und sich unter dem Speichel beängstigend rasch auflöste. Bei dem einen quoll danach eine eklig aussehende, graue Watte heraus, bei dem anderen bestand die Wattierung aus durchsichtigem Kunststoff. Die geriffelte Folie würde die Feuchtigkeit abhalten. Aber was war, wenn unter dem Schnee mit dem zerfallenden Papier auch die Adresse verschwand? Perlmann legte auch diesen Umschlag beiseite. Während der Junge ihm wie gebannt zusah, schnaufte die Frau aufgeregt und machte ein Gesicht, als sei er dabei, den ganzen Laden auseinanderzunehmen.

«Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen», beschwichtigte sie Perlmann und holte ein paar Geldscheine aus der Jackentasche,«ich werde für alles bezahlen.»

Der letzte Umschlag war aus gut geleimtem, glänzendem Papier, aber die Wattierung war viel dünner als bei den anderen, und er war viel zu groß. Die Blätter würden hin und her rutschen und dadurch noch weiter beschädigt werden. Er ließ sich von dem Jungen, der einen ängstlichen Blick auf die Frau warf und immer noch kein Wort gesagt hatte, einen Stoß Schreibmaschinenpapier geben und probierte es aus, indem er den Umschlag wild hin und her schüttelte. Das Ergebnis war nicht ganz so schlimm wie erwartet, aber einige Blätter waren schon etwas eingestaucht. Er ließ sich verschiedene Maschinen fürs Heften zeigen, aber mit keiner ließ sich eine Naht von Heftklammern anbringen, die den Umschlag auf die richtige Größe verkleinert hätte. Beim Speicheltest schnitt das Papier gut ab. Unschlüssig drehte Perlmann den Umschlag hin und her, dann bat er plötzlich um ein Glas Wasser.

Er mußte die Bitte wiederholen. Während der Junge nach hinten ging, zündete die Frau mit resignierter Miene eine Zigarette an, und als jetzt ein Mann mit eingegipstem Fuß und Krücke eintrat, der sie wie eine alte Bekannte begrüßte, warf sie ihm einen vielsagenden Blick zu. Perlmann trat mit dem Wasser vor die Tür und goß es über den Umschlag. Für zwei, drei Sekunden sah es so aus, als würde das Wasser an dem glänzenden Papier spurlos abtropfen. Dann aber überzog sich der Umschlag mit dunklen Flecken, die rasch größer wurden und sich zu einer einzigen, feuchten Fläche verbanden. Perlmann faßte in den Umschlag und spürte die Feuchtigkeit. Das Bild des russischen Bahnsteigs erschien, und dieses Mal tropfte der schmelzende Schnee. Als er sich umwandte, sah er die drei Gesichter dicht hinter der Scheibe. Der Irre mit dem Wasser auf den Umschlägen.

Stumm und mit dem Gesicht von jemandem, der sich über einen Einfall freut, bedeutete ihm der Junge zu warten und ging nach hinten. Der Mann mit der Krücke steckte den Geldbeutel ein und verließ kopfschüttelnd den Laden. Perlmann zahlte und klemmte die verbrauchten Umschläge unter den Arm. Er lese viel in der Chronik, sagte er dann zu der Frau, die rauchend vor sich auf den Boden blickte. Aber sie schien sich nicht zu erinnern, und Perlmann war froh, als der Junge die betretene Stille beendete.

Der Umschlag, den er ihm reichte, war ideal, Perlmann sah es sofort. Es war ein gebrauchter Umschlag mit Adresse und amerikanischem Absender. Die Marken, so entnahm er seinen Gesten, hatte der Junge abgelöst. Der Umschlag war aus dickem, gelbem Karton, der sich wächsern anfühlte, er hatte eine Kunststoffpolsterung und verstärkte Ecken, und in der Größe paßte er genau.

«Perfetto», sagte Perlmann zu dem Jungen, der ihn anstrahlte und entrüstet abwinkte, als er Geld hervorholte.

«Dreitausend», sagte die Frau, die den Blick nur für einen kurzen Moment vom Boden hob.

Während Perlmann ihr das Geld gab, schnappte sich der Junge mit wütendem Gesicht den Umschlag, suchte in einer Schublade und überklebte schließlich Adresse und Absender mit zwei frischen Etiketts. Ohne die Frau eines Blickes zu würdigen gab er Perlmann den Umschlag und machte die scherzhafte Andeutung eines Salutierens.

An der nächsten Ecke warf Perlmann alle anderen Umschläge in einen Abfallbehälter. Als er die Straße überquerte, sah er den Mann mit der Krücke, der ihn anscheinend die ganze Zeit beobachtet hatte. Der Verrückte mit den weggeworfenen Umschlägen. Beim Brunnen eines Schulhauses spritzte er Wasser auf den gelben Umschlag. Es bildeten sich kugelrunde Tropfen, die beim Schütteln und Blasen vollständig verschwanden. Der russische Bahnsteig war auf einmal nicht mehr wichtig.

Im Reisebüro buchten sie ihn für Samstag mittag auf einen Flug nach Frankfurt. Für den Rückflug um fünf konnten sie ihn nur auf die Warteliste setzen. Danach ging Perlmann langsam in Richtung Hotel und überlegte sich, wie

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