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Perlmanns Schweigen - Teil 105

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große Rauchwolken in den Raum. Er legte einen Computerausdruck auf den Tisch. Das sei die Vorlage für morgen. Er sei beim Durchlesen auf einmal unsicher geworden, ob das so gehe – ob man so etwas überhaupt präsentieren könne. Er habe den Eindruck, daß einige Widersprüche drin seien, einige Ungereimtheiten.«Aber ich traue meinem müden Kopf nicht mehr. Das Ganze in so kurzer Zeit und ohne meinen Text machen zu müssen: Es war einfach zuviel. Würdest du es mal durchlesen?»

Perlmann nahm die sechs Seiten und hielt sie vor die Nase. Er war nicht in der Lage, auch nur ein einziges Wort mit Verstand zu lesen. Das Blut pochte bis in die kalten Fingerspitzen. Die einzigen Geräusche im Zimmer waren Leskovs Paffen und das Rauschen der Heizung. Er schätzte die Zeit für eine Seite ab und blätterte um. Als es Zeit für die dritte Seite wurde, hatte er das Gefühl, dringend auf die Toilette zu müssen. Er hob einen Moment den Blick über den Blattrand hinweg. Leskov sah ihn unsicher an. Ob er rasch mal sein Bad benützen dürfe?

Perlmann warf die Tagesdecke übers Bett und zog an ihr, bis sie auf der Seite des Fensters den Teppich berührte. Dann lehnte er sich mit geschlossenen Augen zurück, Leskovs Blätter griffbereit im Schoß. Maria hatte mit der Markierung aufgepaßt. Maria war nicht schusselig. Und Leskovs Text, dessen Zusammenfassung in seinem Schoß lag, war unter dem Bett. Er bliebe verborgen, selbst wenn Leskov sich bücken sollte. Dennoch ging die Angst nicht weg. Perlmann spürte Stiche in der Herzgegend. Aus Leskovs Pfeife im Aschenbecher stieg feiner Rauch auf. Es würde wieder die ganze Nacht süßlich riechen. Er haßte Leskov. Nein, das stimmte nicht. Er wollte einfach nur, daß er verschwand. Daß alles verschwand: sein Geruch, sein Text, er selbst. Daß all dies spurlos verschwand. Für immer.

«Du meinst also wirklich, das geht so?»In Leskovs erleichtertem Gesicht waren Reste von Ängstlichkeit und Zweifel.

Perlmann nickte.

«Und die Widersprüche? Am meisten, weißt du, ärgert mich, daß ich die komplizierte Geschichte über die Vereinbarkeit von Erfindung und Aneignung nicht mehr zusammenkriege. Dabei steht es alles da, schwarz auf weiß. In Petersburg. Hoffentlich. »

«Diese Thesen hier lassen sich verteidigen, da bin ich sicher», sagte Perlmann und reichte ihm die Blätter mit einer Bewegung, die so viel Bestimmtheit hatte, daß sie beinahe heftig wirkte. Er sah diese Bewegung mit Erstaunen und war verwundert, wie laut und fest seine Stimme klang. Es war die Stimme, dachte er einen Moment später, mit der man ein Versprechen gibt.

Die Zweifel verschwanden aus Leskovs Gesicht, und er hielt aufgeregt das Streichholz an die Pfeife. Ob Perlmann jetzt die Nähe zwischen ihren beiden Texten sehe?

Perlmann nickte stumm.

Leskov wollte gerade anfangen, über diese Nähe zu sprechen, da unterbrach er sich.«Ich lasse dich jetzt besser schlafen. Du siehst immer noch erschöpft aus. An der Tür gab er Perlmann überraschend die Hand.«Das war jetzt sehr wichtig für mich», sagte er mit einem dankbaren Lächeln. Langsam streckte er die Hand nach dem Türgriff hinter sich aus.«Weißt du, drüben in meinem Zimmer, am Schreibtisch, hat mich zwischendurch immer wieder der Gedanke überfallen: Der Text ist verloren. Alles, was ich in der Hand habe, sind diese paar Zeilen hier. Je müder ich geworden bin, desto öfter hat sich dieser Gedanke dazwischengeschoben. »Er lächelte.«Höchste Zeit, daß ich wieder einmal eine Nacht schlafe. »

Perlmann sah auf die grobe Hand, die den rauchenden Pfeifenkopf umschlossen hielt, und nickte. Der Moment, in dem die Tür ins Schloß fiel, wollte und wollte nicht kommen.

Bei weit aufgerissenem Fenster machte sich Perlmann daran, auch den Rest des Texts zu säubern. Morgen früh, wenn er Leskov die Veranda betreten und an der Stirnseite Platz nehmen sah, wollte er denken können, daß das Manuskript oben im Zimmer bereit lag – bereit, jederzeit zurückgegeben zu werden. Aber auf einmal war die ganze Fertigkeit, die er sich in den letzten Stunden angeeignet hatte, wie ausgelöscht. Er rieb entweder zu sanft oder zu kräftig und vergaß in der Ungeduld, daß trocken aussehende Erdkrümel innen noch feucht sein konnten. Immer öfter wurde aus dem Säubern ein Schmieren, und jetzt entdeckte er auch noch, daß sich oben an den Borsten der Zahnbürste Feuchtigkeit festgesetzt hatte, die vom Boden des Badezimmers stammen mußte und nun immer weiter zu den Borstenspitzen und in die Nähe des Papiers drang. Unten auf Seite 57 gab er auf, und als er das Blatt beiseite legte, sah er, daß seine Hand zitterte.

Jetzt war die problematische Seite 58 dran, die er vorhin erneut zwischen frische Löschblätter geschoben und noch einmal auf die Heizung gelegt hatte. Perlmann holte sie und betrachtete die Spuren, die vom Zwischentitel übrig waren. Das Gemisch aus Tinte und Dreck war mittlerweile ganz getrocknet und ließ sich mit dem Taschentuch wegwischen. Pridumannoe prošloe, die erfundene Vergangenheit, dachte er, war noch die wahrscheinlichste Lesart des blassen Linienfragments. Er nahm die Brille ab und hielt die Gläser als Lupe über das Papier. Jetzt entdeckte er, daß es vor dem ersten Wort eine Bleistiftmarkierung für eine Einfügung gab. Von der ebenfalls mit Bleistift geschriebenen Einfügung selbst waren nur die Buchstaben n und o zu erraten, die zum Anfang und Ende eines einzigen Worts zu gehören schienen. Nevol’no pridumannoe prošloe, die unfreiwillig erfundene Vergangenheit, dachte er. Dann hatte Leskov sein Thema in der zweiten Fassung also erweitert: Außer um die sprachliche Prägung von Erinnerungen ging es jetzt auch um Wahrheit und willentliche Kontrolle.

Perlmann warf noch einmal einen nüchternen Blick auf die wenigen Spuren: Nichts, was da auszumachen war, stützte diese übereilte Vermutung wirklich. Verärgert deckte er die Seite mit dem Löschblatt zu. Als er es wieder wegzog und zu lesen begann, spürte er die Beklemmung eines Süchtigen.

Es ging nur langsam mit dem Lesen, da er keine Erfahrung mit russischer Handschrift hatte. Aber er machte mit brennenden Augen weiter, bis er unten auf der Seite gleich drei Wörter hintereinander nicht kannte. Er zündete eine Zigarette an, und während die Augen an der Zeile haftenblieben, suchte die Hand mit wachsender Ungeduld nach dem Wörterbuch. Die Empfindung der Leere mußte sich oft wiederholen, bevor ihm zu Bewußtsein kam, daß da ja gar kein Wörterbuch mehr sein konnte. Er schreckte auf wie aus einem verbotenen Tagtraum. Das Gesicht brannte. Hastig schloß er den Text in den Schrank und trat fröstelnd ans Fenster.

«Ich müßte schnell mal an den Computer», sagte er kurz darauf zu Giovanni hinter der Empfangstheke.«Etwas an meinem Text überprüfen. Für morgen. »Ein Krampf zog sich vom Nacken bis in den Rücken hinunter, und er hatte das Gefühl, den Kopf kaum mehr drehen zu können.

Giovanni griff nach einer Schublade und hielt dann inne. Zögernd hob er den Kopf und sah Perlmann unsicher an.«Das Büro… niemand… ich habe Anweisung… Er senkte den Blick und rieb verlegen am Griff der Schublade.

«Ich verstehe», sagte Perlmann und schickte sich an zu gehen.

Da sah ihn Giovanni plötzlich grinsend an.«Ach was, bei Ihnen ist das eine Ausnahme.»Er nahm einen Schlüssel aus der Schublade, ging voran und schloß auf.«Mit dem Computer wissen Sie ja sicher selbst Bescheid», sagte er, während er Licht machte,«denn ich… »

«Natürlich», sagte Perlmann schnell,«vielen Dank. »

Er hoffte, Giovanni würde sich in den hinteren Raum zurückziehen. Aber er blieb an der Theke stehen, nickte lächelnd und hob leicht die Hand. Perlmann verfluchte die Glastür des Büros. Jetzt mußte er es direkt unter Giovannis Augen tun. Er rückte den Stuhl vor dem Bildschirm zurecht und griff nach dem Schalter an der Rückseite des Rechners. Nichts geschah. Er kippte den Schalter mehrfach hin und her. Keinerlei Wirkung. Er ging um den Tisch herum und besah sich den Schalter. Es war der richtige. Giovanni hob fragend die Brauen und machte Anstalten herüberzukommen. Hastig bedeutete ihm Perlmann zu bleiben: Tutto bene! Seine Hände waren feucht, und der Krampf im Nacken wurde wieder stärker. Mit leerem Blick starrte er vor sich hin. Der Stecker. Langsam rollte er mit dem Stuhl nach hinten und sah unter den Tisch. Alle Stecker in der Dose. Er vermied jeden Blick zur Theke hinüber. Jetzt erst bemerkte er das runde Schloß ohne Schlüssel. Abgeschlossen. Natürlich, die Geschäftsunterlagen. Er drehte sich zum seitlichen Tisch mit den Schubladen und schirmte die Hände mit dem Rücken gegen Giovannis Blicke ab. Die offenen Schubladen enthielten nur Büromaterial, das sah er, sobald er sie einen Spalt weit öffnete. Der Schlüssel für den Computer würde in der schmalen obersten Schublade sein, an deren Schloß der Schlüssel ebenfalls abgezogen war. In der einzigen Dose auf dem Schreibtisch waren nur Büroklammern.

Perlmann machte zwei langsame Atemzüge. Der Rücken entspannte sich. In die Müdigkeit mischte sich Erleichterung. Daß er beim Aufstehen den durchsichtigen Kasten mit den Disketten bemerkte, hatte damit zu tun, daß das Plexiglas das Neonlicht von der Decke zurückwarf. Er glitt mit dem Stuhl zur seitlichen Ablage hinüber und klappte den Kasten auf. Die Diskette mit seinem Namen war die zweite von vorn. Unter dem Namen stand auf dem Etikett: PERSONAL PAST. MESTRE.

Perlmann achtete darauf, daß seine Bewegungen für Giovanni gut zu erkennen waren, als er jetzt wieder zum Rechner zurückrollte und die Diskette ins Laufwerk schob. Dann setzte er sich in einer Pose der Konzentration vor den dunklen Bildschirm und simulierte Tippbewegungen. Wenigstens die Diskette konnte er beseitigen. Vielleicht hatte Maria ja nur damit gearbeitet, und der Text war gar nicht auf der Festplatte. Er wurde ruhiger. Mit einem Stift vom Schreibtisch tippte er sich ein paarmal an die Nasenwurzel und steckte das Ende dann zwischen die Lippen, während er zurückgelehnt, mit ausgestreckten Beinen, vorgab, in eine imaginäre

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