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Perlmanns Schweigen - Teil 100

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halb im Ofen und drehte sich um.

«Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?»

«Nein, nein», sagte Perlmann schnell,«ich muß das wirklich wissen, es ist sehr wichtig. »

Der Mann im Unterhemd nahm einen Zug aus der Zigarette und sah ihn dann an wie einen ganz einfältigen, vielleicht auch gestörten Menschen.

«Mann, wie soll ich das denn wissen können?»sagte er milde.

«Ja», sagte Perlmann leise und ließ ein viel zu hohes Trinkgeld liegen.

«Dieses Gespräch gestern nacht», sagte Perlmann zu Signora Morelli, als sie den gelben Umschlag von Frau Hartwig und ein kleineres Kuvert vor ihn auf die Empfangstheke legte,«ich… »

Sie faltete die Hände und sah ihn an. Das winzige Zucken ihrer Mundwinkel konnte auch Einbildung sein.

«Welches Gespräch?»

Perlmann schluckte und verschob die beiden Umschläge, bis sie genau parallel zum Rand der Theke lagen.«Grazie», sagte er leise und sah sie an.

Ihr Nicken war nur eine Andeutung.

Das Zimmer roch nach Leskovs süßlichem Tabak. Der Dunst war abgezogen, aber gegen den aufdringlichen Geruch hatte das offene Fenster nichts auszurichten vermocht. Nur kalt war es jetzt. Perlmann kippte einen Berg von Pfeifenasche und angekohltem Tabak in die Toilette und schloß das Fenster.

Frau Hartwigs Umschlag enthielt zwei Briefe. Der eine war die Einladung nach Princeton, geschrieben auf teurem Papier, das an Pergament erinnerte, und unterzeichnet vom Präsidenten. Die Einladung erfolge aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen, stand da. Und der Präsident versicherte ihm, es wäre für die gesamte Universität eine große Ehre, ihn für eine Weile zu Gast zu haben. Perlmann las den Brief kein zweites Mal, sondern steckte ihn sofort in den Umschlag zurück und warf ihn in den Koffer.

Das andere war eine Einladung zu einem Gastvortrag. Er sollte eine Ringvorlesung eröffnen, und die Veranstalter legten großen Wert darauf, daß gerade er der erste Redner sei. Es war in dem Brief von Arbeiten die Rede, die er bereits vor drei Jahren abgeschlossen hatte, die aber erst Anfang dieses Jahres im Druck erschienen waren. Damals, dachte er, schien noch alles in Ordnung zu sein. Nur gelangweilt hatten ihn seine Sachen immer öfter. Und ab und zu war er mitten in der Nacht aufgewacht und hatte nicht mehr weiter gewußt. Er hatte dann keine langen Selbstgespräche geführt. Überhaupt kamen bei diesen Gelegenheiten wenig Gedanken. Er hörte Musik, und meistens stand er dabei am großen Fenster. Agnes war dann überrascht, ihn so früh schon am Schreibtisch zu finden.

Im anderen Kuvert war eine Notiz von Angelini. Er müsse leider heute nachmittag bereits wieder nach Ivrea zurück. Er wünsche ihm gute Besserung. Hoffentlich sei es nichts Ernstes. Er werde versuchen, Freitag zum letzten Abendessen zu kommen, aber sicher sei es noch nicht. Er möge ihn doch auf jeden Fall vor dem Heimflug noch anrufen. Am Schluß stand seine private Telefonnummer.

Es waren freundliche Sätze, wenn auch konventionelle. Perlmann las sie mehrmals. Er dachte zurück an ihre erste Begegnung und die begeisterten Anrufe danach. Man konnte nicht sagen, daß aus diesen Sätzen hier Enttäuschung sprach. Überhaupt nicht. Auch nicht Distanz oder Kühle. Aber er spürte sie. Er, Philipp Perlmann, hatte sich als eine Fehlinvestition entpuppt.

Er stellte die Sechs-Uhr-Nachrichten an. Aber auf diesem Kanal brachten sie nur eine schematische Wetterkarte, die ihm nichts nützte. Für morgen keine größere Änderung zu erwarten. Die Straβen waren vorhin fast schon wieder trocken gewesen. Er ging zum Fenster. Jetzt in den sternenlosen Nachthimmel hinaufzustarren war zwecklos.

Er duschte lange und legte sich dann ins Bett. Das Kissen roch nach Leskovs Tabak. Aus dem Schrank holte er ein anderes. Auch das Laken und die Wolldecke rochen. Er zog das Laken ab und deckte sich mit Ersatzdecken aus dem Schrank zu. Die Heizung verstärkte den Geruch. Er stellte sie ab und öffnete das Fenster. Der Körper vibrierte vor Erschöpfung, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Tablette nahm er keine. In den Sieben-Uhr-Nachrichten sahen die Wolken in der Umgebung von Genua dichter aus als noch vor zwei Stunden. Draußen blieb es trocken. Er fror und holte die letzte Decke aus dem Schrank. Es war zu laut auf der Uferstraße, und er schloß das Fenster. Wenn er um halb sechs losfuhr, war er beim ersten Licht dort. Er stellte den Wecker auf fünf. Gegen acht schlief er ein.

Er sah keinen Bulldozer und auch keine Tunnelwände. Eigentlich sah er gar nichts. Es fand überhaupt kein Sehen statt. Es war einfach nur so, daß er nicht die Kraft hatte, die Hände vom Steuer zu nehmen. Er hielt es fest und drehte es nach links, immer weiter nach links. Es konnte sein, daß er selbst es war, der drehte. Oder es war zwar etwas in ihm, eine Kraft, ein Wille, aber er war ihm fremd und gar nicht wirklich seiner. Und vielleicht hatte sich das Steuer auch selbständig gemacht und führte seine Hand gegen seinen Willen. Er kannte sich nicht mehr aus, die Eindrücke überlagerten sich, und er wußte nicht, was von allem er am meisten fürchtete. Die Angst lähmte ihn vollständig, und er hatte das Gefühl, die Kontrolle über die körperlichen Funktionen zu verlieren, vor allem über den Unterleib. Das dauerte eine halbe Ewigkeit, in der er jeden Moment den Aufprall erwartete, und dann wachte er mit einem Zucken des ganzen Körpers auf, das etwas Furchtbares an sich hatte, etwas Unheimliches, denn auch es entzog sich völlig seiner Kontrolle, es war ein animalisches, ein biologisches Zucken, das aus einer ganz tiefen Region des Gehirns zu kommen schien.

Perlmann sprang auf und untersuchte die Matratze. Sie war sauber. Dann setzte er sich auf den Bettrand und rauchte. Von Zeit zu Zeit spürte er den körperlichen Nachhall einer Linksdrehung. Später zog er den nassen Schlafanzug aus und ging unter die Dusche. Es war kurz nach Mitternacht. Die Uferstraße war naß. Doch jetzt regnete es nicht mehr.

Während der nächsten Stunden wachte er in kurzen Abständen stets aus dem gleichen Traum auf, um dann von neuem einzudösen. Dieses Mal war es kein Alptraum, sondern eine lästige und lächerliche Verbindung von Dingen, die für den Träumenden in keinerlei Beziehung zueinander standen. Da war der Name Pian dei Ratti, der in so dichter Folge immer wiederkehrte, daß er wie ein stetiges Hintergrundgeräusch war, ein unaufhörliches Echo, das den inneren Raum bis in den letzten Winkel ausfüllte. Und dieser Name roch. Er war eingehüllt in einen Geruch von süßlichem Tabak und Nebel, es war, als klebe dieser Geruch an dem Namen, so daß der Name ohne den Geruch überhaupt keine Bedeutung hätte. Dadurch, daß der Name stets da war und hallte, fror man immer und mußte schniefend nach Münzen suchen, die einem fortwährend mit einem schmerzhaften Reiben durch die Finger rutschten. Die Schuhe kippten, und die Frauen lachten. Dann war alles voller gelber Blätter, und es nützte nichts, sich im Kofferraum ganz klein zu machen.

Perlmann wechselte das Pflaster am Finger. Die Entzündung begann abzuklingen. Bei jedem Aufwachen lüftete er. Draußen fielen nur wenige Tropfen. Der Traum hatte die Zuverlässigkeit und Monotonie einer Schallplatte, bei der die Nadel immer in derselben Rille läuft. Um halb fünf duschte er, rasierte sich und zog sich an.

«Buon giorno», sagte Giovanni, rieb sich die Augen und sah auf die Uhr.

Unter der Tür drehte Perlmann noch einmal um.«Dieses Ausgleichstor neulich, das zum Elfmeterschießen führte. Wer hat es erzielt?»

Giovanni verschlug es fast die Sprache.«Baggio», sagte er dann grinsend.

«Von welchem Club?»

Giovanni sah ihn an, als habe er gefragt, von welchem Land Rom die Hauptstadt sei.

«Juve. Juventus Turin. »

«Grazie», sagte Perlmann. Er spürte, wie Giovannis verwunderter Blick ihm folgte.

Er war zum Sonderling geworden.

43

Die Küstenstraße war so leer und still, daß Perlmann die drei oder vier Autos, die ihm entgegenkamen, in ihrer kurzen, gespenstischen Gegenwart augenblicklich wieder vergaß. Rapallo war eine nächtliche Silhouette mit unbeweglichen Lichtern, die an Scherenschnitte und Kupferstiche denken ließ. Die blinkenden Ampeln in den ausgestorbenen Straßen von Recco gaben ihm das Gefühl, durch eine Geisterstadt zu fahren, und die beiden alten Männer, die dicht an den Häusern entlangschlurften, verstärkten diesen Eindruck noch. In den Bauernhäusern an der Strecke nach Uscio brannte vielfach schon Licht. Das Geschrei der allgegenwärtigen Hähne übertönte das leise Motorengeräusch. Perlmann versuchte, nicht an Montag zurückzudenken. Die Hauptsache war, daß es hier in den letzten Stunden offenbar nicht geregnet hatte. Hinter Lumarzo war der Schalthebel aber plötzlich doch feucht vor Schweiß, und er mußte immer öfter schlukken. Auf dem Anstieg zum Tunnel fuhr er mit gestreckten Armen am Steuer und nahm sich vor, nicht hinzusehen und nichts zu denken.

Er bremste ab. Drüben auf der hellgrauen Leitplanke dunkle Streifen. Er gab Gas – nur um den Gang sogleich wieder herauszunehmen. Hier, genau hier habe ich die Hände vom Steuer genommen. Er stand. Es war nichts zu sehen. Es war idiotisch. Wütend ließ er die Reifen quietschen und trat gleich danach voll auf die Bremse, als müsse er in dem leeren Tunnel einen Auffahrunfall verhindern. Der größte Teil des hellen Lehms war mit einer Plane abgedeckt, die man an den Ecken mit Backsteinen beschwert hatte. An der Wand stand eine leere Schubkarre, darunter lag ein unordentlich aufgerolltes Seil. Er hatte nie verstanden, was an dieser Ausweichstelle eigentlich vor sich ging, und auch auf diese neuerliche Veränderung konnte er sich keinen Reim machen. Er wußte, es war Blödsinn und grenzte an Verfolgungswahn, aber er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß man ihn, speziell ihn, und ganz allein ihn, zum Narren halten wollte: daß irgend jemand die Dinge an dieser Stelle immer neu arrangierte, mit dem einzigen Ziel, ihn zu verwirren, seine unnützen Gedanken anzustacheln und seine Beklemmung zu schüren. Er biß auf die Lippen und fuhr aus dem

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