Origin - Dan Brown - Kapitel 7
Bevölkerungsgruppen des Planeten geworden, der Atheisten, die sich mit jedem Tag lauter gegen die Gefahren des religiösen Glaubens wandten – oder das, was sie dafür hielten.
Und jetzt haben sie ihre eigenen Baseballmützen? Wow!
Während Langdons Blick über die versammelten technikaffinen Genies glitt, rief er sich ins Gedächtnis, dass viele dieser jungen analytischen Geister mit hoher Wahrscheinlichkeit antireligiös eingestellt waren, genau wie Edmond. Das Publikum an diesem Abend war nicht gerade die Stammhörerschaft eines Professors für religiöse Symbologie.
KAPITEL 4
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EDMOND KIRSCH PLANT ÜBERRASCHENDE BEKANNTMACHUNG
Zahlreiche Größen aus der Technik-Branche haben sich heute Abend in Bilbao, Spanien, eingefunden, um im Guggenheim-Museum an einer VIP-Veranstaltung des Futurologen Edmond Kirsch teilzunehmen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Nicht einmal den Gästen wurde verraten, was sie erwartet. Wie ConspiracyNet jedoch aus Insiderkreisen erfahren hat, wird Edmond Kirsch in Kürze eine Rede halten und seine Gäste mit einer bedeutenden wissenschaftlichen Entdeckung überraschen. ConspiracyNet bleibt an der Story dran. Weitere Informationen folgen, sobald sie uns vorliegen.
KAPITEL 5
Die größte Synagoge Europas steht in der Dohány-Straße in Budapest. Sie ist im maurischen Stil erbaut, mit schmuckvollen Zwillingstürmen. Der Innenraum bietet Sitzgelegenheiten für dreitausend Personen, jeweils zur Hälfte auf den Balkonen im ersten Stock, wo die Frauen Platz nehmen, und im Erdgeschoss, wo die Sitzbänke der Männer stehen.
Draußen im Garten befindet sich ein Massengrab mit den Leichen Hunderter ungarischer Juden, die während der Gräueljahre der nationalsozialistischen Besatzung ums Leben kamen. Diese Stelle ist bezeichnet durch einen Lebensbaum – eine Metallskulptur, die eine Trauerweide darstellt, auf deren Blättern die Namen der Opfer eingraviert sind. Bei Wind berühren die Blätter einander und erzeugen ein rasselndes Geräusch, das gespenstisch über den heiligen Boden weht.
Der bedeutende Talmud-Gelehrte und Kabbalist Rabbi Yehuda Köves – trotz seines fortgeschrittenen Alters und seiner angegriffenen Gesundheit noch immer aktives Mitglied der jüdischen Gemeinschaft weit über die Grenzen Ungarns hinaus – war seit mehr als drei Jahrzehnten das geistige Oberhaupt der Budapester Juden.
An diesem Abend kam Rabbi Köves aus der Synagoge, als gerade die Sonne am gegenüberliegenden Ufer der Donau versank. Vorbei an den malerischen »Ruinenkneipen« an der Dohány-Straße ging er zu seinem Haus am Marcius-Platz, einen Steinwurf entfernt von der Elisabethbrücke, welche die alten Städte Buda und Pest verband, die erst 1873 formell vereinigt worden waren.
Das Pessachfest stand bevor, für den Rabbi von jeher eine der schönsten und freudvollsten Zeiten im Jahreslauf, doch seit seiner Rückkehr vom letzten Parlament der Weltreligionen war er von quälender Unruhe erfüllt.
Wäre ich doch nie dort gewesen!
Der Gedanke an das, was ihm drei Tage zuvor auf dem außerordentlichen Zusammentreffen mit Bischof Valdespino, Al-‘Allāma Syed al-Fadl und dem Zukunftsforscher Edmond Kirsch eröffnet worden war, ließ den Rabbi nicht mehr los.
Zu Hause angekommen, ging Köves geradewegs in seinen ummauerten Garten und sperrte sein házikó auf – das kleine Gartenhaus, das als sein privates Refugium und Studierzimmer diente, ein einzelner Raum mit deckenhohen Bücherregalen, deren Böden sich unter der Last religiöser Schriften bogen.
Köves trat an seinen Schreibtisch und verzog das Gesicht beim Anblick des Durcheinanders, das sich ihm bot.
Hätte jemand diese Woche meinen Schreibtisch gesehen, hätte er mich für einen Verrückten gehalten.
Über die Arbeitsfläche verstreut lagen ein halbes Dutzend obskurer religiöser Texte, aufgeschlagen und vollgepappt mit Haftnotizen. Dahinter, auf Holzgestellen, drei schwere Folianten – hebräische, aramäische und englische Ausgaben der Thora, alle drei aufgeschlagen beim gleichen Buch.
Genesis.
Am Anfang …
Köves konnte die Genesis in allen drei Sprachen aus dem Gedächtnis zitieren. Für einen Gelehrten seines Kalibers war das Studium der Schöpfungsgeschichte etwa so, als würde Einstein zum kleinen Einmaleins zurückkehren. Normalerweise las Köves hochgelehrte Kommentare über den Zohar, die bedeutendste Schrift der Kabbala, oder fortgeschrittene kabbalistische Theorien auf dem Gebiet der Kosmologie. Nichtsdestotrotz hatte er sich in dieser Woche eingehend mit der Genesis beschäftigt. Der Notizblock auf seinem Schreibtisch war von einem Chaos aus handgekritzelten Notizen übersät – ein so wirres Durcheinander, dass Köves selbst kaum noch erkennen konnte, was er geschrieben hatte.
Als hätte ich mich in einen Wahnsinnigen verwandelt.
Rabbi Köves hatte mit der Thora angefangen, der hebräischen Bibel, und sich auf die Geschichte der Genesis konzentriert, die für Juden und Christen gleichermaßen Gültigkeit besaß. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Als Nächstes hatte der Rabbi sich den instruktiven Texten des Talmuds zugewandt und die rabbinischen Erläuterungen über Ma’aseh Bereschit gelesen, den Schöpfungsakt. Anschließend war er zum Midrasch gewechselt und hatte über den Kommentaren zahlreicher ehrwürdiger Exegeten gebrütet, die sich bemüht hatten, die vermeintlichen Widersprüche in der traditionellen Schöpfungsgeschichte aufzuklären. Und schließlich hatte Köves sich in der mystischen kabbalistischen Wissenschaft des Zohar versenkt, in welcher der unbegreifliche Gott sich in Gestalt von zehn Sephiroth manifestierte, den zehn göttlichen Erscheinungsformen, erblühend aus dem Baum des Lebens oder Ez Chajim, aus dem wiederum sich die vier Welten der Kabbala entfalten, die Welt der Tat, der Erhabenheit, der Schöpfung und der Formgebung.
Die geheimnisvolle Komplexität der Glaubenssätze, die den Judaismus ausmachten, war Köves stets ein Trost gewesen – eine ständige Mahnung Gottes, dass die Menschheit nicht geschaffen worden war, um alle Dinge zu begreifen.
Dennoch. Nach dem schockierenden Erlebnis von Kirschs Präsentation und intensivem Nachsinnen über die Schlichtheit und Klarheit dessen, was Kirsch entdeckt hatte, fühlte sich Köves, als hätte er sich in den letzten drei Tagen über ein Wirrwarr unauflöslicher Widersprüche das Hirn zermartert. Irgendwann hatte er nicht mehr anders gekonnt, als seine alten Texte und Schriften zur Seite zu schieben und einen langen Spaziergang am Ufer der Donau zu unternehmen, um den Kopf frei zu bekommen.
Schließlich aber hatte er mehr und mehr die schmerzliche Wahrheit akzeptiert, dass Kirschs Entdeckung verheerende Auswirkungen auf die Gläubigen dieser Welt haben würde. Die Enthüllungen des Wissenschaftlers widerlegten jenseits aller Zweifel fast sämtliche religiösen Dogmen – auf bestürzend einfache und überzeugende Weise.
Ich kann dieses letzte Bild nicht vergessen, dachte Köves, als er sich einmal mehr Kirschs erschütternde Schlussfolgerung während seiner Präsentation ins Gedächtnis rief. Was ich da gesehen habe, hat schreckliche Folgen nicht nur für die Gläubigen, sondern für alle menschlichen Wesen.
Trotz seiner Betrachtungen im Lauf der vergangenen Tage war Köves noch keinen Schritt weiter bei seiner Suche nach der Antwort auf die Frage, was mit der unfassbaren Information anzufangen war, die Kirsch geliefert hatte.
Köves bezweifelte, dass Valdespino oder al-Fadl sich inzwischen Klarheit darüber verschafft hatten. Er hatte erst vor zwei Tagen mit den beiden telefoniert, aber ihr Gespräch hatte sich als wenig produktiv erwiesen.
»Meine Freunde«, hatte Valdespino begonnen. »Es ist nicht zu bestreiten, dass Mr. Kirschs Präsentation in vielerlei Hinsicht erschütternd war. Ich habe ihn gedrängt, mich noch einmal aufzusuchen, damit wir die Diskussion vertiefen können, aber er meldet sich nicht. Ich glaube, die Zeit ist gekommen, dass wir eine Entscheidung treffen.«
»Was mich angeht«, sagte al-Fadl, »ich habe meinen Entschluss bereits gefasst. Wir können nicht tatenlos dasitzen und zuschauen. Wir müssen das Heft selbst in die Hand nehmen. Kirschs Verachtung für sämtliche Religionen ist nur zu gut bekannt, und er wird seine Entdeckung auf eine Weise unter die Menschen bringen, dass sie dem Glauben den größtmöglichen Schaden zufügt. Deshalb müssen wir selbst diese Entdeckung veröffentlichen, und zwar sofort. Dabei müssen wir sie ins richtige Licht rücken, um sie den Gläubigen überall auf der Welt so schonend wie möglich beizubringen und den Schock zu mildern.«
»Ja, es wäre anzuraten, dass wir selbst die Sache in die Hand nehmen«, meinte Valdespino. »Nur vermag ich mir nicht vorzustellen, wie man ein solches Wissen auf schonende Weise vermitteln könnte.« Er seufzte. »Außerdem ist da noch die Frage unseres Eides gegenüber Mr. Kirsch, die Angelegenheit geheim zu halten.«
»Zugegeben«, sagte al-Fadl. »Auch mir gefällt der Gedanke nicht, unseren Schwur zu brechen, aber ich glaube, wir müssen in diesem Fall das kleinere Übel wählen und zum Wohle aller handeln. Denn wir alle werden angegriffen, ohne Unterschied – ob Muslime, Christen, Juden oder Hindus. Und da sämtliche Religionen in den fundamentalen Wahrheiten übereinstimmen, ist es unsere Pflicht, Kirschs Material so behutsam an die Öffentlichkeit zu bringen, dass es den geringstmöglichen Schaden verursacht.«
»Ich fürchte, das ist unmöglich«, sagte Valdespino. »Wenn wir tatsächlich mit Kirschs Material an die Öffentlichkeit gehen, gibt es nur eine Option: Wir müssen seine Entdeckung in Zweifel ziehen. Wir müssen Kirsch diskreditieren, bevor er mit seiner Botschaft vor die Welt treten kann.«
»Edmond Kirsch diskreditieren?«, zweifelte al-Fadl. »Einen brillanten Wissenschaftler unglaubwürdig machen, der sich bekanntermaßen noch nie geirrt hat? Das ist absurd! Die Logik seiner Darlegungen war zwingend!«
»Bestimmt nicht zwingender als die Darlegungen eines Galileo, Bruno oder Kopernikus zu ihrer jeweiligen Zeit«, meinte Valdespino. »In der Vergangenheit haben die großen Religionen mehrmals in einem solchen Dilemma gesteckt. Und wieder ist es die Wissenschaft, die gegen die Mauern unserer Festung anrennt.«
»Aber auf einer weit fundamentaleren Ebene, als es bei den astronomischen und physikalischen Entdeckungen jemals der Fall gewesen ist!«, rief al-Fadl aus. »Kirsch stellt den Kern jeder Religion infrage – das Fundament von allem, woran wir glauben. Sie können die Geschichte zitieren, so viel Sie wollen, Valdespino, aber vergessen Sie nicht: Trotz aller Bemühungen Ihres Vatikans, Männer wie Galileo zum Schweigen zu bringen, hat seine Wissenschaft letztendlich den Sieg davongetragen. Bei Kirsch wird es genauso sein. Und es gibt keine Möglichkeit, das zu verhindern.«
Lastende Stille breitete sich aus.
»Nun, mein Standpunkt in dieser Sache ist ganz einfach«, sagte Valdespino schließlich in das Schweigen hinein. »Ich wünschte, Kirsch hätte diese Entdeckung niemals gemacht, denn wir sind nicht darauf vorbereitet, damit umzugehen. Deshalb sollte niemals ans Tageslicht kommen, was Kirsch herausgefunden hat.« Er zögerte kurz. »Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass alles, was sich auf der Welt ereignet, zu Gottes Plan gehört. Vielleicht wird