Origin - Dan Brown - Kapitel 28
Kuppelsaal durch diesen Riss verlassen hatten, waren sie außen an der Wand entlang weitergeschlichen bis zu einem erleuchteten Schild, das einen Notausgang bezeichnete, der durch ein Treppenhaus führte.
Langdon dachte staunend daran, wie unfassbar schnell Winston zu der Entscheidung gelangt war, ihnen zu helfen. »Falls Edmonds Präsentation online durch ein Passwort aktiviert werden kann, müssen wir es finden und auf der Stelle benutzen«, hatte seine Stimme in Langdons Kopf gesagt. »Meine ursprüngliche Direktive war, Edmond auf jede nur erdenkliche Weise Hilfestellung zu leisten, damit seine Präsentation heute Abend ein Erfolg wird. Wie es aussieht, habe ich versagt. Ich werde alles tun, um dieses Versagen wiedergutzumachen.«
Langdon wollte ihm schon danken, doch Winston redete ununterbrochen weiter. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
»Wäre ich selbst imstande, Edmonds Präsentation abzuspielen, würde ich es augenblicklich tun. Aber wie Sie ja gehört haben, ist sie auf einem Server an einem sicheren Ort gespeichert. Wie es scheint, brauchen wir nichts weiter als sein Phablet und das Passwort, um seine Entdeckung der Welt zu offenbaren. Ich habe bereits sämtliche publizierten Texte nach einer Gedichtzeile mit genau siebenundvierzig Stellen durchsucht. Unglücklicherweise geht die Trefferzahl in die Hunderttausende, wenn nicht mehr, abhängig davon, an welcher Stelle man das Zeilenende festlegt. Außerdem sind Edmonds Interfaces so programmiert, dass sie einen User nach wenigen Fehlversuchen bei der Passworteingabe vollständig sperren, deswegen ist ein Brute-Force-Angriff aussichtslos. Somit bleibt nur eine Option: Wir müssen sein Passwort auf andere Weise finden. Ich stimme mit Miss Vidal überein, dass Sie so schnell wie möglich Zugang zu Edmonds Haus in Barcelona erlangen sollten. Es erscheint mir logisch, dass Edmond, falls er eine Lieblingszeile in einem Gedicht hatte, ein Buch besitzt, in dem dieses Gedicht zu finden ist. Vielleicht hat er die Zeile sogar auf irgendeine Weise gekennzeichnet. Meine Berechnungen ergeben mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, dass Edmond gewollt hätte, dass Sie nach Barcelona reisen, das Passwort ausfindig machen und es benutzen, um seine Entdeckung wie ursprünglich geplant zu veröffentlichen. Des Weiteren habe ich inzwischen festgestellt, dass der Anruf, in dem darum gebeten wurde, Admiral Luis Ávila in letzter Minute auf die Gästeliste zu setzen, tatsächlich aus dem königlichen Palast in Madrid kam, genau wie Miss Vidal gesagt hat. Aus diesem Grund bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir den Agenten der Guardia Real nicht vertrauen dürfen. Ich werde eine Strategie entwickeln, wie wir sie ablenken und Ihre Flucht vereinfachen können.«
Es schien unglaublich, doch Winston hatte tatsächlich einen Weg gefunden, um genau das zu bewerkstelligen.
Die beiden Fliehenden hatten inzwischen den Notausgang erreicht. Langdon öffnete leise die Tür, schob Ambra hindurch und schloss die Tür wieder hinter sich.
»Gut«, kommentierte Winston. »Sie sind jetzt im Treppenhaus.«
»Und die Agenten der Guardia?«
»Weit weg«, erwiderte Winston. »Ich telefoniere zurzeit mit einem von ihnen. Ich gebe mich als Security-Mitarbeiterin aus und führe sie zu einer Galerie auf der anderen Seite des Museums.«
Unglaublich, dachte Langdon. Er nickte Ambra beruhigend zu. »Alles in Ordnung.«
»Steigen Sie die Treppe bis zum Erdgeschoss hinunter«, sagte Winston. »Verlassen Sie das Museum. Aber denken Sie daran: Sobald Sie das Museum verlassen haben, verliert das Headset die Verbindung zu mir.«
Verdammt. Der Gedanke war Langdon noch gar nicht gekommen. »Winston«, sagte er hastig, »bist du darüber informiert, dass Edmond in der vergangenen Woche mit mehreren Religionsgelehrten über seine Entdeckung gesprochen hat?«
»Das erscheint mir wenig plausibel«, entgegnete Winston. »Allerdings ließ seine Einführung heute Abend erkennen, dass seine Entdeckung weitreichende Konsequenzen für jegliche Religion haben wird. Vielleicht wollte er mit den geistigen Oberhäuptern der verschiedenen Glaubensgemeinschaften darüber diskutieren.«
»Das nehme ich an. Einer von diesen Männer war Bischof Valdespino aus Madrid.«
»Interessant. Ich sehe hier online zahlreiche Verweise, aus denen hervorgeht, dass er ein enger Vertrauter und Berater des Königs von Spanien ist.«
»Ich weiß. Noch eine Sache, Winston. Bist du darüber informiert, dass Edmond im Anschluss an dieses Treffen eine Sprachnachricht bedrohlichen Inhalts von Valdespino erhalten hat?«
»Nein. Sie muss auf einem privaten Anschluss eingegangen sein.«
»Edmond zufolge hat der Bischof ihn bedrängt, seine Präsentation abzusagen. Valdespino hatte ihn gewarnt, dass er und die beiden anderen Kirchenleute, mit denen Edmond sich getroffen hat, eine Vorab-Ankündigung der Entdeckung in Erwägung zögen, um Edmond und das, was er herausgefunden hat, zu diskreditieren, bevor er sich an die Öffentlichkeit wenden kann.« Langdon verlangsamte sein Tempo, bis Ambra ein paar Schritte vor ihm war, und senkte die Stimme. »Winston, kannst du eine Verbindung zwischen Valdespino und diesem Admiral Ávila finden?«
Winston schwieg ein paar Sekunden. »Keine direkte«, sagte er dann. »Aber das bedeutet nicht, dass es keine gibt, sondern lediglich, dass sie nicht dokumentiert ist.«
Sie näherten sich dem Erdgeschoss.
»Professor, wenn ich vielleicht …«, begann Winston. »In Anbetracht der Ereignisse dieses Abends legt die Logik nahe, dass mächtige Kräfte alles daransetzen werden, Edmonds Entdeckung zu unterdrücken. Wenn wir bedenken, dass Sie in Edmonds einleitenden Bemerkungen als die Person benannt wurden, deren Einsichten seinen wissenschaftlichen Durchbruch inspiriert haben, könnten Edmonds Feinde Sie als gleichermaßen gefährlich einstufen.«
Diese Möglichkeit war Langdon bisher gar nicht in den Sinn gekommen. Plötzlich war da eine Ahnung von Gefahr, als er im Erdgeschoss ankam, wo Ambra bereits auf ihn wartete.
»Wenn Sie das Gebäude verlassen, gelangen Sie in eine Gasse. Gehen Sie nach links, um das Museum herum, und weiter bis hinunter zum Fluss. Von dort aus werde ich Ihre Reise an den Ort organisieren, der mit dem Code bezeichnet ist.«
BIO-EC346, dachte Langdon. Wo Edmond und ich uns nach dem Event treffen wollten.
Er hatte Winston bedrängt, sie dorthin zu führen, nachdem er den Code endlich entziffert hatte. BIO-EC346 war kein geheimes Labor und kein Wissenschaftsclub. Die Lösung war viel profaner. Trotzdem hoffte er, dass er sich als Schlüssel für ihre Flucht aus Bilbao erweisen würde.
Wenn es uns gelingt, unentdeckt dorthin zu kommen, könnten wir es schaffen, überlegte er. Zweifellos würde es bald überall Straßensperren geben. Wir müssen schnell sein.
Als Langdon und Ambra über die Schwelle nach draußen in die kühle Nachtluft traten, sah Langdon zu seiner Verwunderung Kügelchen auf dem Boden liegen, weit verstreut, die wie Perlen eines Rosenkranzes aussahen. Doch er hatte keine Zeit, sich zu wundern. Winston redete schon wieder. »Sobald Sie den Fluss erreichen, gehen Sie zum Fußweg unter der La-Salve-Brücke und warten dort, bis …«
Unvermittelt brach die Stimme ab und wich einem ohrenbetäubenden statischen Rauschen.
»Winston?«, rief Langdon. »Warten bis was? Winston?«
Doch Winston antwortete nicht mehr, und die schwere Metalltür hinter ihnen war soeben ins Schloss gefallen.
KAPITEL 29
Viele Kilometer weiter im Süden, in einem Vorort von Bilbao, jagte eine schwarze Uber-Limousine über die Autobahn AP-68 in Richtung Madrid. Auf dem Rücksitz hatte Admiral Ávila seine weiße Uniformjacke ausgezogen und die Mütze abgesetzt und genoss das Gefühl von Freiheit, als er sich zurücklehnte und darüber nachsann, wie leicht seine Flucht gewesen war.
Genau wie der Regent vorhergesagt hat.
Ávila hatte noch nicht ganz im Fahrzeug Platz genommen, da hatte er bereits seine Pistole gezogen und sie dem verängstigten Fahrer an den Kopf gedrückt. Auf Ávilas Befehl hin hatte der Mann sein Smartphone aus dem Fenster geworfen und damit die einzige Verbindung seines Fahrzeugs mit der Uber-Zentrale gekappt.
Dann hatte Ávila die Brieftasche des Mannes durchsucht und sich dessen Adresse und die Namen seiner Frau und seiner beiden Kinder eingeprägt. Tu, was ich dir sage, hatte er dem Fahrer gedroht, oder deine Familie wird sterben. Die Knöchel des Mannes hinter dem Lenkrad waren weiß geworden, und Ávila hatte gewusst, dass er für den Rest der Nacht einen gehorsamen Fahrer haben würde.
Ich bin unsichtbar, sagte Ávila sich nun, als Streifenwagen der Polizei mit heulenden Sirenen in die entgegengesetzte Richtung rasten.
Ávila lehnte sich zurück und genoss die berauschende Kraft seines adrenalinbefeuerten Hochgefühls, während er sich auf die lange Fahrt einstellte. Ich habe der Sache treu gedient, dachte er und betrachtete die Tätowierung in seiner Handfläche. Der Schutz, den sie bot, war eine unnötige Vorsichtsmaßnahme gewesen. Zumindest für den Augenblick.
Zuversichtlich, dass der zu Tode verängstigte Fahrer seinen Befehlen Folge leisten würde, senkte Ávila seine Pistole. Als der Wagen in Richtung Madrid jagte, ging sein Blick ein weiteres Mal zu den beiden Aufklebern an der Windschutzscheibe.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?, fragte er sich. Fast bei null. Also hat der Herr es so eingerichtet.
Der erste Aufkleber war zu erwarten gewesen – das Uber-Logo. Der zweite Sticker jedoch, gleich darunter, konnte nur ein Zeichen von oben sein.
Das Papstkreuz. Das Symbol war dieser Tage überall zu sehen – Katholiken in halb Europa bekundeten ihre Solidarität mit dem neuen Papst, priesen seine Bemühungen um Liberalisierung und Modernisierung der Kirche.
Ironischerweise hatte die Erkenntnis, dass sein Fahrer ein Anhänger des neuen Papstes war, Ávila beinahe mit Freude seine Pistole ziehen und auf den Mann richten lassen. Er war erschüttert, wie tief die tumben, trägen Massen diesen neuen Pontifex verehrten, der es den Anhängern Christi erlaubte, aus einem Buffet von Gottes Gesetzen auszuwählen, welche Regeln ihnen zusagten und welche nicht. Beinahe über Nacht standen im Vatikan die Fragen von Geburtenkontrolle, Homo-Ehe, weiblichen Priestern und anderen liberalen Angelegenheiten zur Diskussion. Zweitausend Jahre christlicher Tradition schienen sich von einem Augenblick zum anderen in Luft aufzulösen.
Dem Herrn sei Dank, dass es noch jene gibt, die die alten Wege nicht kampflos verlassen.
Ávila hörte in Gedanken die Klänge des Marsches von Oriamendi.
Und ich habe die Ehre, ihnen zu dienen.
KAPITEL 30
Bei Spaniens ältester und elitärster Sicherheitstruppe, der Guardia Real, gibt es eine unerschütterliche Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht: Die Agenten der Guardia betrachten es als ihre eingeschworene Pflicht vor Gott, die Sicherheit der königlichen Familie zu gewährleisten, ihren Besitz zu schützen und ihre königliche Ehre zu verteidigen.
Comandante Diego Garza, der Befehlshaber der fast zweitausend Mann starken Truppe, war ein kleiner, schmächtiger, sechzigjähriger Mann mit dunklem Teint, winzigen