▶ JETZT! Kostenlos lesen Bestseller-Bücher online
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
Suche Erweitert
Sign in Sign up
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
  • Adult
  • Action
  • Bestseller
  • Romance
  • Fantasy
  • Thrillers
  • Science-fiction

Nachtzug nach Lissabon - Teil 39

  1. Home
  2. Nachtzug nach Lissabon
  3. Teil 39
Prev
Next

sachlich, mein Bruder ihn ansah. Vielleicht war es auch die Erschöpfung, jedenfalls lehnte er gegen die Tür in der Haltung von einem, der gerade eine schwere Krise überstanden hat und damit rechnen kann, jetzt Ruhe zu haben.

Doch das Gegenteil trat ein. Amadeu wußte nichts von den Menschen, die sich vorhin um den zusammengebrochenen Mendes geschart hatten, und ich hatte sie vergessen. Deshalb traf es uns unvorbereitet, als wir plötzlich hysterische Stimmen hörten, die riefen: >Traidor! Traidor< Sie mußten gesehen haben, daß Mendes auf der Trage der Sanitäter lebte, und nun schrien sie ihre Wut auf denjenigen hinaus, der ihn dem Tod, den er verdient gehabt hätte, entrissen hatte und den sie als Verräter an der gerechten Strafe sahen.Wie vorhin, als er Mendes erkannt hatte, schlug Amadeu die Hände vors Gesicht. Doch jetzt geschah es langsam, und wenn er vorhin den Kopf hoch oben getragen hatte wie immer, senkte er ihn jetzt unter den Händen, und nichts hätte besser als dieses Senken die Müdigkeit und Trauer zum Ausdruck bringen können, mit der er dem entgegensah, was ihm nun bevorstand.Doch weder Müdigkeit noch Trauer vermochten seinen Geist zu trüben. Mit sicherem Griff nahm er den weißen Kittel, den anzuziehen vorhin keine Zeit gewesen war, dort drüben vom Haken und streifte ihn über. Die traumwandlerische Sicherheit, die in dieser Handlung lag, habe ich erst später begriffen: Er wußte, ohne nachzudenken, daß er sich den Leuten als Arzt stellen mußte und daß sie ihn am ehesten dann so sehen würden, wenn er das sprechende Kleidungsstück trug.Als er unter die Haustür trat, verstummten die Schreie. Eine Weile stand er nur da, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen des Kittels. Alle warteten sie, daß er etwas zu seiner Verteidigung sage. Amadeu hob den Kopf und blickte in die Runde. Es kam mir vor, als ruhten seine bloßen Füße nicht einfach auf dem Steinboden, als stemme er sie vielmehr hinein.>Sou medico<, sagte er, und noch einmal, beschwörend: >Sou mediccx.

Ich erkannte drei, vier unserer Patienten aus der Nachbarschaft, die verlegen zu Boden sahen.

>E um assassino! rief jetzt jemand.

>Carniceiro!< rief ein anderer.Ich sah, wie sich Amadeus Schultern in schweren Atemzügen hoben und senkten.>E um ser humano, uma pessoa<, er ist ein menschliches Wesen, eine Person, sagte er laut und klar, und vermutlich hörte nur ich, die ich jede Nuance seiner Stimme kannte, das leise Zittern, als er wiederholte: >Pessoa<.Gleich darauf zerplatzte eine Tomate auf dem weißen Kittel. Es war, soweit ich weiß, das erste und einzige Mal, daß jemand Amadeu körperlich angriff. Ich kann nicht sagen, wie groß der Anteil dieses Angriffs an dem war, was nachher mit ihm geschah - wieviel es zu der tiefen Erschütterung beitrug, die jene Szene unter der Tür in ihm auslöste. Doch ich vermute, daß es wenig war im Vergleich mit dem, was sich nun ereignete: Eine Frau löste sich aus der Menge, trat vor ihn und spuckte ihm ins Gesicht.Wäre es nur ein einziges Spucken gewesen, so hätte er es vielleicht als eine Kurzschlußhandlung sehen können, vergleichbar einem wütenden, unbeherrschbaren Zucken. Doch die Frau spuckte mehrmals und immer weiter, es war, als spuckte sie sich die Seele aus dem Leib und ertränkte Amadeu im Schleim ihres Ekels, der ihm in langsamen Rinnsalen übers Gesicht lief.Er hielt diesem erneuten Angriff mit geschlossenen Augen stand. Aber er mußte, genau wie ich, die Frau erkannt haben: Es war die Frau eines Patienten, den er über Jahre hinweg in unzähligen Hausbesuchen, für die er keinen Centavo genommen hatte, in den Krebstod begleitet hatte. Welch eine Undankbarkeit!, dachte ich als erstes. Doch dann sah ich in ihren Augen den Schmerz und die Verzweiflung, die hinter der Wut hervordrängten, und da begriff ich: Sie spuckte ihn an, weil sie dankbar war für das, was er getan hatte. Er war wie ein Held gewesen, ein Schutzengel, ein göttlicher Bote, der sie durch die Dunkelheit der Krankheit begleitet hatte, in der sie, wäre sie allein gelassen worden, verlorengegangen wäre. Und er, ausgerechnet er, hatte sich der Gerechtigkeit in den Weg gestellt, die darin bestanden hätte, daß Mendes nicht mehr hätte weiterleben dürfen. Dieser Gedanke hatte in der Seele dieser unförmigen, ein bißchen beschränkten Frau einen derartigen Aufruhr verursacht, daß sie sich nur noch mit einem Ausbruch zu helfen wußte, der, je länger er dauerte, etwas Mythisches bekam, eine Bedeutung, die weit über Amadeu hinausreichte.Als ob die Menge spürte, daß damit eine Grenze überschritten worden war, löste sie sich auf, die Leute gingen weg, den Blick gesenkt. Amadeu wandte sich um und kam auf mich zu. Ich wischte ihm mit einem Taschentuch das Gröbste aus dem Gesicht. Drüben am Waschbecken hielt er das Gesicht unter den Wasserstrahl und drehte den Hahn so weit auf, daß das Wasser über das Becken hinaus in alle Richtungen spritzte. Das Gesicht, das er sich trockenrieb, war bleich. Ich glaube, er hätte in diesem Moment alles darum gegeben, weinen zu können. Er stand da und wartete auf die Tränen, doch sie wollten nicht kommen. Seit Fatimas Tod vier Jahre zuvor hatte er nicht mehr geweint. Er machte ein paar steife Schritte auf mich zu, es war, als müsse er von neuem gehen lernen. Dann stand er vor mir, im Blick die Tränen, die nicht fließen wollten, er faßte mich mit beiden Händen an den Schultern und lehnte seine noch feuchte Stirn gegen die meine. Es mögen drei, vier Minuten gewesen sein, daß wir so standen, und sie gehören zu den kostbarsten Minuten meines Lebens.«Adriana schwieg. Sie durchlebte sie noch einmal, diese Minuten. In ihrem Gesicht zuckte es, doch auch ihre Tränen wollten nicht kommen. Sie ging hinüber zum Waschbecken, ließ Wasser in das Gefäß der Handflächen laufen und tauchte das Gesicht hinein. Langsam fuhr sie sich mit dem Handtuch über Augen, Wangen und Mund. Als verlange die Geschichte eine unverrückbare Position der Erzählerin, ging sie dann zur selben Stelle zurück, bevor sie fortfuhr. Auch die Hand legte sie wieder auf die Liege.Amadeu, erzählte sie, duschte und duschte. Dann setzte er sich ans Pult, nahm einen frischen Bogen Papier und schraubte den Füllfederhalter auf.Nichts geschah. Kein einziges Wort kam zustande.»Das war das Schlimmste von allem«, sagte Adriana: »zusehen zu müssen, wie das Geschehene ihn stumm gemacht hatte, so daß er daran zu ersticken drohte.«Auf die Frage, ob er etwas essen wolle, nickte er abwesend. Dann ging er ins Bad und wusch die Tomatenflecke aus dem Kittel. Zum Essen kam er — das war noch nie vorgekommen — im Kittel und strich unablässig über die nassen Stellen. Adriana spürte, daß sie aus großer Tiefe kamen, diese streichenden Bewegungen, und sie schienen Amadeu mehr zuzustoßen, als daß er sie planvoll vollzogen hätte. Sie hatte Angst, er würde vor ihren Augen den Verstand verlieren und für immer so sitzen bleiben, ein verloren blickender Mann, der in Gedanken stets von neuem den Schmutz abzustreifen versuchte, mit dem ihn Leute beworfen hatten, denen er all sein Können und all seine Lebenskraft geschenkt hatte, Tag und Nacht.Plötzlich, mitten im Kauen, rannte er ins Bad und erbrach sich in einer endlos scheinenden Folge von würgenden Krämpfen. Er wolle sich etwas ausruhen, sagte er nachher tonlos.»Ich hätte ihn gerne in die Arme genommen«, sagte Adriana, »aber es war unmöglich, es war, als brenne er und als würde sich jeder verbrennen, der ihm zu nahe kam.«Die beiden nächsten Tage war es fast, als sei nichts geschehen. Nur ein bißchen angespannter als sonst war Prado, und seine Freundlichkeit den Patienten gegenüber hatte etwas Ätherisches und Unwirkliches. Ab und zu hielt er mitten in einer Bewegung inne und sah mit leerem und vagem Blick vor sich hin wie ein Epileptiker während einer Absence. Und wenn er auf die Tür zum Wartezimmer zuging, war ein Zögern in seinen Bewegungen, als fürchte er, es könnte dort jemand aus der Menge sitzen, die ihn des Verrats angeklagt hatte.Am dritten Tag wurde er krank. Adriana fand ihn in der Morgendämmerung schlotternd am Küchentisch. Er schien um Jahre gealtert und wollte niemanden sehen. Dankbar überließ er es ihr, alles zu regeln, und versank danach in einer tiefen, gespenstisch anmutenden Apathie. Er rasierte sich nicht und zog sich nicht an. Der einzige Besucher, den er zu sich ließ, war Jorge, der Apotheker. Doch auch zu ihm sagte er kaum ein Wort, und Jorge kannte ihn zu gut, um in ihn zu dringen. Adriana hatte ihm erzählt, wie es dazu gekommen war, und er hatte schweigend genickt.»Nach einer Woche kam ein Brief von Mendes. Amadeu legte ihn ungeöffnet auf den Nachttisch. Dort lag er zwei Tage. In den frühen Morgenstunden des dritten Tages steckte er ihn, nach wie vor ungeöffnet, in einen Umschlag und adressierte ihn an den Absender. Er bestand darauf, ihn eigenhändig zum Postamt zu bringen. Dort würden sie erst um neun aufmachen, wandte ich ein. Er ging trotzdem auf die leere Gasse hinaus, den großen Umschlag in der Hand. Ich sah ihm nach und wartete dann am Fenster, bis er nach Stunden wiederkam. Er ging aufrechter als beim Weggehen. In der Küche probierte er, ob er den Kaffee wieder vertrug. Es ging. Dann rasierte er sich, zog sich an und setzte sich ans Pult.«Adriana schwieg, und ihr Gesicht erlosch. Verloren blickte sie auf die Liege, vor der Amadeu gestanden hatte, als er Mendes mit einer Bewegung, die einem Todesstoß glich, die lebensrettende Nadel ins Herz stieß. Damit, daß die Geschichte zu Ende war, war für sie auch die Zeit zu Ende.Im ersten Moment kam es

Prev
Next

SIE KÖNNEN AUCH MÖGEN

Lea
Lea – Pascal Mercier
April 22, 2020
Perlmanns Schweigen
Perlmanns Schweigen
April 22, 2020
Das Gewicht der Worte
Das Gewicht der Worte
April 18, 2020
Der Klavierstimmer
Der Klavierstimmer
April 22, 2020
  • HOME
  • Copyright
  • Privacy Policy
  • DMCA Notice
  • ABOUT US
  • Contact Us

© 2019 Das Urheberrecht liegt beim Autor der Bücher. All rights reserved