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Lea - Pascal Mercier - Teil 34

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Was alles war sonst noch Show?

Drei Milliarden Lire. Das war fast soviel, wie ich dabeihatte. Die teuerste del Gesù hatte bei Sotheby’s in London 6 Millionen Pfund gebracht. Damit verglichen war diese hier billig. Ich wollte sie haben. Ich dachte daran, wie ich mit Lea am Küchentisch gesessen und Il Cannone betrachtet hatte. Zuerst hatte der helle Fleck sie gestört, dann hatte sie gesagt: ›Eigentlich ist es ganz gut, irgendwie echt und lebendig, man kann fast die Wärme von Niccolòs Kinn spüren.‹ Ich wollte wieder mit ihr am Küchentisch sitzen. Sie mußte die Augen schließen, ich legte diese Geige hier vor ihr auf den Tisch, dann durfte sie die Augen öffnen. Sie stand auf, und unsere Wohnung verwandelte sich in einen Dom aus sakralen Guarneri-Tönen. Aus ihren leuchtenden Augen war alles Trübe und alle Leerheit verschwunden, die schlimmen Dinge der letzten Zeit waren mit einem Schlag vergessen, Lévy war ferne Vergangenheit, Maries ›Nein!‹ wie nie gewesen, die fotografierten Szenen auf dem Bett zu Schatten herabgesunken. Ich mußte die Geige haben. Fortan würde es nur noch die offene, glückliche Zukunft von LEA VAN VLIET geben, die viel strahlender war als die Vergangenheit von Mademoiselle Bach. Und diese Lea van Vliet würde sich mit einer Geige zurückmelden, welche die Amati von früher bei weitem übertraf. Ich mußte sie haben, um jeden Preis.«

Er warf mir einen scheuen, fragenden Blick zu: ob ich verstünde. Ich nickte. Natürlich verstand ich, Martijn. Niemandem, der dich davon sprechen hörte, wäre es anders gegangen. Jetzt, wo ich es aufschreibe, kommen die Tränen, die ich damals unterdrückte. Du saßest wieder hinter dem Steuer des Rennwagens, den Jean-Louis Trintignant von der Côte d’Azur nach Paris fuhr, ein Mann, der alles gegeben hatte, einfach alles, wie du sagtest, und du suchtest noch einmal die ganze Stadt ab, um das Parfum von Dior zu finden, das Cécile benutzt hatte.

Warum hast du mich nicht angerufen.

»Ich fing an zu bieten. Es war das erste Mal, bisher hatte ich nur schweigend zwischen den anderen gesessen, im Rückblick kommt es mir vor, als hätte ich auf meinem unbequemen Stuhl in einem imaginären Raum geschwebt, in einem Raum wie bei Chagall, irgendwo auf halber Höhe, gehalten von nichts außer der Absurdität der Situation. Und nun trat ich in den wirklichen, heißen Raum ein, in dem die Luft zum Schneiden und der Geruch zum Erbrechen war.

Ich hatte die Geige so lange in Händen gehalten, daß die anderen unruhig geworden waren. Als mein Blick nun das Gesicht des Alten streifte, dachte ich: Er hat gemerkt, wieviel sie mir bedeutet. War es ein Lächeln, das aus den hellen Augen und dem ausgemergelten Gesicht sprach? Ich wußte es nicht, aber der Ausdruck brachte mich dazu weiterzubieten, immer weiter, die Summe war inzwischen viel höher als der Betrag in meinem Koffer, doch das Gesicht des Alten gab mir den verzweifelten Mut dazu. Er würde mir die Differenz stunden, dachte ich vage, während ich die Fünf-Milliarden-Grenze überschritt. Fünf Milliarden Lire, an die vier Millionen Franken – nun war jede andere Summe auch möglich. Ich war in einem anderen imaginären Raum angekommen, dem Raum des federleichten Spielgeldes, das alles und nichts wert ist. Den sorgenvollen Gesichtern der anderen sah man die horrenden Summen an. Ich aber wurde entspannter und entspannter, es war eine rasende Achterbahnfahrt, ich lehnte mich zurück und genoß die Aussicht, bald aus der Kurve getragen zu werden, weit hinaus, wo die Dinge ausblichen. Am Schluß war ich der einzige, der noch bot. Sechs Milliarden Lire, gut viereinhalb Millionen Franken. Das Mädchen blickte in die Runde, dann schrieb sie die Summe auf.

Der Alte sah mich an. Sein Blick war nicht schneidend wie früher in der Nacht. Auch ein Lächeln war nicht im Blick. Aber etwas Sanftes war in den Augen, ein Wohlwollen, das schwer zu deuten war, und darüber blickten die hellen Augen plötzlich ganz normal in die Welt. Das Irre im Blick war verschwunden, so daß ich dachte: Der irre Blick, er ist wie das Krächzen nur Show, der Alte mag verschroben sein, die Kiste mit den Geigen beweist es, aber verrückt ist er nicht, und er hält uns alle zum Narren.

›I violini non sono in vendita‹, die Geigen sind nicht verkäuflich. Der Alte sagte es leise und doch sehr deutlich. Danach büschelte er die Lippen zu einem spöttischen, verächtlichen Grinsen. Ich weiß nicht, für mich kam es nicht völlig überraschend. Der Alte war mir mehr und mehr wie ein Spieler, ein Clown, ein Scharlatan vorgekommen. Die anderen aber saßen da wie geohrfeigt. Keiner sagte ein Wort. Ich sah zu dem Mädchen hinüber: War sie eingeweiht gewesen, angestellt, der Show den Anschein der Echtheit zu geben?

Der Mann im Anzug von Armani erwachte als erster zum Leben. Er war bleich vor Wut. ›Che impertinenza …‹, murmelte er, stieß beim Aufstehen den Stuhl um und stürmte hinaus. Zwei andere erhoben sich, blieben eine Weile stehen und sahen den Alten an, als würden sie ihm am liebsten den Hals umdrehen. Der Herr, den ich mir im venezianischen Palazzo vorgestellt hatte, war sitzen geblieben und rang mit seinen Gefühlen. Wie er aussah, mußte Rage dabei sein, aber auch der Versuch, die Sache mit Humor zu sehen. Schließlich ging auch er, der einzige, der sich zu einem Buona notte! aufraffen konnte.

Ich war sitzengeblieben, ich weiß nicht warum. Vielleicht wegen der Art, wie mich der Alte zuletzt angesehen hatte. Er tat, als sei auch ich nicht mehr da, stand mit überraschend elastischen Bewegungen auf und öffnete die Fenster. Kühle Nachtluft strömte herein, über den Dächern war ein erster Lichtschein zu erkennen. Ich wußte nicht, was ich sagen oder tun sollte, wußte eigentlich nicht, was ich überhaupt wollte. Gerade hatte ich mich entschieden zu gehen, da trat der Alte vor mich hin und bot mir eine Zigarette an. ›Fumi?‹ Keine Spur von Krächzen mehr, und die Anrede mit du klang wie ein unbestimmtes Versprechen.

Er war einfach ein Kauz, der es genoß, ein Kauz mit einem Haufen Geld zu sein. Ich hatte den Eindruck: Das war das einzige, was er in seinem Leben hatte genießen können. Nicht, daß er etwas über sich gesagt hätte. Und ihm Fragen zu stellen – das verbot sich durch das Spannungsfeld, das ihn umgab und ihn, wenn er falsch behandelt wurde, gefährlich machen konnte. Statt dessen fragte er mich, warum ich die del Gesù um jeden Preis haben wolle.

Was sollte ich machen? Entweder erzählte ich ihm von Lea, oder ich ging. Und so erzählte ich in den frühen Morgenstunden, in denen ich die Turmuhr schlagen hörte, einem verschrobenen, steinreichen italienischen Greis, der in einem schäbigen Loch in Cremona saß, eine Truhe voller Geigen neben sich, das ganze Unglück meiner Tochter.«

Damals, im Hotelzimmer, habe ich es nicht gemerkt, doch jetzt spüre ich: Ich war eifersüchtig auf den Alten und enttäuscht, daß ich nicht der einzige war, dem Van Vliet vom Unglück seiner Tochter erzählt hatte. Ich war froh, daß Signor Buio das, was danach kam, nicht hatte hören können.

»Der Alte deutete auf den Tisch, an dem das Mädchen geschrieben hatte. Erst jetzt sah ich, daß es auch ein Schachtisch war. ›Spielst du?‹ Ich nickte. ›Wir schließen einen Handel‹, sagte er. ›Eine Partie, nur eine. Du gewinnst – du bekommst die del Gesù umsonst; du verlierst – du zahlst mir mille milioni dafür.‹ Er holte Figuren und stellte sie auf.

Es würde die wichtigste Partie werden, die ich jemals zu spielen hatte.

Ich will gar nicht zu beschreiben versuchen, was ich fühlte. Ich könnte das ganze Geld in Thun wieder einzahlen und zurücküberweisen, das Paßwort löschen. Alles wie nie gewesen. Und trotzdem würde Lea am Küchentisch die Augen öffnen, die Geige nehmen und aus der Wohnung eine Guarneri-Kathedrale machen. Es war irre, mein Gott, es war so irre, daß ich alle paar Minuten auf die Toilette mußte, obwohl schon längst nichts mehr kam. Der Alte dagegen saß die ganze Zeit beinahe regungslos vor dem Brett, die Augen halb geschlossen.

Er eröffnete sizilianisch, wir spielten neun oder zehn Züge, dann war er erschöpft und mußte ins Bett, wir verabredeten uns für den Abend. Damit begannen drei vollständig verrückte Tage. Tage der Schach-Trance, der Euphorie und der Angst, Tage, die ganz auf den nächsten Abend hin gelebt wurden, wo die Partie weiterging. Ich kaufte Brett und Figuren, wechselte in ein ruhigeres Hotel, besorgte mir ein Schach-Lehrbuch und ging alles durch, was mir helfen könnte, diese verrückte Partie zu gewinnen, die der Alte mit enormer Raffinesse und Übersicht herunterspielte, als sei es nichts. Nach der zweiten Nacht nahm ich ein Schlafmittel und schlief zwölf Stunden, dann ging es wieder.

Ich ging in den Dom, ich war auf einmal hungrig nach geistlicher Musik. Ich sah, wie Marie das Kreuz auf Leas Stirn zeichnete. Wenn ich die Augen schloß und den riesigen Raum durch seine herbe Kühle und den Geruch nach Weihrauch spürte, kam es mir vor, als säße ich mitten in der Kathedrale, die sich Lea jedesmal, wenn sie den Bogen ansetzte, mit ihren klaren, warmen Tönen baute – eine Kathedrale, die ihr Schutz bot gegen das Leben und die zugleich auch Leben war.

Es gab eine Platte zu kaufen, auf der Musik von Bach auf berühmten Cremoneser Geigen gespielt wurde, damit man vergleichen konnte. Ich lag auf dem Bett und hörte die verschiedenen Klänge: Guarneri, Amati, Stradivari. Man braucht Zeit, bis man unterscheiden kann. Natürlich wußte ich, daß nicht alle Guarneris gleich klingen, auch nicht alle del Gesùs. Trotzdem reiste ich mit dem Guarneri-Klang der Platte in unsere Küche

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