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Lea - Pascal Mercier - Teil 32

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Musik und des Konzertfiebers zurückzugeben. Und als er mir von der tollkühnen, fiebrigen Entschlossenheit erzählte, mit der er sich an den Computer setzte, verstand ich zum ersten Mal die Wucht seines Hasses, der in ihm aufgeflammt war, als der Maghrebiner mit schneidender Stimme jenen Satz zu ihm sagte: C’est de votre fille qu’il s’agit.

Er fand heraus, daß es im Internet ein Forum für Leute gab, die Nachrichten und Fragen zu den Geigen der Familie Guarneri austauschen wollten. Mit brennenden Augen las er den gesamten Austausch.

»Es war, als tauchte ich in einen heißen, brodelnden Hexenkessel ein«, sagte er. »Dabei war die Sprache der Botschaften kühl und distanziert, es kamen darin seltene, erlesene Wörter vor, das Ganze hatte etwas von einer geheimen Loge, deren Mitglieder in der Wahl der Worte besonderen Regeln folgten, durch die sie sich als Eingeweihte auswiesen.«

Und da stieß er auf Signor Buio. »Habt ihr schon gehört, daß Sig. Buio seine Guarneris versteigern will?« hieß es da. »Unglaublich, nach all den Jahren. Es müssen mindestens ein Dutzend sein. Auch del Gesùs. Es soll bei ihm zu Hause geschehen, habe ich gehört, und er akzeptiert nur Bargeld. Das Ganze kommt mir vor, als plane er eine Schachpartie gegen den Rest der Welt, vielleicht die letzte Partie seines Lebens.«

Van Vliet zögerte sich einzuklinken, denn dann hatten sie seine Adresse. Aber es war einfach zu stark.

Was er erfuhr, war eine Geschichte wie aus einem Märchenbuch. Signor Buio war ein legendärer Mann aus Cremona, dem sie diesen Namen – Herr Dunkel – gegeben hatten, weil er nie anders als schwarz gekleidet erschien: schäbiger schwarzer Anzug, ausgetretene schwarze Schuhe, die wie Hausschuhe aussahen, schwarzes Unterhemd, darüber der weiße, faltige Hals eines Mannes, der zwischen achtzig und neunzig sein mußte. Steinreich und geizig zum Verhungern. Eine Wohnung in einem schäbigen Haus mit feuchten Wänden. Die Geigen, sagte man, bewahre er in Schränken und unter dem Bett auf. Eine filius Andreae war angeblich von den Bettfedern zerdrückt worden.

Er schlappte durch Cremona mit einer löchrigen Plastiktüte, in der er das billige Gemüse, die Fleischreste und den Fusel nach Hause trug. Weit und breit keine Frau, dem Gerücht nach aber eine Tochter, die er vergötterte, obwohl sie ihn verleugnete. Die Geldscheine trug er, mehrfach gefaltet, in einem winzigen roten Etui bei sich, es gab tausend Hypothesen darüber, warum es rot und nicht schwarz war. Als sich ein Kellner weigerte, einen dieser zerknautschten Geldscheine anzunehmen, kaufte Signor Buio das Café und warf ihn hinaus.

Er behauptete, mit Caterina Rota, der Frau von Guarneri del Gesù, verwandt zu sein. Und er hatte einen maßlosen Haß auf alle ausländischen Firmen, die mit Geigen aus Cremona handelten. Wenn er erfuhr, daß ein Händler eine Guarneri besaß, kannte sein Haß keine Grenzen mehr, und er träumte davon, jemanden anzuheuern, der sie stahl und nach Hause brachte. Niemand wußte, warum, aber sein besonderer Haß galt den amerikanischen Händlern in Chicago, Boston und New York. Er konnte kein Englisch, aber die Schimpfwörter kannte er alle. Es hatte der Legende nach eine italienische Geigerin gegeben, deren Spiel er über alles liebte und in die er auch sonst vernarrt war. Er erkannte jede Cremoneser Geige an ihrem Klang und hörte, welcher Hände Werk sie war. Deshalb wußte er, daß sie auf einer Guarneri filius Andreae spielte. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht eine Platte von ihr auflegte. Eines Tages erfuhr er, daß sie die Geige bei einem Händler in Boston gekauft hatte. Er zerschlug all ihre Platten mit einer Axt und riß die Fotos von ihr in tausend Stücke. Alle sagten: Er ist verrückt, aber es gibt niemanden auf diesem Planeten, der mehr von Cremoneser Geigen versteht.

Van Vliet fragte nach Datum und Ort der Versteigerung. Sie sollte in drei Tagen sein und um Mitternacht beginnen. Das Haus hatte keine Nummer, war aber an der blauen Haustür zu erkennen. Daß Sr. Buio nur Bargeld akzeptierte: Hieß das, daß die Leute mit Geldkoffern anreisten? So recht wußte das niemand, aber es mußte wohl so sein.

Es kam Van Vliet vor, als hätte er eine Droge genommen, die ihn gleichzeitig aufputschte und schrecklich müde machte. Er schloß die Bürotür ab und legte sich auf die Couch. Die Traumfetzen waren vage und erloschen schnell, aber stets ging es irgendwie um den dunklen Mann, der von ihm Geld wollte, das er nicht bei sich hatte. Er hörte das schadenfreudige Kichern des Alten nicht, aber es war da.

Er wachte auf, als Ruth Adamek an der Tür rüttelte. Sie sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an, als er mit verschlafenem Gesicht und zerzaustem Haar öffnete. Wieder fragte sie nach dem Paßwort. Wieder lehnte er ab. Jetzt waren sie nur noch Gegner, und es fehlte nicht viel bis zur Feindschaft. Er löschte das Paßwort, das sie unter Umständen erraten konnte, und ersetzte es durch ein neues, auf das sie unmöglich kommen konnte: delgesù. Dann fuhr er nach Hause.

24

»WENN LEA, als ich heimkam, nicht mit diesem Blick auf dem Bett gesessen hätte – vielleicht hätte ich es nicht getan«, sagte Van Vliet.

Wir hatten unsere Hotelzimmer für eine weitere Nacht gemietet und saßen in meinem. Je mehr sich seine Erzählung der Katastrophe näherte, desto öfter brauchte er eine Pause. Am See waren wir manchmal eine halbe Stunde gegangen, ohne daß er ein Wort gesagt hatte. Hin und wieder hatte er einen Schluck aus dem Flachmann genommen, aber nur einen Schluck. Es war unmöglich, jetzt nach Bern zu fahren; es hätte ihn erstarren und das erzählerische Erinnern versiegen lassen. Und so lotste ich ihn zurück zum Hotel. Als ich ihm seinen Schlüssel gab, warf er mir einen scheuen und dankbaren Blick zu.

»Sie saß da mit angezogenen Beinen, um sich herum lauter Fotos von ihren Auftritten«, fuhr er jetzt fort. »Bilder, wo sie spielte, andere, wo sie sich verbeugte, noch andere, wo der Dirigent ihr die Hand küßte. Es waren so viele, und sie lagen so dicht, daß sie wie eine zweite Bettdecke wirkten, in der es nur die Lücke für ihren kauernden Körper gab, eine kleine Lücke, denn sie aß ja kaum noch etwas und wurde immer dünner. Ihr Blick war leer und weit weg, so daß ich dachte: So sitzt sie schon seit Stunden.

Sie sah mich mit einem Blick an, der mich sofort an Carolines Worte erinnerte: daß es Ihnen recht ist. Wenn es wenigstens ein wütender Blick gewesen wäre! Ein Blick, der einen Kampf hätte eröffnen können, wie ich ihn nachts im Büro mit ihr geführt hatte. Doch es war ein Blick fast ohne Vorwurf, nur voller Enttäuschung, ein Blick ohne Zukunft. Ob ich etwas kochen solle, fragte ich. Sie schüttelte unmerklich den Kopf, fast war es nur das Zitat eines Kopfschüttelns. Als ich dann in der Küche stand, wo mich ihr Blick verfolgte, dachte ich etwas, das ich noch nie gedacht hatte, und es tat mir so weh, daß ich mich festhalten mußte. Was ich dachte, war: Sie wünschte sich einen anderen Vater. Verstehen Sie jetzt, daß ich nach Cremona mußte? Daß ich einfach MUSSTE?«

Ich hatte ihm kein Zeichen gegeben, daß ich es nicht verstünde, im Gegenteil. Doch je näher wir der Tat kamen, mit der er eine Grenze überschritten hatte, desto mehr wurde ich, wie mir schien, in ihm auch zum Richter, einem Richter immerhin, um dessen Verständnis man werben und den man für sich gewinnen konnte. Er saß auf meiner Bettkante, die Hände, die sich um den Flachmann krampften, zwischen den Knien. Er sah mich kaum an, sprach auf den Teppich hinunter. Doch jede Bewegung, die ich im Sessel machte, irritierte ihn, die Konzentration flackerte, ein Anflug von Ärger huschte über die müden Züge.

Leise hatte er damals die Wohnungstür hinter sich geschlossen und war zurück ins Institut gegangen. Er schloß sich im Büro ein und überwies die Hälfte der eingegangenen Forschungsgelder per Mausklick auf sein Konto in Thun. »Dieser eine Druck des Fingers auf der Maustaste«, sagte er heiser, »ein Druck unter Hunderttausenden, ununterscheidbar von allen anderen und doch herausgehoben aus ihnen – ich werde ihn nie vergessen. Auch die Gesichtsmuskeln dabei werden mir für immer in Erinnerung bleiben, sie krampften sich zusammen und waren ganz heiß.«

Martijn van Vliet, der als Junge auf dem Bett gelegen und sich gewünscht hatte, Geldfälscher zu werden. Martijn van Vliet, der im Schach jede Herausforderung annahm und keiner Versuchung widerstehen konnte, ein tollkühnes, dem Gegner unverständliches Gambit zu spielen. Jetzt, unmittelbar nach dem verhängnisvollen Mausklick, hatte er Angst. Es muß eine höllische Angst gewesen sein. Sie war als Schatten in seinem dunklen Blick noch jetzt zu erkennen.

Doch er fuhr. Zunächst nach Thun und dann, mit einem Koffer voller Banknoten, nach Cremona.

Ich sah ihn an, wie er auf der Bettkante saß und vom italienischen Zöllner erzählte, der am Abteil vorbeiging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Unter einem klaren, blauen Himmel war er durch die Poebene gefahren, schwindlig vor Aufregung. Es war auch Angst dabei, die Angst des Mausklicks, aber je weiter es nach Süden ging, desto mehr wich sie dem Fieber des Spielers.

»Ich rauchte, ich hielt den Kopf in den Wind, ich rauchte und trank aus dem Pappbecher den miesen Kaffee des Getränkewagens.« Er krampfte die Hände um den Flachmann, die Knöchel waren weiß.

Es war sonderbar: Da war die Kraft, ja die Gewalt der großen Hände, in der das schlechte Gewissen und die Wut auf das schlechte Gewissen zum Ausdruck kamen. Dort, zwischen seinen Knien, fand der Kampf mit dem inneren Richter statt. Und darüber, auf der Höhe von Blick und

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