Inferno - Dan Brown - Kapitel 14
die Zeit für Sittsamkeit«, sagte Sienna, packte seine Hände und legte sie um ihre schlanke Taille. »Gut festhalten!« Sienna jagte das Trike die Auffahrt hinauf.
Langdon tat wie geheißen. Das Ding ist viel schneller, als ich gedacht hätte.
Sie hoben fast ab, als sie im frühen Licht des Morgens aus der Garage auf die Straße hinausschossen, vielleicht fünfzig Meter vom Haupteingang entfernt. Der muskulöse Soldat vor dem Eingang fuhr zu ihnen herum und sah sie mit Vollgas flüchten.
Langdon warf einen Blick über die Schulter. Der Soldat hatte die Waffe gehoben und zielte sorgfältig. Langdon wappnete sich innerlich. Ein einzelner Schuss fiel. Er prallte als Querschläger von der Heckstoßstange des Trikes ab und verfehlte Langdons Rückgrat nur knapp.
Himmel!
An der nächsten Kreuzung bog Sienna scharf nach links ab. Langdon geriet ins Rutschen und kämpfte verzweifelt um sein Gleichgewicht.
»Lehnen Sie sich gegen mich!«, rief sie.
Langdon drückte sich an sie und gewann fast augenblicklich sein Gleichgewicht zurück. Sienna lenkte das Trike mit Höchstgeschwindigkeit über eine breite Durchgangsstraße. Einige Straßen weiter wagte Langdon wieder zu atmen.
Wer zum Teufel sind diese Männer?
Konzentriert manövrierte Sienna das Gefährt durch den morgendlichen Verkehr. Mehrere Fußgänger starrten ihnen verwundert nach – offensichtlich überrascht vom Anblick eines großgewachsenen Mannes auf dem Sozius hinter einer schlanken Frau.
Sie waren drei Blocks weit gekommen und näherten sich einer großen Kreuzung, als vor ihnen wütendes Hupen erklang. Ein schwarzer Van schlitterte auf zwei Rädern in die Kreuzung und beschleunigte genau in ihre Richtung. Der Wagen sah genauso aus wie der vor Siennas Wohnung, mit dem die Soldaten gekommen waren. Sienna bog scharf nach rechts ab, bremste hart, wodurch Langdon abrupt gegen ihren Rücken gedrückt wurde. Hinter einem parkenden Lieferwagen kamen sie schließlich zum Stehen, verborgen vor den Blicken der Verfolger. Sienna hatte das Trike direkt hinter die Heckstoßstange des Wagens bugsiert. Sie schaltete den Motor aus.
Haben sie uns gesehen?
Sie beugten sich tief über den Lenker und warteten atemlos.
Der Van jagte vorbei, ohne seine Fahrt zu verlangsamen. Offensichtlich hatte niemand sie bemerkt. Als der Wagen vorüberraste, erhaschte Langdon einen flüchtigen Blick auf eine Person im Fond.
Es war eine attraktive ältere Frau, eingeklemmt zwischen zwei Soldaten wie eine Gefangene. Ihre Augen waren halb geschlossen, und ihr Kopf bewegte sich kraftlos hin und her, als stünde sie unter Drogen. Sie trug ein Amulett um den Hals und hatte gelocktes silbernes Haar.
Für einen Moment zog sich Langdons Kehle zusammen.
Er hatte soeben einen Geist gesehen.
Die Frau aus seinen Visionen.
KAPITEL 17
Der Provost stürmte aus dem Kontrollraum und marschierte über das Steuerborddeck der Mendacium, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Was sich soeben in dem Wohnhaus in Florenz ereignet hatte, war geradezu unglaublich.
Er umrundete zweimal das gesamte Schiff, bevor er in sein Büro zurückstapfte und eine Flasche fünfzig Jahre alten Highland-Park-Single-Malt-Whisky hervorholte. Ohne sich ein Glas einzuschenken, stellte er die Flasche ab und kehrte ihr den Rücken zu – um sich selbst zu beweisen, dass er die Dinge noch immer unter Kontrolle hatte.
Sein Blick wanderte zu einem schweren abgegriffenen Wälzer im Bücherregal: das Geschenk eines Klienten … jenes Klienten, dem er inzwischen am liebsten nie begegnet wäre.
Wie hätte ich das vor einem Jahr wissen sollen?
Normalerweise traf sich der Provost nicht persönlich mit Klienten, doch dieser spezielle Kunde war ihm von einer vertrauenswürdigen Quelle empfohlen worden, und so hatte er eine Ausnahme gemacht.
Es war ein vollkommen ruhiger Tag auf See gewesen, als der Klient mit dem eigenen Hubschrauber auf dem Helipad der Mendacium gelandet war. Der Klient war eine angesehene Persönlichkeit auf seinem Gebiet, sechsundvierzig, gepflegt, außergewöhnlich groß und mit durchdringenden grünen Augen. Der Mann hatte die langen Beine ausgestreckt und es sich im luxuriösen Büro des Provosts bequem gemacht, ehe er zur Sache gekommen war. »Wie Sie wissen, wurden mir Ihre Dienste von einem gemeinsamen Freund empfohlen. Ich will Ihnen zunächst schildern, was ich von Ihrer Organisation benötige.«
»Nein.« Mit dieser knappen Antwort hatte der Provost gleich klargestellt, wer das Sagen hatte. »Das Protokoll meines Unternehmens verbietet, dass Sie mir irgendetwas schildern. Ich erkläre Ihnen, welche Dienste ich anbiete, und Sie entscheiden, ob und welche davon für Sie von Interesse sind.«
Der Besucher hatte ihn überrascht angesehen, doch dann aufmerksam zugehört. Letzten Endes waren seine Wünsche nichts Außergewöhnliches für das Konsortium gewesen. Er wollte im Grunde genommen für eine Weile »unsichtbar« werden, um eine Unternehmung abseits neugieriger Augen durchzuführen.
Ein Kinderspiel.
In solchen Fällen stellte das Konsortium eine falsche Identität und einen sicheren Ort zur Verfügung, und der Klient verschwand vollkommen von der Bildfläche und konnte seine Arbeit im Geheimen fortsetzen. Das Konsortium fragte niemals nach dem Grund, aus dem ein Klient eine Dienstleistung benötigte. Es gehörte zur Firmenpolitik, so wenig wie möglich über den Auftraggeber zu wissen.
Der grünäugige Mann hatte sich als geradezu idealer Klient herausgestellt. Ein volles Jahr lang hatte der Provost ihm einen sicheren Hafen verschafft – und dabei einen schwindelerregenden Profit erzielt. Der Provost hatte ihn zu keinem Zeitpunkt kontaktiert, und sämtliche Rechnungen waren rechtzeitig bezahlt worden.
Bis vor zwei Wochen. Mit einem Schlag war alles anders gewesen.
Unerwartet hatte sich der Klient mit dem Konsortium in Verbindung gesetzt und ein persönliches Treffen mit dem Provost gefordert. Angesichts der Summen, die der Klient bis dahin gezahlt hatte, war der Provost seiner Bitte nachgekommen.
Der ungepflegte, zerzauste Mann, der dann auf der Yacht eingetroffen war, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit der seriösen Person gehabt, mit der der Provost ein Jahr zuvor ins Geschäft gekommen war. Die einst scharf blickenden grünen Augen des Mannes waren trüb gewesen, und er hatte den Eindruck erweckt, als sei er krank.
Was ist mit ihm passiert? Was hat er gemacht? Der Provost führte das nervliche Wrack in sein Büro.
»Die silberhaarige Teufelin«, stammelte der Klient. »Sie kommt jeden Tag näher.«
Der Provost warf einen Blick auf die Akte des Klienten und musterte das Foto der attraktiven silberhaarigen Frau. »Ja«, sagte er. »Die silberhaarige Teufelin. Wir kennen Ihre Feinde durchaus, Sir. So mächtig sie auch sein mag, wir haben sie ein ganzes Jahr von Ihnen ferngehalten, und daran wird sich nichts ändern.«
Der grünäugige Mann fuhr sich nervös durch das fettige Haar. »Lassen Sie sich nicht von ihrer Schönheit täuschen. Sie ist gefährlich.«
Wie wahr, dachte der Provost. Er war wenig erbaut darüber, dass sein Klient die Aufmerksamkeit einer so einflussreichen Person auf sich gezogen hatte. Die silberhaarige Frau verfügte über weitreichende Beziehungen und Ressourcen – nicht gerade die Sorte von Gegenspieler, mit der der Provost jeden Tag zu tun haben wollte.
»Wenn sie oder ihre Schergen mich aufspüren …«, begann der Klient.
»Das werden sie nicht«, versicherte der Provost ihm. »Wir haben Sie bisher vor allen Gegnern abgeschirmt und Ihnen alles geliefert, was Sie angefordert haben, oder?«
»Ja«, sagte der Mann. »Trotzdem schlafe ich besser, wenn …« Er verstummte für einen Moment, dann setzte er neu an. »Sie müssen mir versprechen, mir noch einige Wünsche zu erfüllen … falls mir etwas zustößt.«
»Und wie lauten diese Wünsche?«
Der Klient griff in seine Aktentasche und zog einen versiegelten Umschlag hervor. »Der Inhalt dieses Umschlags bietet Zugriff auf ein Schließfach in Florenz. Darin finden Sie ein kleines Objekt. Sollte mir tatsächlich etwas zustoßen, müssen Sie dieses Objekt für mich abliefern. Es ist eine Art Geschenk.«
»Sehr wohl.« Der Provost machte sich eine Notiz. »An wen soll ich dieses Objekt liefern?«
»An die silberhaarige Teufelin.«
Der Provost blickte auf. »Ein Geschenk für Ihre Peinigerin?«
Die Augenlider des Klienten flatterten. »Mehr ein Dorn in ihrer Seite … Ein kleiner geistreicher Stachel, gefertigt aus einem Knochen. Sie wird feststellen, dass es sich um einen Plan handelt, eine Karte … ihren persönlichen Vergil, den Führer in ihre private Hölle.«
Der Provost sah den Klienten für eine Weile an. »Wie Sie wünschen. Betrachten Sie es als erledigt.«
»Der Zeitpunkt ist von immenser Bedeutung«, fuhr der Mann fort. »Das Geschenk darf nicht zu früh abgeliefert werden. Sie müssen es sicher verwahren, bis …« Er stockte und wirkte plötzlich gedankenverloren.
»Bis wann?«, hakte der Provost nach.
Abrupt erhob sich der Klient, trat hinter den Schreibtisch, nahm einen roten Stift und kreiste schwungvoll ein Datum im Tischkalender des Provosts ein. »Bis zu diesem Tag.«
Der Provost biss die Zähne zusammen und unterdrückte seinen Zorn über die Unverfrorenheit des Mannes. »Verstanden«, sagte er. »Ich werde bis zum genannten Datum nichts unternehmen. An diesem Tag wird das Objekt im Schließfach, was immer es ist, der silberhaarigen Frau zugestellt. Sie haben mein Wort.« Er zählte die Tage bis zu dem rot eingekreisten Datum. »In genau vierzehn Tagen, von heute an.«
»Nicht einen Tag früher!«, betonte der Klient fieberhaft.
»Ich verstehe«, sagte der Provost. »Nicht einen Tag früher.«
Der Provost nahm den Umschlag, schob ihn in die Akte des Mannes und schrieb alle nötigen Details nieder, um den Auftrag genau befolgen zu können. Der Mann hatte den Inhalt des Schließfaches zwar nicht genannt, doch das war dem Provost nur recht. Professionelle Distanz gehörte zur Philosophie des Konsortiums. Erbringe die gewünschte Leistung. Keine Fragen. Kein Urteil.
Der Klient entspannte sich und atmete erleichtert aus. »Ich danke Ihnen.«
»Sonst noch etwas?«, fragte der Provost, ungeduldig bestrebt, den Klienten wieder loszuwerden, der sich so sehr verändert hatte.
»In der Tat, ja.« Der Klient nahm einen kleinen roten Memorystick aus der Aktentasche. »Dieser Speicher enthält eine Videodatei.« Er legte den Stick auf den Schreibtisch. »Ich möchte, dass diese Datei weltweit den Medien zugestellt wird.«
Der Provost musterte den Mann neugierig. Es geschah häufiger, dass das Konsortium im Auftrag von Klienten Informationen an die Massenmedien weiterleitete, doch etwas an der Bitte dieses Mannes beunruhigte den Provost. »Am selben Tag?«, fragte er und deutete auf das rot eingekreiste Datum in seinem Kalender.
»Ganz recht. An genau diesem Tag, und nicht einen Moment früher.«
»Verstanden«, sagte der Provost. Er versah den Stick mit einem Aufkleber und notierte die