▶ JETZT! Kostenlos lesen Bestseller-Bücher online
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
Suche Erweitert
Sign in Sign up
  • HOME
  • BUCH
    • Populäres Buch
    • Bücherliste
    • Genre-Liste
  • BLOG
  • Adult
  • Action
  • Bestseller
  • Romance
  • Fantasy
  • Thrillers
  • Science-fiction

Homo Deus - Seite 1

  1. Home
  2. Homo Deus
  3. Seite 1
Next

Zum Buch

Homo Deus – Die nächste Stufe der Evolution

In seinem Kultbuch «Eine kurze Geschichte der Menschheit» erklärte Yuval Noah Harari, wie unsere Spezies die Erde erobern konnte. In «Homo Deus» stößt er vor in eine noch verborgene Welt: die Zukunft. Was wird mit uns und unserem Planeten passieren, wenn die neuen Technologien dem Menschen gottgleiche Fähigkeiten verleihen – schöpferische wie zerstörerische – und das Leben selbst auf eine völlig neue Stufe der Evolution heben?

Wie wird es dem Homo Sapiens ergehen, wenn er einen technikverstärkten Homo Deus erschafft, der sich vom heutigen Menschen deutlicher unterscheidet als dieser vom Neandertaler? Was bleibt von uns und der modernen Religion des Humanismus, wenn wir Maschinen konstruieren, die alles besser können als wir? In unserer Gier nach Gesundheit, Glück und Macht könnten wir uns ganz allmählich so weit verändern, bis wir schließlich keine Menschen mehr sind.

«Homo Deus wird Sie schocken. Es wird Sie unterhalten. Und vor allem wird es Sie zum Denken bringen, wie Sie noch nie vorher gedacht haben.»

Daniel Kahneman, Autor von «Schnelles Denken, langsames Denken»

«Yuval Noah Hararis ‹Homo Deus› … ist noch lesbarer und sogar noch bedeutender als sein herausragendes erstes Buch.»

Kazuo Ishiguro

Über den Autor

Yuval Noah Harari wurde 1976 in Haifa, Israel, geboren. Er promovierte 2002 an der Oxford University. Aktuell lehrt er Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Weltgeschichte. Sein Weltbestseller «Eine kurze Geschichte der Menschheit» wurde in fast 40 Sprachen übersetzt.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Autors: www.ynharari.com/de/

Inhalt

Kapitel 1: Die neue menschliche Agenda

Die biologische Armutsgrenze

Unsichtbare Armadas

Das gebrochene Gesetz des Dschungels

Die letzten Tage des Todes

Das Recht auf Glück

Die Götter des Planeten Erde

Kann bitte mal jemand auf die Bremse treten?

Das Paradox des Wissens

Eine kurze Geschichte des Rasens

Ein Gewehr im ersten Akt

I: Homo sapiens erobert die Welt

Kapitel 2: Das Anthropozän

Die Schlangenkinder

Die Bedürfnisse der Ahnen

Organismen sind Algorithmen

Der Agrardeal

Fünfhundert Jahre Einsamkeit

Kapitel 3: Der menschliche Funke

Wer hat Angst vor Charles Darwin?

Warum die Börse über kein Bewusstsein verfügt

Die Lebensgleichung

Das deprimierende Leben der Laborratten

Der selbstbewusste Schimpanse

Das kluge Pferd

Lang lebe die Revolution!

Jenseits von Sex und Gewalt

Das Sinngeflecht

Traumzeit

II: Homo sapiens gibt der Welt einen Sinn

Kapitel 4: Die Geschichtenerzähler

Leben auf Papier

Heilige Schriften

Aber es funktioniert doch!

Kapitel 5: Das seltsame Paar

Keime und Dämonen

Triffst du Buddha unterwegs …

Gott fälschen

Heiliges Dogma

Die Hexenjagd

Kapitel 6: Der moderne Pakt

Was Banker von Vampiren unterscheidet

Der Wunderkuchen

Das Arche-Syndrom

Das Hamsterrad

Kapitel 7: Die humanistische Revolution

Ein Blick nach innen

Folge dem gelben Ziegelsteinweg

Die Wahrheit über den Krieg

Das humanistische Schisma

Ist Beethoven besser als Chuck Berry?

Die humanistischen Religionskriege

Elektrizität, Genetik und radikaler Islam

III: Homo sapiens verliert die Kontrolle

Kapitel 8: Die Zeitbombe im Labor

Wer ist Ich?

Der Sinn des Lebens

Kapitel 9: Die große Entkopplung

Die nutzlose Klasse

Eine Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent

Vom Orakel zum Souverän

Optimierte Ungleichheit

Kapitel 10: Der Ozean des Bewusstseins

Gap the Mind!

Ich rieche Angst

Der Nagel, an dem das Universum hängt

Kapitel 11: Die Datenreligion

Wo ist all die Macht geblieben?

Geschichte kurz gefasst

Information will frei sein

Aufnehmen, hochladen, teilen!

Kenne dich selbst

Ein Kräuseln im Datenfluss

Danksagung

Anmerkungen

Kapitel 1

Die neue menschliche Agenda

Kapitel 2

Das Anthropozän

Kapitel 3

Der menschliche Funke

Kapitel 4

Die Geschichtenerzähler

Kapitel 5

Das seltsame Paar

Kapitel 6

Der moderne Pakt

Kapitel 7

Die humanistische Revolution

Kapitel 8

Die Zeitbombe im Labor

Kapitel 9

Die große Entkopplung

Kapitel 10

Der Ozean des Bewusstseins

Kapitel 11

Die Datenreligion

Bildnachweis

Register

Für meinen Lehrer S. N. Goenka (1924–2013),

der mir mit viel Liebe wichtige Dinge beigebracht hat

Kapitel 1

Die neue menschliche Agenda

Bei Anbruch des dritten Jahrtausends erwacht die Menschheit, streckt ihre Glieder und reibt sich die Augen. Die Reste eines schrecklichen Albtraums schwirren ihr noch im Kopf herum. «Da war irgendwas mit Stacheldraht und riesigen Wolken, die aussahen wie Pilze. Na ja, einfach schlecht geträumt.» Sie tappt ins Badezimmer, wäscht sich das Gesicht und überprüft im Spiegel ihre Falten. Dann macht die Menschheit sich einen Kaffee und schlägt den Kalender auf. «Mal sehen, was heute auf der Agenda steht.»

Jahrtausendelang blieb die Antwort auf diese Frage unverändert. Es waren immer die gleichen drei Probleme, welche die Menschen beschäftigten, ob im China des 20. Jahrhunderts, im mittelalterlichen Indien oder im alten Ägypten. Ganz oben auf der Liste standen stets Hunger, Krankheit und Krieg. Generation für Generation beteten die Menschen zu jedem Gott, jedem Engel, jedem Heiligen, und sie erfanden unzählige Instrumente, Institutionen und Gesellschaftssysteme – trotzdem starben sie weiter millionenfach an Hunger, Epidemien und Gewalt. Viele Denker und Propheten kamen zu dem Schluss, Hunger, Krankheit und Krieg seien eben fester Bestandteil von Gottes kosmischem Plan oder unserer unvollkommenen Natur, und erst am Ende aller Zeit würden wir davon befreit werden.

Doch am Morgen des dritten Jahrtausends wacht die Menschheit auf und macht eine erstaunliche Feststellung. Die meisten Menschen denken selten daran, doch in den letzten Jahrzehnten ist es uns gelungen, Hunger, Krankheit und Krieg im Zaum zu halten. Natürlich sind diese Probleme nicht vollständig gelöst, aber was einmal unbegreifliche und unkontrollierbare Kräfte der Natur waren, sind jetzt Herausforderungen, die sich bewältigen lassen. Wir müssen zu keinem Gott oder Heiligen mehr beten, um davor bewahrt zu werden. Wir wissen ziemlich genau, was zu tun ist, um Hunger, Krankheit und Krieg zu verhindern – und in der Regel gelingt uns das auch.

Natürlich gibt es nach wie vor eklatante Misserfolge. Aber angesichts dieser Rückschläge zucken wir nicht mehr einfach mit den Schultern und sagen: «So ist das eben in unserer unvollkommenen Welt» oder «Gottes Wille geschehe». Nein, wenn Hunger, Krankheit und Krieg sich unserer Kontrolle entziehen, dann haben wir das Gefühl, dass jemand es vermasselt hat, wir setzen eine Untersuchungskommission ein und geloben, es beim nächsten Mal besser zu machen. Und es funktioniert wirklich. Solche Unglücke geschehen tatsächlich immer seltener. Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen und nicht weil sie zu wenig essen. Mehr Menschen sterben an Altersschwäche als an ansteckenden Krankheiten. Und mehr Menschen begehen Selbstmord als von Soldaten, Terroristen und Kriminellen zusammen getötet werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stirbt der Durchschnittsmensch mit größerer Wahrscheinlichkeit, weil er sich bei McDonald’s vollstopft, als durch eine Dürre, Ebola oder einen Anschlag von al-Qaida.

Obwohl also der Terminkalender von Präsidenten, Unternehmensvorständen und Generälen noch immer voll mit Wirtschaftskrisen und militärischen Konflikten ist, kann die Menschheit, aus weltgeschichtlicher Warte betrachtet, den Blick nach oben richten und neue Horizonte ins Auge fassen. Wenn wir Hunger, Krankheit und Krieg tatsächlich unter Kontrolle bringen, was wird dann auf der menschlichen Agenda ganz oben stehen? Wie Feuerwehrleute in einer Welt ohne Feuer muss sich auch die Menschheit im 21. Jahrhundert eine ganz neue Frage stellen: Was soll aus uns werden? Was verlangt in einer gesunden, prosperierenden und harmonischen Welt unsere Aufmerksamkeit und unseren Erfindergeist? Diese Frage stellt sich mit doppelter Dringlichkeit, wenn man bedenkt, mit welch ungeheurer neuer Macht wir dank Biotechnologie und Informationstechnologie ausgestattet sind. Was sollen wir mit all dieser Macht anstellen?

Bevor wir uns an die Beantwortung dieser Frage machen, müssen wir aber doch noch ein paar Worte über Hunger, Krankheit und Krieg verlieren. Die Behauptung, wir würden sie unter Kontrolle haben, mag manchem unerhört, reichlich naiv oder vielleicht sogar gefühllos erscheinen. Was ist mit den Milliarden Menschen, die noch immer mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen? Was mit der anhaltenden Aids-Krise in Afrika oder den Kriegen, die in Syrien und im Irak toben? Angesichts solcher Einwände und Bedenken müssen wir zunächst die Welt des frühen 21. Jahrhunderts genauer in den Blick nehmen, ehe wir die menschliche Agenda für die kommenden Jahrzehnte erkunden.

Die biologische Armutsgrenze

Beginnen wir mit dem Hunger, dem seit Jahrtausenden schlimmsten Feind der Menschheit. Bis vor Kurzem lebten die meisten Menschen hart an der biologischen Armutsgrenze, unterhalb deren sie an Unterernährung und Hunger leiden. Ein kleiner Fehler oder ein bisschen Pech konnte für eine ganze Familie oder ein Dorf leicht den Tod bedeuten. Wenn heftiger Regen die Weizenfelder zerstörte oder Räuber die Ziegenherde mitnahmen, drohte man zusammen mit seinen Liebsten zu verhungern. Ein gemeinsames Missgeschick oder kollektive Dummheit führte zu großen Hungersnöten. Wenn das alte Ägypten oder das mittelalterliche Indien von schweren Dürren heimgesucht wurden, war es beileibe keine Seltenheit, dass fünf oder zehn Prozent der Bevölkerung umkamen. Die Vorräte wurden knapp, der Transport erfolgte zu langsam, ausreichend Nahrungsmittel zu importieren war zu teuer – und die Regierungen waren viel zu schwach, um für Hilfe zu sorgen.

Wer ein beliebiges Geschichtsbuch aufschlägt, stößt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf schreckliche Darstellungen hungergeplagter, in den Wahnsinn getriebener Bevölkerungen. Im April 1694 schilderte ein französischer Beamter in der Stadt Beauvais die Folgen von Hunger und rasant steigenden Lebensmittelpreisen: Der gesamte Bezirk sei jetzt bevölkert von «unendlich vielen armen Seelen, ganz schwach von Hunger und Elend, die an Entbehrung sterben, weil sie keine Arbeit oder keinen Beruf haben und deshalb kein Geld, um Brot zu kaufen. Verzweifelt versuchen sie, ihr Leben ein klein wenig zu verlängern und den Hunger zumindest ein bisschen zu stillen, und deshalb essen diese armen Leute so unreine Dinge wie Katzen und das Fleisch von Pferden, die gehäutet und auf den Misthaufen geworfen wurden. [Andere stürzen sich] auf das Blut, das fließt, wenn Kühe und Ochsen geschlachtet werden, und auf die Abfälle, die Köche auf die Straße werfen. Andere arme Kerle verspeisen Brennnesseln und Unkraut oder Wurzeln und Kräuter, die sie in Wasser kochen.»[1]

Ähnliche Szenen spielten sich im Frühjahr 1694 überall in Frankreich ab. Schlechtes Wetter hatte in den vorangegangenen zwei Jahren im gesamten Königreich die Ernten vernichtet, sodass die Getreidespeicher völlig leer waren. Die Reichen verlangten exorbitante Preise für die Lebensmittel, die sie hatten horten können, und die Armen starben zuhauf. Zwischen 1692 und 1694 verhungerten rund 2,8 Millionen Franzosen – 15 Prozent der Bevölkerung –, während sich der Sonnenkönig Ludwig XIV. mit seinen Mätressen in Versailles vergnügte. Im Jahr darauf, 1695, traf der Hunger Estland und tötete ein Fünftel der Bevölkerung. 1696 war Finnland an der Reihe, wo ein Viertel bis ein Drittel der Menschen starb. Schottland erlebte zwischen 1695 und 1698 eine schwere Hungersnot, der in einigen Distrikten bis zu zwanzig Prozent der Bevölkerung zum Opfer fielen.[2]

Die meisten Leser wissen vermutlich, wie es sich anfühlt, wenn man mittags nichts zu essen bekommen hat, wenn man an einem religiösen Feiertag fastet oder wenn man sich ein paar Tage lang im Rahmen einer neuen Wunderdiät nur von Gemüsesäften ernährt. Wie aber fühlt sich das an, wenn man tagelang nichts gegessen und keine Ahnung hat, wo man den nächsten Bissen herbekommen soll? Die meisten Menschen heute haben diese quälende Erfahrung nie machen müssen. Unsere Vorfahren dagegen kannten sie nur zu gut. Wenn sie zu Gott riefen und darum baten, er möge sie vom Hunger erlösen, dann meinten sie genau das.

In den letzten hundert Jahren haben technologische, ökonomische und politische Entwicklungen ein immer robusteres Sicherheitsnetz geschaffen, das die Menschheit über der biologischen Armutsgrenze hält. Manche Gegenden werden von Zeit zu Zeit noch immer von Hungersnöten heimgesucht, aber sie sind die Ausnahme und fast immer durch menschliche Politik und nicht durch Naturkatastrophen verursacht. Es gibt heute praktisch keine «natürlichen» Hungersnöte mehr auf dieser Welt, sondern nur politische. Wenn in Syrien, im Sudan oder in Somalia Menschen verhungern, dann will irgendein Politiker, dass das so ist.

Auf dem Großteil des Planeten ist es so: Selbst wenn jemand seinen Job und seinen gesamten Besitz verliert, ist es wenig wahrscheinlich, dass er an Hunger stirbt. Private Versicherungssysteme, staatliche Stellen und internationale Hilfsorganisationen bewahren ihn zwar vielleicht nicht vor Armut, aber sie versorgen ihn mit ausreichend täglichen Kalorien, damit er überlebt. Auf kollektiver Ebene macht das globale Handelsnetz Dürren und Flutkatastrophen zu Geschäftsmöglichkeiten, die eine Nahrungsmittelknappheit rasch und kostengünstig beheben. Selbst wenn Kriege, Erdbeben oder Tsunamis ganze Länder verwüsten, gelingt es dank internationaler Bemühungen in der Regel, Hungersnöte zu verhindern. Zwar leiden noch immer Millionen von Menschen jeden Tag Hunger, aber in den meisten Ländern sterben nur recht wenige tatsächlich daran.

Zweifellos verursacht Armut zahlreiche andere Gesundheitsprobleme, und Mangelernährung verkürzt die Lebenserwartung selbst in den reichsten Ländern dieser Erde. So leiden etwa in Frankreich sechs Millionen Menschen (rund zehn Prozent der Bevölkerung) unter Ernährungsunsicherheit. Wenn sie am Morgen aufwachen, wissen sie nicht, ob sie mittags etwas zu essen bekommen, sie gehen oft hungrig zu Bett, und sie ernähren sich unausgewogen und ungesund – viel Kohlenhydrate, Zucker und Salz, wenig Eiweiß und Vitamine.[3] Doch Ernährungsunsicherheit ist nicht Hunger, und das Frankreich des 21. Jahrhunderts ist nicht das von 1694. Selbst in den heruntergekommensten Behausungen rings um Beauvais oder Paris sterben die Menschen nicht, weil sie wochenlang nichts zu essen bekommen haben.

Der gleiche Wandel vollzog sich in zahlreichen anderen Ländern, allen voran in China. Jahrtausendelang verfolgte der Hunger jede chinesische Regierung, vom Gelben Kaiser bis zu den roten Kommunisten. Noch vor ein paar Jahrzehnten war China ein Synonym für Nahrungsmittelknappheit. Millionenfach verhungerten Chinesen im Zuge des verheerenden „Großen Sprungs nach vorn“, und Fachleute prophezeiten in schöner Regelmäßigkeit, das Problem werde sich immer weiter verschlimmern. 1974 fand die erste Welternährungskonferenz in Rom statt, und die Delegierten sahen sich mit apokalyptischen Szenarien konfrontiert. Man erklärte ihnen, China könne seine Milliardenbevölkerung niemals ernähren, und das bevölkerungsreichste Land der Erde steuere auf eine Katastrophe zu. Tatsächlich steuerte es auf das größte Wirtschaftswunder in der Geschichte zu. Seit 1974 gelang den Chinesen hundertmillionenfach der Sprung aus der Armut, und obwohl noch immer Hunderte Millionen unter Mangel und Fehlernährung leiden, ist China zum ersten Mal in seiner Geschichte frei von Hunger.

Tatsächlich ist in den meisten Ländern heute das weitaus schlimmere Problem, dass die Menschen zu viel essen. Im 18. Jahrhundert erteilte Marie Antoinette den hungernden Massen bekanntlich den Rat, wenn sie kein Brot hätten, sollten sie doch einfach Kuchen essen. Heute nehmen die Armen diesen Vorschlag für bare Münze. Während die reichen Bewohner von Beverly Hills sich an Gartensalat und gedämpftem Tofu mit Quinoa erfreuen, stopfen die Armen in den Slums und Ghettos Schokoriegel, Käsesnacks, Hamburger und Pizza in sich hinein. Im Jahr 2014 waren mehr als 2,1 Milliarden Menschen übergewichtig, während 850 Millionen an Unterernährung litten. Für 2030 geht man davon aus, dass die Hälfte der Menschheit Übergewicht haben wird.[4] 2010 starben rund eine Million Menschen an Hunger bzw. Unterernährung, während der Fettleibigkeit drei Millionen zum Opfer fielen.[5]

Unsichtbare Armadas

Zweitgrößter Feind der Menschheit nach dem Hunger waren Seuchen und ansteckende Krankheiten. Quirlige Städte, durch einen unablässigen Strom von Händlern, Beamten und Pilgern miteinander verbunden, waren die Basis menschlicher Zivilisation, zugleich aber auch ideale Brutstätten für Krankheitserreger. Die Menschen im alten Athen oder im mittelalterlichen Florenz lebten folglich in dem Bewusstsein, dass sie schon in der darauffolgenden Woche krank werden und sterben konnten oder dass plötzlich eine Epidemie ausbrechen und mit einem Schlag die gesamte Familie hinwegraffen konnte.

Der berühmteste derartige Ausbruch, der sogenannte Schwarze Tod, nahm seinen Anfang in den 1330er Jahren irgendwo in Ost- oder Zentralasien, als das Bakterium Yersinia pestis, das ursprünglich nur Flöhe befiel, auch auf Menschen übersprang, die von Flöhen gebissen wurden. Von dort breitete sich die Seuche dank einer Armee von Ratten und Flöhen rasch auf ganz Asien, Europa und Nordafrika aus und schaffte es innerhalb von nicht einmal zwanzig Jahren bis an die Gestade des Atlantiks. Zwischen 75 und 200 Millionen Menschen starben – mehr als ein Viertel der Bevölkerung Eurasiens. In England kamen vier von zehn Menschen um, die Bevölkerungszahl sank von 3,7 Millionen vor der Seuche auf 2,2 Millionen danach. Die Stadt Florenz verlor die Hälfte ihrer 100.000 Bewohner.[6]

Die Menschen des Mittelalters betrachteten den Schwarzen Tod als schreckliche dämonische Kraft, die sich menschlicher Kontrolle und Vorstellungskraft entzog.

Die Behörden waren angesichts der Katastrophe völlig hilflos. Sie organisierten Massengebete und Prozessionen, aber sonst hatten sie keinerlei Vorstellung, wie sie die Ausbreitung der Pest stoppen – oder die Krankheit gar bekämpfen – sollten. Bis zur Neuzeit machten die Menschen für Seuchen die schlechte Luft, böse Geister oder zornige Götter verantwortlich, nicht Bakterien und Viren. Bereitwillig glaubten die Menschen an Engel und Elfen, aber dass ein winziger Floh oder ein einziger Tropfen Wasser eine ganze Armada tödlicher Jäger enthielt, konnten sie sich nicht vorstellen.

Der wahre Schuldige war das winzige Bakterium Yersinia pestis.

Die Pest war kein singuläres Ereignis und nicht einmal die schlimmste Plage der Geschichte. Amerika, Australien und die Inseln des Pazifiks wurden nach der Ankunft der ersten Europäer von viel verheerenderen Epidemien heimgesucht. Ohne es zu wissen, brachten die Entdecker und Siedler neue ansteckende Krankheiten mit, gegen die die Einheimischen nicht immun waren. In der Folge starben bis zu neunzig Prozent der lokalen Bevölkerung.[7]

Am 5. März 1520 verließ eine spanische Flottille die Insel Kuba in Richtung Mexiko. Die Schiffe hatten neben Pferden, Feuerwaffen und ein paar afrikanischen Sklaven 900 spanische Soldaten an Bord. Einer der Sklaven, Francisco de Eguía, hatte freilich eine noch viel tödlichere Fracht dabei. Er wusste nichts davon, aber irgendwo in seinen Billionen von Zellen tickte eine Zeitbombe: das Pockenvirus. Als Francisco in Mexiko gelandet war, begann sich das Virus in seinem Körper exponentiell zu vermehren und überzog schließlich seine gesamte Haut mit einem fürchterlichen Ausschlag. Der vom Fieber geschüttelte Francisco wurde im Haus einer Einheimischenfamilie in der Stadt Cempoallan ins Bett gesteckt. Dabei infizierte er die Familienmitglieder, die wiederum die Nachbarn ansteckten. Binnen zehn Tagen war aus Cempoallan ein Friedhof geworden. Menschen, die von dort flohen, trugen die Krankheit in die umliegenden Städte. Als eine Stadt nach der anderen von der Seuche befallen wurde, trugen neue Flüchtlingswellen das Virus nach ganz Mexiko und darüber hinaus.

Die Maya auf der Halbinsel Yucatán waren der Überzeugung, drei böse Götter – Ekpetz, Uzannkak und Sojakak – würden nachts von Dorf zu Dorf fliegen und die Menschen mit der Krankheit infizieren. Die Azteken machten die Gottheiten Tezcatlipoca und Xipe Totec verantwortlich, vielleicht auch die schwarze Magie der Weißen. Priester und Heiler wurden konsultiert. Sie empfahlen Gebete und kalte Bäder, man sollte den Körper mit Erdpech einreiben und zerquetschte Schwarzkäfer auf die eitrigen Stellen schmieren. Nichts davon half. Zehntausende Leichen verwesten auf den Straßen, weil keiner wagte, sich ihnen zu nähern und sie zu bestatten. Ganze Familien wurden binnen weniger Tage ausgelöscht, und die Behörden befahlen, die Toten sollten unter den Trümmern ihrer Häuser begraben werden. In einigen Siedlungen kam die Hälfte der Bevölkerung um.

Im September 1520 hatte die Seuche auch das Becken von Mexiko erreicht, und im Oktober überwand sie die Tore der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan – einer eindrucksvollen Metropole mit einer Viertelmillion Einwohner. Binnen zwei Monaten verlor mindestens ein Drittel der Bevölkerung ihr Leben, darunter auch der Aztekenherrscher Cuitláhuac. Hatten im März 1520, als die spanische Flottille eintraf, noch 22 Millionen Menschen in Mexiko gelebt, so waren es im Dezember nur noch 14 Millionen. Doch die Pocken waren nur der erste Schlag. Während sich die neuen spanischen Herren eifrig selbst bereicherten und die Einheimischen ausbeuteten, wurde Mexiko von einer tödlichen Welle nach der anderen erfasst – Grippe, Masern und andere Infektionskrankheiten –, bis die Bevölkerung 1580 schließlich auf weniger als zwei Millionen Menschen geschrumpft war.[8]

Zwei Jahrhunderte später, am 18. Januar 1778, erreichte der britische Entdecker James Cook Hawaii. Die dortigen Inseln waren dicht besiedelt mit einer halben Million Menschen, die bis dahin vollkommen isoliert von Europa und Amerika gelebt hatten und folglich nie europäischen und amerikanischen Krankheiten ausgesetzt gewesen waren. Captain Cook und seine Männer brachten erstmals die Grippe, die Tuberkulose und Syphiliserreger nach Hawaii. Nachfolgende Besucher aus Europa hatten noch Typhus und Pocken im Gepäck. 1853 lebten nur noch 70.000 Menschen auf der Inselkette.[9]

Bis ins 20. Jahrhundert hinein töteten Seuchen zehnmillionenfach Menschen. Im Januar 1918 begannen die Soldaten in den Schützengräben Nordfrankreichs zu Tausenden an einem besonders aggressiven Grippevirus zu sterben, der sogenannten Spanischen Grippe. Die Kriegsfront war der Endpunkt des effizientesten globalen Versorgungsnetzwerks, das die Welt bis dahin gesehen hatte. Aus Großbritannien, den USA, Indien und Australien strömten massenhaft Männer und Munition hierher. Das Öl kam aus dem Nahen Osten, Getreide und Fleisch kamen aus Argentinien, der Kautschuk von der Malaiischen Halbinsel und das Kupfer aus dem Kongo. Im Gegenzug bekamen alle die Spanische Grippe. Binnen weniger Monate erkrankte eine halbe Milliarde Menschen – ein Drittel der

Next
  • HOME
  • Copyright
  • Privacy Policy
  • DMCA Notice
  • ABOUT US
  • Contact Us

© 2019 Das Urheberrecht liegt beim Autor der Bücher. All rights reserved