Die Schattenschwester - Kapitel 1
Text zum Buch
Star d’Aplièse ist eine sensible junge Frau und begegnet der Welt eher mit Vorsicht. Seit sie denken kann, ist ihr Leben auf das Engste verflochten mit dem ihrer Schwester CeCe, aus deren Schatten herauszutreten ihr nie gelang. Als ihr geliebter Vater Pa Salt plötzlich stirbt, steht Star jedoch unversehens an einem Wendepunkt. Wie alle Mädchen in der Familie ist auch sie ein Adoptivkind und kennt ihre Wurzeln nicht, doch der Abschiedsbrief ihres Vaters enthält einen Anhaltspunkt – die Adresse einer Londoner Buchhandlung sowie den Hinweis, dort nach einer gewissen Flora MacNichol zu fragen. Während Star diesen Spuren folgt, eröffnen sich ihr völlig ungeahnte Wege, die sie nicht nur auf ein wunderbares Anwesen in Kent führen, sondern auch in die Rosengärten und Parks des Lake District im vergangenen Jahrhundert. Und ganz langsam beginnt Star, ihr eigenes Leben zu entdecken und ihr Herz zu öffnen für das Wagnis, das man Liebe nennt …
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LUCINDA RILEY
Die Schattenschwester
ROMAN
Deutsch von Sonja Hauser
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Die Originalausgabe erscheint 2016 unter dem Titel
»The Shadow Sister« bei Macmillan, an imprint of Pan Macmillan,
a division of Macmillan Publishers Limited, London.
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1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2016 by Lucinda Riley
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe November 2016
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Landschaft: plainpicture / Benjamin Harte
Cottage: GettyImages / Michael Busselle
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-18375-2
V001
www.goldmann-verlag.de
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Für Flo
Doch lasst Raum in eurer Zusammengehörigkeit.
Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen.
Khalil Gibran
Personen
»Atlantis«
Pa Salt
Adoptivvater der Schwestern (verstorben)
Marina (Ma)
Mutterersatz der Schwestern
Claudia
Haushälterin von »Atlantis«
Georg Hoffman
Pa Salts Anwalt
Christian
Skipper
Die Schwestern d’Aplièse
Maia
Ally (Alkyone)
Star (Asterope)
CeCe (Celaeno)
Tiggy (Taygeta)
Elektra
Merope (fehlt)
STAR
Juli 2007
Astrantia major (Große Sterndolde – Apiaceae)
vom lateinischen Wort für »Stern« abgeleitet
I
Nie werde ich vergessen, wo ich war und was ich tat, als ich hörte, dass mein Vater gestorben war.
Den Stift über dem Blatt Papier, schaute ich in die Julisonne – oder, besser gesagt, auf den schmalen Strahl, dem es gelungen war, sich zwischen unserem Haus und der roten Ziegelmauer wenige Meter vor mir hindurchzuschmuggeln, auf die alle Fenster unserer winzigen Wohnung gingen und derentwegen es bei uns trotz des schönen Wetters dunkel war. Ganz anders als im Zuhause meiner Kindheit, in »Atlantis« am Genfer See.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich genau an derselben Stelle wie jetzt gesessen war, als CeCe unser trostloses kleines Wohnzimmer betreten und mir mitgeteilt hatte, dass Pa Salt tot war.
Ich legte den Stift weg und ging an die Spüle, um mir ein Glas Wasser zu holen und in der schwülen Hitze meinen Durst zu stillen. Meine jüngere Schwester Tiggy hatte mir kurz nach Pas Tod in »Atlantis« geraten, mich schriftlich dem Schmerz der Erinnerung zu stellen.
»Liebste Star«, hatte sie gesagt, als einige von uns Schwestern zur Ablenkung auf dem See gesegelt waren, »ich weiß, dass es dir schwerfällt, über deine Gefühle zu sprechen. Doch der Schmerz muss irgendwie heraus. Warum schreibst du deine Gedanken nicht einfach auf?«
Während des Heimflugs von »Atlantis« vor zwei Wochen hatte ich über Tiggys Worte nachgedacht, und nun machte ich mich endlich an die Arbeit.
Als ich die Ziegelmauer betrachtete, ging mir auf, wie sehr sie mein gegenwärtiges Leben symbolisierte, und das ließ mich immerhin schmunzeln. Dieses Schmunzeln führte mich zurück zu dem schartigen Holztisch, den unser Vermieter vermutlich gratis von einem Trödelladen bekommen hatte. Ich setzte mich und nahm den eleganten Füller, ein Geschenk von Pa Salt zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag, wieder in die Hand.
»Ich fange nicht mit Pas Tod an«, sagte ich laut, »sondern mit unserer Ankunft hier in London …«
Als ich die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen hörte, wusste ich, dass meine Schwester CeCe da war. CeCe war immer laut. Sie schien nicht einmal eine Tasse Kaffee leise und ohne etwas zu verschütten abstellen zu können. Sie begriff auch nicht, dass man in der Wohnung gedämpfter sprechen konnte als draußen. Ma hatte sich in unserer Kindheit so große Sorgen darüber gemacht, dass sie sogar einmal ihr Gehör überprüfen ließ. Natürlich war es völlig in Ordnung. Genau wie meins, wie ein Logopäde ein Jahr später feststellte, zu dem Ma mich meiner Schweigsamkeit wegen gebracht hatte.
»Sie kennt die Wörter, spricht sie aber nicht aus«, hatte der Therapeut erklärt. »Wenn sie dazu bereit ist, wird sie schon reden.«
Zu Hause hatte Ma mir dann, um sich besser mit mir verständigen zu können, die Grundlagen der französischen Gebärdensprache beigebracht.
»Wenn du etwas möchtest oder brauchst«, hatte sie gesagt, »kannst du es mir so mitteilen. Auch deine Gefühle kannst du damit ausdrücken. Ich zum Beispiel empfinde dir gegenüber das.« Sie hatte auf sich selbst gezeigt, die Handflächen über der Brust gekreuzt und auf mich gedeutet. »Ich … liebe … dich.«
CeCe hatte die Zeichensprache ebenfalls schnell gelernt, und gemeinsam hatten wir das, was als eine Möglichkeit der Kommunikation mit Ma begann, verändert und erweitert zu unserer ganz eigenen Sprache – eine Mischung aus Zeichen und ausgedachten Wörtern –, die wir in Gegenwart anderer verwendeten. Wir genossen die verblüfften Blicke unserer Schwestern, wenn ich beim Frühstück in Zeichensprache eine spöttische Bemerkung machte und CeCe und ich uns vor Lachen bogen.
Heute ist mir klar, dass CeCe und ich uns im Lauf der Zeit zu gegensätzlichen Polen entwickelten: Je weniger ich sprach, desto lauter und mehr redete sie für mich. Und desto weniger musste ich wiederum sagen. Das, was ohnehin in unseren Persönlichkeiten angelegt war, verstärkte sich. In unserer Kindheit spielte das inmitten unserer Schwestern keine große Rolle, denn wir hatten ja einander.
Doch nun wurde es plötzlich wichtig, es wuchs sich zum Problem aus …
»Ich hab sie gefunden!«, rief CeCe, als sie ins Wohnzimmer polterte. »In ein paar Wochen können wir rein. Sie ist noch nicht ganz fertig, der Feinschliff fehlt, aber sie wird unglaublich schön, das ist jetzt schon zu sehen. Gott, ist es heiß hier drin. Ich kann’s gar nicht erwarten, endlich auszuziehen.«
CeCe stapfte in die Küche, und wenig später hörte ich, wie sie den Wasserhahn voll aufdrehte. Mit ziemlicher Sicherheit waren die Arbeitsflächen, die ich zuvor trocken gewischt hatte, nun wieder feucht.
»Willst du auch ein Glas Wasser, Sia?«
»Nein danke.« Obwohl CeCe den Kosenamen, den sie sich in unserer Kindheit für mich ausgedacht hatte, nur benutzte, wenn wir unter uns waren, ärgerte ich mich darüber. Er stammte aus einem Buch, das Pa Salt mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Es handelte von einem kleinen Mädchen, das in den Wäldern Russlands lebt und herausfindet, dass es eine Prinzessin ist.
»Sie schaut aus wie du, Star!«, hatte die fünfjährige CeCe gestaunt, als wir gemeinsam die Bilder in dem Buch betrachteten. »Vielleicht bist du auch eine Prinzessin – hübsch genug wärst du mit deinen blonden Haaren und den blauen Augen. Ab jetzt nenne ich dich ›Sia‹. Das passt wunderbar zu ›Cee‹! Cee und Sia, die Zwillinge!« Sie hatte begeistert in die Hände geklatscht.
Erst später, als ich die wahre Geschichte der russischen Zarenfamilie erfahren hatte, war mir klar geworden, was mit Anastasia Romanowa und ihren Geschwistern passiert war. Märchen sahen anders aus.
Inzwischen war ich kein Kind mehr, sondern eine erwachsene Frau von siebenundzwanzig Jahren.
»Die Wohnung wird dir gefallen.« CeCe kehrte ins Wohnzimmer zurück und ließ sich auf das abgewetzte Ledersofa fallen. »Ich hab für morgen Vormittag einen Besichtigungstermin ausgemacht. Sie kostet ein Vermögen, aber jetzt kann ich’s mir leisten. Außerdem sagt der Makler, dass in der City gerade Chaos herrscht. Momentan schlagen sich nicht die üblichen Verdächtigen um die Wohnungen; deshalb konnte ich einen günstigen Preis raushandeln. Wird Zeit, dass wir ein richtiges Zuhause kriegen.«
Wird Zeit, dass ich mir ein richtiges Leben zulege, dachte ich.
»Du willst sie kaufen?«, fragte ich.
»Ja. Vorausgesetzt, sie gefällt dir.«
Ich schwieg verblüfft.
»Alles in Ordnung, Sia? Du wirkst müde. Hast du letzte Nacht nicht gut geschlafen?«
»Nein.« Beim Gedanken an die langen, schlaflosen Stunden vor der Morgendämmerung, in denen ich um meinen geliebten Vater getrauert hatte, dessen Tod ich noch immer nicht fassen konnte, traten mir Tränen in die Augen.
»Du stehst nach wie vor unter Schock. Es ist ja auch erst ein paar Wochen her. Wenn du morgen unsere neue Wohnung siehst, geht’s dir besser, das verspreche ich dir. Diese Scheißbude drückt auf deine Stimmung. Und auf meine auch«, fügte sie hinzu. »Hast du dem Typen mit dem Kochkurs schon ’ne Mail geschickt?«
»Ja.«
»Wann fängt der Kurs an?«
»Nächste Woche.«
»Gut. Dann haben wir Zeit, Möbel für unser neues Zuhause auszusuchen.« CeCe trat zu mir und umarmte mich. »Ich kann’s kaum erwarten, es dir zu zeigen.«
* * *
»Ist es nicht toll?«
CeCe breitete die Arme aus. Ihre Stimme hallte wider von den nackten Wänden des großen Raums, als sie zu der Glasfront marschierte und eines der riesigen Fenster aufschob.
»Schau, dein Balkon«, sagte sie und winkte mich zu sich. »Balkon« war ein viel zu bescheidenes Wort für die geräumige Terrasse, die über der Themse zu schweben schien. »Den kannst du mit deinen Kräutern und Blumen aus ›Atlantis‹ bepflanzen.« CeCe trat ans Geländer und schaute hinab auf die grauen Fluten. »Ist der Blick nicht grandios?« Ich nickte. Als sie wieder hineinging, folgte ich ihr. »Die Küche muss noch eingebaut werden, aber sobald die Formalitäten unter Dach und Fach sind, kannst du dir Herd und Kühlschrank aussuchen. Schließlich wirst du ja jetzt Profi«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu.
»Wohl kaum, CeCe. Es ist nur ein kurzer Kurs.«
»Du kannst so gut kochen. Wenn sich rumspricht, was du draufhast, wird dir bestimmt ein Job angeboten. Ich finde die Wohnung ideal für uns, du nicht? Diese Seite kann ich als Atelier nutzen.« Sie deutete auf den Bereich zwischen hinterer Wand und Wendeltreppe. »Das Licht hier ist fantastisch. Und du hast eine große Küche und den Balkon. Etwas ›Atlantis‹ Ähnlicheres konnte ich im Zentrum von London nicht finden.«
»Ja. Es ist wirklich schön, danke.«
Die Wohnung war tatsächlich beeindruckend. Da ich ihr die Freude nicht verderben wollte, verkniff ich es mir, ihr die Wahrheit zu sagen: dass das Leben in diesem riesigen unpersönlichen Glaskasten mit Blick auf den schlammigen Fluss sich meiner Ansicht nach gar nicht stärker von dem in »Atlantis« hätte unterscheiden können.
Als CeCe und der Makler sich über das helle Parkett unterhielten, das in der Wohnung verlegt werden sollte, schüttelte ich den Kopf über meine negativen Gedanken. Ich wusste, dass ich schrecklich verwöhnt war, denn verglichen mit den Straßen von Delhi oder den Slums, die ich am Stadtrand von Phnom Penh gesehen hatte, war eine nagelneue Wohnung in der Londoner City wirklich nicht zu verachten.
Doch letztlich wäre mir eine einfache kleine Hütte mit sicher im Boden verankertem Fundament und kleinem Garten davor lieber gewesen.
Mit halbem Ohr hörte ich CeCe von einer Fernbedienung schwärmen, mit der sich die Jalousien öffnen und schließen ließen, und von einer anderen für die versteckten Surround-Lautsprecher. Hinter dem Rücken des Maklers machte sie das Zeichen für »geldgeiler Kerl« und verdrehte die Augen. Ich rang mir ein Lächeln ab, obwohl mich ein Gefühl der Klaustrophobie überkam, weil ich nicht einfach zur Tür hinaus und wegrennen konnte … Städte raubten mir den Atem; der Lärm, die Gerüche und die Menschenmassen waren mir zu viel. Wenigstens war die Wohnung luftig und geräumig …
»Sia?«
»Entschuldige, Cee, was hast du gerade gesagt?«
»Wollen wir rauf und uns unser Schlafzimmer ansehen?«
Wir gingen die Wendeltreppe hinauf zu dem Zimmer, das CeCe sich mit mir teilen wollte, obwohl es einen weiteren Raum gab. Bei dem spektakulären Ausblick, der sich mir dort bot, bekam ich eine Gänsehaut. Und als wir das riesige Bad begutachteten, wurde mir klar, dass CeCe sich größte Mühe gegeben hatte, etwas zu finden, das uns beiden gefallen würde.
Allerdings waren wir nicht verheiratet, sondern Schwestern.
Wenig später schleppte mich CeCe in einen Möbelladen in der King’s Road, und dann fuhren wir mit dem Bus über die Albert Bridge zurück über den Fluss.
»Diese Brücke ist nach dem Ehemann von Königin Victoria benannt«, erklärte ich CeCe. »In Kensington steht sein Denkmal …«
CeCe machte das Zeichen für »Angeberin«. »Also wirklich, Star, schleppst du immer noch ’nen Reiseführer mit dir rum?«
»Ja«, musste ich zugeben und konterte mit dem Zeichen für »plemplem«. Ich liebte Geschichte.
Als wir ganz in der Nähe unserer Wohnung aus dem Bus stiegen, wandte CeCe sich mir zu. »Lass uns zur Feier des Tages essen gehen.«
»Wir haben kein Geld.« Jedenfalls ich nicht, dachte ich.
»Ich lad dich ein«, meinte CeCe.
Also bestellte CeCe in einem Pub in der Gegend eine Flasche Bier für sich und ein kleines Glas Wein für mich. Wir tranken beide nicht viel – CeCe vertrug Alkohol nicht sonderlich gut, was ihr nach einer besonders ausgelassenen Teenagerparty auf unangenehme Weise bewusst geworden war. Während sie an der Theke wartete, wunderte ich mich über das Geld, das CeCe seit dem Tag, nach dem wir Schwestern von Georg Hoffman, dem Anwalt von Pa Salt, dessen Umschläge ausgehändigt bekommen hatten, zu besitzen schien. CeCe war zu ihm nach Genf gefahren und hatte den Anwalt gebeten, mich zu der Besprechung mitnehmen zu dürfen, doch er hatte Nein gesagt.
»Leider muss ich mich an die Anweisungen meines Mandanten halten. Ihr Vater hat darauf bestanden, dass ich sämtliche Gespräche mit seinen Töchtern einzeln führe.«
Also hatte ich im Vorzimmer gewartet. Als sie wieder herausgekommen war, hatte sie angespannt und aufgeregt gewirkt.
»Tut mir leid, Sia, aber ich musste so eine alberne Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Ist vermutlich wieder eins von Pas Spielchen. Ich darf dir nur sagen, dass alles positiv läuft.«
Meines Wissens war dies das einzige Geheimnis, das CeCe vor mir hatte, und mir war nach wie vor nicht klar, woher all das Geld stammte. Georg Hoffmans Aussage nach hatte Pa in seinem Testament verfügt, dass wir wie bisher nur unsere knapp bemessenen Zuwendungen erhalten würden, uns jedoch an Hoffman wenden konnten, wenn wir darüber hinaus Geld benötigten. Wir mussten also einfach nur fragen, und das hatte CeCe vermutlich getan.
»Prost!« CeCe stieß mit mir an. »Auf unser neues Leben in London.«
»Und auf Pa Salt«, fügte ich hinzu.
»Ja. Du hast ihn sehr geliebt, was?«
»Du etwa nicht?«
»Doch, natürlich. Er war … besonders.«
Als das Essen kam, schlang CeCe es hungrig hinunter. Fast hatte ich das Gefühl, dass nur ich über Pas Tod trauerte, obwohl wir beide seine Töchter waren.
»Sollen wir die Wohnung kaufen?«
»CeCe, die Entscheidung überlasse ich dir. Es ist nicht mein Geld.«
»Unsinn, du weißt, dass meine Sachen auch dir gehören und umgekehrt. Außerdem kann man nicht wissen, was sich herausstellt, wenn du jemals beschließen solltest, den Umschlag aufzumachen, den er dir hinterlassen hat.«
Sie drängte mich schon die ganze Zeit, endlich mein Kuvert zu öffnen. CeCe hatte das ihre sofort aufgerissen und von mir das Gleiche erwartet.
»Willst du ihn nicht aufmachen, Sia?«, hatte sie gefragt.
Doch das konnte ich nicht, weil das, was sich darin befand, Pas Tod besiegelt hätte. Und ich war noch nicht bereit, ihn loszulassen.
Nach dem Essen zahlte CeCe, und wir kehrten in unsere Wohnung zurück, von wo aus sie ihre Bank telefonisch beauftragte, die Anzahlung für das Apartment zu überweisen. Dann setzte sie sich an ihren Laptop und beklagte sich über die wackelige Internetverbindung.
»Hilf mir mal beim Aussuchen der Sofas«, rief sie vom Wohnzimmer aus, als ich unsere gelb patinierte Badewanne mit lauwarmem Wasser füllte.
»Ich hab mir gerade ein Bad eingelassen«, antwortete ich und verschloss die Tür.
Dann legte ich mich ins Wasser und tauchte mit dem Kopf unter. Ich lauschte den gluckernden Geräuschen – Uterusgeräusche, dachte ich – und kam zu dem Schluss, dass ich mich lösen musste, bevor ich den Verstand verlor. Es war nicht CeCes Schuld, und ich