Das verlorene Symbol - Kapitel 94
des Franklin-Quadrats neu geordneten Symbole. Er hatte es kurz im Tempelsaal studiert.
Peter sagte: »Es würde mich interessieren, ob du dieses Bildmuster deuten kannst. Schließlich bist du der Experte.«
Langdon schaute sich das Bildmuster an.
Heredom, Circumpunct, Pyramide, Treppe …
Langdon seufzte. »Nun, Peter, wie du vermutlich selbst sehen kannst, haben wir es hier mit einem allegorischen Piktogramm zu tun. Offensichtlich ist seine Sprache metaphorisch und symbolisch und nicht wörtlich zu nehmen.«
Solomon schmunzelte. »Wenn man einem Symbolologen eine einfache Frage stellt … Okay, sag mir, was du siehst.«
Er will das wirklich hören? Langdon zog das Blatt näher heran. »Naja, ich habe es mir vorhin schon angesehen … und in einfachen Worten ausgedrückt, scheint mir dieses Muster ein Schema zu ergeben, eine symbolische Darstellung von Himmel und Erde.«
Peter zog die Brauen hoch, als wäre er überrascht. »Ach?«
»Sicher. Oben haben wir das Wort Heredom, das ›Heilige Haus‹, was ich als Haus Gottes interpretiere … oder eben Himmel.«
»Verstehe. Nur weiter.«
»Der abwärts weisende Pfeil hinter Heredom besagt, dass der Rest des Piktogramms die Zonen unter dem Himmel bezeichnet … also im Wesentlichen die Erde.« Langdons Blick wanderte zum unteren Teil des Gitternetzes. »Die untersten beiden Reihen, die unterhalb der Pyramide, stehen für die Erde selbst – Terra firma –, die unterste aller Zonen. Dementsprechend enthält diese niedere Zone die zwölf alten astrologischen Zeichen. Sie stehen für die Ur-Religion jener ersten menschlichen Seelen, die zum Himmel aufblickten und die Hand Gottes in der Bewegung der Sterne und Planeten sahen.«
Peter Solomon betrachtete das Bild. »Was siehst du sonst noch?«
»Auf der Grundlage der Astrologie«, fuhr Langdon fort, »erhebt sich die große Pyramide auf der Erde … in den Himmel ragend … das Monument des verlorenen Wissens. Sie ist angefüllt mit den großen Philosophien und Religionen … ägyptisch, pythagoräisch, buddhistisch, hinduistisch, islamisch, judäo-christlich und so weiter … die allesamt aufwärts streben, wie in einen Trichter zusammenfließen, hinauf durch das Tor der Pyramide … das Tor der Verwandlung … wo sie schließlich zu einer einzigen, vereinten menschlichen Philosophie verschmelzen.« Er überlegte. »Einem einzelnen universellen Bewusstsein, einer gemeinsamen globalen Gottesvorstellung … dargestellt durch das alte Symbol, das über dem Deckstein schwebt.«
»Der Circumpunct«, sagte Peter. »Ein universelles Symbol für Gott.«
»Richtig. Die ganze Geschichte der Menschheit hindurch stellte der Circumpunct den Ursprung aller Dinge dar – er ist der Sonnengott Ra, das alchimistische Gold, das allsehende Auge, die Singularität vor dem Urknall, der …«
»Der Große Baumeister aller Welten.«
Langdon nickte. Er spürte, dass dies wahrscheinlich dasselbe Argument war, das Peter im Tempelsaal vorgebracht hatte, um Mal’akh vom Circumpunct als dem Verlorenen Wort zu überzeugen.
»Und was ist mit der Treppe?«, fragte Peter.
Langdon blickte auf das Bild der Treppe unter der Pyramide. »Peter, ich denke, du weißt so gut wie ich, dass dies die Wendeltreppe der Freimaurerei symbolisiert, den Weg aus der irdischen Dunkelheit hinauf ins Licht … wie die Jakobsleiter, die in den Himmel führt … oder das menschliche Rückgrat, das den sterblichen Körper des Menschen mit seinem unsterblichen Geist verbindet.« Er verzog das Gesicht. »Was den Rest der Symbole betrifft, so scheinen sie mir im Sinne der Freimaurerei auf Naturwissenschaft, Philosophie und andere Disziplinen zu verweisen, die den Alten Mysterien Gültigkeit verleihen.«
Solomon strich sich übers Kinn. »Eine elegante Interpretation, Professor. Ich stimme natürlich zu, dass dieses Bildmuster als Allegorie gelesen werden kann, und dennoch …« Seine Augen funkelten, als wüssten sie mehr, als sie verrieten. »Diese Ansammlung von Symbolen erzählt noch eine andere Geschichte. Eine Geschichte, die viel offenkundiger ist – und zugleich viel tiefer reicht.«
»Inwiefern?«
Wieder ging Solomon auf und ab. »Heute Nacht, im Tempelsaal, als ich darauf gefasst war, sterben zu müssen, sah ich auf dieses Bilderrätsel, und irgendwie sah ich durch die Metapher, durch die Allegorie, und erkannte den wahren Kern dessen, was die Symbole uns sagen wollen.« Er blieb stehen und drehte sich zu Langdon um. »Dieses Bild zeigt den exakten Ort, an dem das Verlorene Wort begraben liegt.«
»Das meinst du nicht ernst.« Langdon wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl und fragte sich mit einem Mal, ob die traumatischen Erlebnisse des Abends und der Nacht Peters Verstand in Mitleidenschaft gezogen hatten.
»Robert, die Legende hat die Freimaurerpyramide immer als eine Karte bezeichnet – eine ganz besondere Karte. Eine Karte, die den Würdigen an den geheimen Ort des Verlorenen Wortes führen würde.« Solomon tippte auf das Bildmuster, das vor Langdon auf dem Tisch lag. »Ich versichere dir, diese Symbole sind genau das, was die Legende von ihnen behauptet … eine Karte. Eine Darstellung, die zeigt, wo genau die Treppe zu finden ist, die zum Verlorenen Wort führt.«
Langdon stieß ein unsicheres Lachen aus. »Selbst wenn ich die Legende der Freimaurerpyramide glauben könnte«, meinte er vorsichtig, »kann dieses Diagramm von Symbolen keine Karte sein. Sieh es dir doch an. Sieht das wie eine Karte aus?«
Solomon lächelte. »Manchmal ist eine kleine Veränderung des Blickwinkels alles, was man braucht, um etwas Vertrautes in einem völlig neuen Licht zu sehen.«
Langdon betrachtete die Zeichnung von allen Seiten, konnte aber nichts Neues entdecken.
»Lass mich dir eine Frage stellen«, sagte Peter. »Wenn Freimaurer einen Grundstein legen, warum wählen sie dafür stets die nordöstliche Ecke des Gebäudes?«
»Weil die nordöstliche Ecke die ersten Strahlen des Morgenlichts empfängt. Es ist ein Symbol für die Kraft der Architektur, aus der Erde ans Licht emporzusteigen.«
»Richtig«, sagte Peter. »Dann solltest du vielleicht dort nach den ersten Strahlen des Lichts suchen.« Er zeigt auf das Bildmuster. »In der nordöstlichen Ecke.«
Langdon richtete die Augen wieder auf das Blatt. Sein Blick wanderte zur rechten oberen – oder nordöstlichen – Ecke. Das Symbol in dem Eckfeld war ein .
»Ein nach unten weisender Pfeil«, sagte Langdon, dem immer noch nicht klar war, was Solomon meinte. »Und das heißt … unter Heredom.«
»Nein, Robert, nicht unter«, gab Solomon zurück. »Denk nach! Dieses Bildmuster ist kein metaphorisches Labyrinth. Es ist eine Karte. Und auf einer Karte bedeutet ein Pfeil, der nach unten zeigt …«
»Süden!«, rief Langdon verblüfft.
»Genau.« Solomon grinste wie ein Schuljunge. »Auf einer Karte ist unten gleich Süden. Außerdem wäre auf einer Karte das Wort Heredom keine Metapher für den Himmel, es wäre der Name eines Ortes.«
»Das Haus des Tempels? Du willst damit sagen, die Karte zeigt auf eine Stelle … genau südlich von diesem Gebäude?«
»Gelobt sei Gott!«, sagte Solomon lachend. »Endlich geht dir ein Licht auf.«
Langdon studierte das Bildmuster. »Aber, Peter … selbst wenn du recht hast, ein Ort südlich dieses Gebäudes könnte sich irgendwo auf diesem Längengrad befinden, Tausende von Kilometern entfernt.«
»Nein, Robert. Die Legende sagt eindeutig, dass das Verlorene Wort in Washington begraben liegt. Das kürzt die Linie ganz erheblich ab. Außerdem behauptet die Legende, dass das obere Ende der Treppe mit einem großen Stein bedeckt ist … und dass dieser Stein eine Inschrift in einer alten Sprache trägt … als eine Art Hinweis, damit der Würdige es finden kann.«
Langdon hatte Schwierigkeiten, das alles ernst zu nehmen. Und auch wenn er Washington nicht gut genug kannte, um sich im Kopf zurechtlegen zu können, was sich genau südlich ihrer derzeitigen Position befand, war er sicher, dass es dort nirgendwo einen riesigen Stein mit einer Inschrift über einem in die Tiefe führenden Treppenschacht gab.
»Die Inschrift auf dem Stein«, sagte Peter, »steht hier, direkt vor unseren Augen.« Er tippte auf die dritte Reihe des Bildmusters auf dem Blatt. »Das ist die Inschrift, Robert! Du hast das Rätsel gelöst!«
Verwirrt betrachtete Langdon die sieben Symbole.
Gelöst? Langdon hatte nicht die leiseste Ahnung, was diese sieben unterschiedlichen Symbole bedeuten könnten, und er war sich sicher, dass sie an keinem Gebäude in der Hauptstadt der USA als Inschrift eingehauen waren … insbesondere nicht auf einem riesigen Stein über einer Treppe.
»Peter«, sagte er, »ich sehe kein Licht am Ende dieses Tunnels. Ich weiß von keinem Stein in Washington, der eine solche Botschaft trägt.«
Solomon klopfte ihm auf die Schulter. »Du bist daran vorbeigekommen, mehr als einmal. So wie wir alle. Jedem Blick offenbar und doch allen verborgen, wie bei den Alten Mysterien. Und als ich heute Nacht diese sieben Zeichen sah, erkannte ich plötzlich, dass die Legende wahr ist. Das Verlorene Wort ist tatsächlich in Washington begraben … und tatsächlich auf dem Grund einer langen Treppe unter einem großen Stein mit dieser Inschrift.«
Langdon wusste nicht, was er sagen sollte.
»Robert – ich glaube, heute Nacht hast du dir das Recht verdient, die Wahrheit zu erfahren.«
Langdon starrte Peter an und versuchte zu verarbeiten, was er soeben gehört hatte. »Du willst mir sagen, wo das Verlorene Wort begraben liegt?«
»Nein«, entgegnete Solomon und erhob sich mit einem Lächeln. »Ich werde es dir zeigen.«
Fünf Minuten später gurtete Langdon sich neben Peter Solomon auf dem Rücksitz des Escalade an. Agent Simkins klemmte sich hinters Lenkrad und wollte gerade losfahren, als Inoue Sato über den Parkplatz auf sie zukam.
»Mr. Solomon?«, sagte Sato und zündete sich noch im Gehen eine Zigarette an. »Ich habe soeben den Anruf getätigt, um den Sie mich gebeten hatten.«
»Und?«, fragte Peter durch das offene Fenster.
»Ich habe dafür gesorgt, dass man sie einlässt. Aber nur kurz.«
»Danke.«
Sato runzelte die Stirn. »Ich muss sagen, es ist ein höchst ungewöhnliches Ansinnen.«
Solomon zuckte nur die Schultern.
Sato beließ es dabei. Sie ging um den Wagen herum und klopfte mit den Fingerknöcheln an Langdons Fenster.
Langdon ließ das Fenster herunter.
»Professor«, sagte Sato ohne einen Hauch von Wärme in der Stimme, »Ihre – wenn auch widerstrebende – Mithilfe heute Nacht war entscheidend für unseren Erfolg, und dafür danke ich Ihnen.« Sie nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und blies den Rauch zur Seite. »Aber lassen Sie mich Ihnen zum Schluss einen guten Rat geben: Das nächste Mal, wenn ein leitender Mitarbeiter der CIA ihnen sagt, dass die nationale Sicherheit in Gefahr ist