Das verlorene Symbol - Kapitel 61
dass Langdon irgendwie in die Sache verstrickt war, ließ ich meine Mitarbeiter einen scheinbar unverfänglichen Anruf vom frühen Morgen zwischen Langdon und Peter Solomons Handy überprüfen, in dem der Entführer, der sich als Solomons Assistent ausgab, Langdon überredete, zu einem Vortrag nach Washington zu kommen und ein Päckchen mitzubringen, das Peter ihm anvertraut hatte. Als Langdon mir gegenüber nichts von diesem Päckchen erwähnte, ließ ich mir die Aufnahme zusenden, die bei der Durchleuchtung seiner Tasche gemacht wurde.«
Bellamy konnte kaum noch klar denken; in seinem Kopf drehte sich alles. Zugegeben – alles, was Sato sagte, klang logisch; dennoch passte es irgendwie nicht zusammen. »Aber … wie können Sie überhaupt auf den Gedanken kommen, dass Peter Solomon einen Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellt?«
»Glauben Sie mir, Peter Solomon ist eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit«, blaffte Sato ihn an. »Und Sie, Mr. Bellamy, ebenso!«
Bellamy fuhr hoch, dass ihm die Handschellen in die Handgelenke schnitten. »Was?«
Sato zwang sich ein Lächeln ab. »Ihr Freimaurer spielt ein riskantes Spiel. Ihr hütet ein sehr gefährliches Geheimnis.«
Spricht sie von den Alten Mysterien?
»Gott sei Dank haben Sie und Ihre Brüder es bislang jedes Mal geschafft, Ihre Geheimnisse zu wahren. Leider sind Sie in jüngerer Zeit unvorsichtig geworden, und heute Nacht steht Ihr gefährlichstes Geheimnis kurz davor, der Welt enthüllt zu werden. Wenn wir das nicht verhindern, sind katastrophale Auswirkungen nicht zu vermeiden.«
Bellamy starrte sie fassungslos an.
»Wenn Sie mich nicht angegriffen hätten«, sagte Sato, »wäre Ihnen klar geworden, dass wir beide auf derselben Seite stehen.«
Auf derselben Seite? Die Worte ließen in Bellamy einen Gedanken aufkeimen, dessen Folgerungen kaum auszudenken waren. Gehört Sato zum Stern des Ostens? Dieser Orden, oft als eine Schwesterorganisation der Freimaurer betrachtet, hing einer ähnlichen mystischen Philosophie von Wohltätigkeit, geheimem Wissen und spiritueller Aufgeschlossenheit an. Auf derselben Seite? Ich trage Handschellen! Diese Frau hat Peters Telefon angezapft!
»Sie werden mir helfen, diesen Mann aufzuhalten«, sagte Sato. »Er hat das Potenzial, eine Katastrophe herbeizuführen, von der unser Land sich nie mehr erholen würde.« Ihr Gesicht war wie versteinert.
»Warum peilen Sie ihn dann nicht an?«
Sato musterte ihn, als zweifelte sie an seinem Verstand. »Glauben Sie, wir hätten es nicht versucht? Unsere Verbindung mit Solomons Handy ist tot. Seine andere Nummer gehört zu einem Handy, das er nur einschaltet, wenn er es benutzt – was es fast unmöglich macht, seinen Standort anzupeilen. Die private Fluggesellschaft, mit der Langdon gereist ist, hat uns mitgeteilt, der Flug sei von Solomons Assistenten mit Solomons Handy gebucht und mit Solomons Marquis-Jet-Karte bezahlt worden. Es gibt keine Spur. Aber das ist auch unerheblich. Selbst wenn wir herausfinden, wo genau er sich aufhält, kann ich es nicht riskieren, den Einsatzbefehl zu geben und einen Zugriff zu veranlassen.«
»Und wieso nicht?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil die Informationen der Geheimhaltung unterliegen«, sagte Sato, deren Geduld offensichtlich erschöpft war. »Ich bitte Sie, mir in diesem Punkt zu vertrauen.«
»Vertrauen? Dass ich nicht lache!«
Satos Augen waren wie Eis. Abrupt wandte sie sich um und rief durch den Dschungel: »Agent Hartmann! Den Koffer, bitte!«
Bellamy hörte das Zischen der elektronischen Tür, und ein Agent betrat den Dschungel. Er trug einen schlanken Aluminiumkoffer, den er neben dem OS-Direktor auf den Boden stellte.
»Lassen Sie uns allein!«, befahl Sato.
Der Agent ging davon, und die Tür zischte erneut. Dann herrschte Stille.
Sato nahm den Metallkoffer auf, legte ihn auf den Schoß und ließ die Verschlüsse aufschnappen. Dann hob sie langsam den Blick und schaute Bellamy an. »Ich wollte das hier nicht tun, aber unsere Zeit wird knapp, und Sie haben mir keine Wahl gelassen.«
Bellamy beäugte den seltsamen Aktenkoffer, und ein mulmiges Gefühl überkam ihn. Will sie mich foltern? Wieder zerrte er an seinen Handschellen. »Was ist da drin?«
Sato lächelte grimmig. »Der Inhalt dieses Koffers wird Sie von meiner Sicht der Dinge überzeugen. Garantiert.«
KAPITEL 81
Mal’akh hatte den unterirdischen Raum, in dem er die Kunst ausübte, mit großem Einfallsreichtum getarnt. Dem arglosen Besucher erschien der Keller seines Hauses völlig normal – ein typischer Keller mit Heißwasserspeicher, Sicherungskasten, Feuerholzstapel und einem bunten Sammelsurium von Vorräten. Dieser sichtbare Keller war allerdings nur ein Teil von Mal’akhs unterirdischem Reich. Hinter Trennwänden verbarg sich ein beträchtliches Areal, das ausschließlich seinen geheimen Praktiken diente.
Mal’akhs privater Arbeitsbereich bestand aus einer Anzahl kleiner Räume, von denen jeder einem eigenen Zweck diente. Der einzige Eingang zu diesem Areal war eine versteckte steile Rampe, zu der man nur durch sein Wohnzimmer gelangte. Auf diese Weise war eine Entdeckung seiner Geheimräume so gut wie ausgeschlossen.
Als Mal’akh an diesem Abend die Rampe hinunterstieg, schienen die tätowierten Siegel und Zeichen auf seiner Haut im himmelblauen Schein der Beleuchtung seines geheimen Reiches zum Leben zu erwachen. In dem bläulichen Schimmer ging er an mehreren geschlossenen Türen vorbei und hielt direkt auf die große Kammer am Ende des Korridors zu.
Das Allerheiligste, wie Mal’akh es gern nannte, war ein perfektes Quadrat von zwölf Fuß Kantenlänge. Zwölf sind die Zeichen des Tierkreises. Zwölf sind die Stunden des Tages. Zwölf sind die Tore des Himmels. Mitten in der Kammer stand ein steinerner Tisch, der sieben Fuß im Geviert maß. Sieben sind die Siegel der Offenbarung. Sieben sind die Stufen zum Tempel. Genau über der Mitte des Tisches hing eine sorgsam kalibrierte Lichtquelle, die innerhalb einer bestimmten Zeit eine Skala genau festgelegter Farben durchlief und nach der Tafel der Planetarischen Stunden ihren Zyklus alle sechs Stunden vollendete. Die Stunde von Yanor ist blau. Die Stunde von Nasnia ist rot. Die Stunde von Salam ist weiß.
Jetzt war die Stunde von Caerra; folglich hatte das Licht im Raum eine weiche Purpurfarbe angenommen. Nur mit einem seidenen Lendenschurz bekleidet, der sein Gesäß und das kastrierte Geschlechtsorgan bedeckte, begann Mal’akh mit seinen Vorbereitungen.
Sorgsam mischte er die Chemikalien, die er später entzünden würde, um die Luft zu weihen. Dann faltete er die jungfräuliche Seidenrobe, die er anstelle des Lendenschurzes anlegen würde. Zuletzt reinigte er eine Flasche Wasser zur Salbung seines Opfers. Als er fertig war, setzte er diese vorbereiteten Ingredienzien auf einen Beistelltisch.
Als Nächstes trat er an ein Regal, nahm ein kleines elfenbeinernes Kästchen herunter, trug es zu dem Beistelltisch und legte es zu den anderen Dingen. Wenngleich er noch nicht bereit war, es zu benutzen, konnte er nicht widerstehen: Er klappte den Deckel auf und bewunderte seinen Schatz.
Das Messer.
In dem Elfenbeinkasten, in eine Wiege aus schwarzem Samt geschmiegt, schimmerte das Opfermesser, das Mal’akh für diesen Abend aufgespart hatte. Im letzten Jahr hatte er es im Nahen Osten für 1,6 Millionen Dollar auf dem Schwarzmarkt erstanden.
Das berühmteste Messer aller Zeiten.
Die Klinge dieses unfassbar alten und kostbaren, verloren geglaubten Messers bestand aus Eisen und war in einem beinernen Griff gefasst. Zahllose mächtige Persönlichkeiten hatten es im Lauf der Jahrtausende besessen. In den letzten Jahrzehnten allerdings war es verschwunden gewesen und hatte in einer geheimen Privatsammlung gelegen. Mal’akh war durch die Hölle gegangen, um es in seinen Besitz zu bringen. Das Messer, vermutete er, hatte jahrzehntelang kein Blut mehr gekostet – vielleicht seit Jahrhunderten nicht. Heute Nacht aber sollte die Klinge wieder die Macht des Opfers kosten, für die sie geschärft worden war.
Mal’akh hob das Messer vorsichtig aus dem gepolsterten Fach und polierte die Klinge ehrfürchtig mit einem Seidentuch, das er mit gereinigtem Wasser getränkt hatte. Seit seinen ersten primitiven Experimenten in New York hatten seine Fähigkeiten sich weit entwickelt. Die dunkle Kunst, die Mal’akh praktizierte, war unter vielen Namen aus vielen Sprachen bekannt gewesen, doch wie man sie auch nannte, sie war eine exakte Wissenschaft. Die urtümliche Technologie hatte einmal den Schlüssel zu den Portalen der Macht besessen, doch schon vor langer Zeit war sie verbannt worden, in die Schattenreiche von Okkultismus und Magie verwiesen. Die wenigen, die diese Kunst weiter ausübten, wurden als wahnsinnig betrachtet, doch Mal’akh wusste es besser. Dies ist wahrhaft keine Beschäftigung für einen tumben Menschen. Die dunkle alte Kunst war wie die moderne Wissenschaft eine Disziplin mit präzisen Formeln, die genau definierte Ingredienzien und akribische zeitliche Abstimmung erforderte.
Seine Kunst war nicht die kraftlose schwarze Magie der heutigen Zeit, halbherzig von neugierigen Seelchen praktiziert. Seine Kunst besaß, ganz wie die Kernphysik, das Potenzial, gewaltige Macht zu entfesseln. Die Warnung war ernst gemeint: Der Unkundige läuft Gefahr, von rücklaufenden Strömungen getroffen und vernichtet zu werden.
Mal’akh legte das geweihte Messer zurück, das er bewundert hatte, und wandte sich dem dickem Pergamentblatt zu, das vor ihm auf dem Tisch lag. Er selbst hatte dieses Pergament aus der Haut eines jungen Lamms hergestellt. Wie das Protokoll es verlangte, war das Lamm rein gewesen, da es die Geschlechtsreife noch nicht erlangt hatte. Neben dem Pergament lagen ein Kiel, den Mal’akh aus der Feder einer Krähe geschnitten hatte, und eine silberne Untertasse. Drei brennende Kerzen umstanden eine Schale aus massivem Messing. Die Schale enthielt einen Zoll hoch dickliche rote Flüssigkeit.
Die Flüssigkeit war das Blut Peter Solomons.
Blut ist die Tinktur der Ewigkeit.
Mal’akh nahm den Federkiel auf, legte die Linke geöffnet auf das Pergament, tauchte die Kielspitze ins Blut und zeichnete sorgsam den Umriss seiner Hand nach. Als er damit fertig war, fügte er die fünf Symbole der Alten Mysterien hinzu, einen auf jede Fingerkuppe in der Zeichnung.
Die Krone … für den König, der ich werden soll.
Der Stern … für die Himmel, die meine Bestimmung festgelegt haben.
Die Sonne … für die Erleuchtung meiner Seele.
Die Laterne … für das matte Licht menschlichen Begreifens.
Und der Schlüssel … für das fehlende Teil, in dessen Besitz ich heute Nacht endlich gelangen werde.
Mal’akh vollführte den letzten Strich, hob das Pergament und bewunderte im Licht der drei Kerzen seine Arbeit. Er wartete, bis das Blut getrocknet war; dann faltete er das Pergament dreimal zusammen. Während er eine alte Beschwörung