Das verlorene Symbol - Kapitel 55
und suchte den Raum ab. Nichts. Er sah zu der Stelle, wo die zerfetzte Tür immer noch heiß von der Explosion leuchtete. Ansonsten war keine …
Heiliger Strohsack.
Der Agent zuckte zurück, als eine unerwartete Lumineszenz in sein Blickfeld schwebte. Wie Geister waren die deutlich leuchtenden Abdrücke zweier menschlicher Umrisse auf einem Transportband hinter der Wand hervorgekommen. Hitzesignaturen.
Sie sind auf dem Transportband nach draußen gefahren? Das ist ja Wahnsinn!
Abgesehen von der Erkenntnis, dass Langdon ihm durch ein Loch in der Wand entwischt war, wurde dem Agenten bewusst, dass er ein weiteres Problem hatte. Langdon ist nicht allein!
Er wollte gerade über Funk den Einsatzleiter informieren, doch der war schneller.
»An alle, wir haben einen Volvo auf der Plaza vor der Bibliothek entdeckt, registriert auf eine Katherine Solomon. Augenzeugen haben gesehen, wie sie vor nicht allzu langer Zeit in die Bibliothek gegangen ist. Wir nehmen an, sie ist bei Langdon. Direktor Sato hat befohlen, die beiden zu suchen und unverzüglich zu ihr zu bringen!«
»Ich habe Hitzesignaturen der beiden gefunden!«, rief der Agent in das Mikro. Er erklärte seinem Einsatzleiter die Situation.
»Herrgott noch mal!«, stieß dieser hervor. »Wohin führt dieses Band?«
Der Agent studierte bereits den Grundriss am Anschlagbrett für die Mitarbeiter der Bibliothek. »Zum Adams Building, einen Block von hier.«
»Alle Kräfte sofort umgruppieren. Neues Ziel ist das Adams Building. Bewegung!«
KAPITEL 73
Zuflucht. Antworten.
Die Worte hallten in Langdons Kopf wider, als er und Katherine durch eine Seitentür des Adams Building und hinaus in die kalte Nacht stürmten. Der geheimnisvolle Anrufer hatte in Rätseln gesprochen, als er seinen Aufenthaltsort nannte, doch Langdon hatte verstanden. Katherines Reaktion auf ihr Ziel war überraschend hoffnungsvoll gewesen: Es gibt keinen besseren Ort, den Einen Wahren Gott zu finden.
Stellte sich nur noch die Frage, wie sie dorthin gelangen sollten.
Langdon drehte sich um die eigene Achse, um sich zu orientieren. Es war dunkel, aber glücklicherweise hatte das Wetter sich aufgeklärt. Sie standen in einem kleinen Hof. In der Ferne schien die Kuppel des Kapitols überraschend weit weg zu sein. Erst jetzt wurde Langdon bewusst, dass er zum ersten Mal wieder ins Freie trat, seit er vor Stunden im Kapitol eingetroffen war.
So viel zu meinem Vortrag.
»Schau, Robert.« Katherine deutete auf die Silhouette des Jefferson Building.
Langdons erste Reaktion auf den Anblick des Gebäudes war Erstaunen. Er hätte nicht gedacht, dass sie auf dem unterirdischen Förderband so weit gekommen waren. Dann aber befiel ihn Sorge. Am Jefferson Building herrschte rege Betriebsamkeit. Es wimmelte von Fahrzeugen, und Menschen riefen einander zu. Ist das da ein Suchscheinwerfer?
Langdon ergriff Katherines Hand. »Komm.«
Sie liefen nach Nordosten über den Hof und verschwanden hinter einem eleganten, u-förmigen Gebäude, das Langdon als die Folger Shakespeare Library erkannte, in der das auf Latein verfasste Manuskript von Francis Bacons Neu-Atlantis aufbewahrt wurde – jene Utopie, auf deren Grundlage die amerikanischen Gründerväter angeblich eine neue Welt im Sinne antiken Wissens entwickelt hatten.
Langdon und Katherine eilten auf der Third Street in Richtung Norden und brachten rasch Abstand zwischen sich und die Kongressbibliothek. Dann sah Langdon ein Taxi um die Ecke biegen und winkte es heran.
Orientalische Musik plärrte aus dem Radio, und der junge, offenbar arabische Fahrer lächelte die beiden an. »Wohin?«, fragte er, als sie in den Wagen sprangen.
»Richtung Union Station und dann nach links auf die Massachusetts Avenue«, wies Katherine ihn an. »Wir sagen Ihnen, wann Sie halten sollen.«
Der Fahrer zuckte mit den Schultern, schloss die Trennscheibe aus Plexiglas und drehte das Radio wieder lauter.
Katherine warf Langdon einen mahnenden Blick zu, als wolle sie sagen: »Keine Spuren hinterlassen!« Dann deutete sie aus dem Fenster auf einen schwarzen Helikopter, der sich im Tiefflug näherte. Sato meinte es offenbar todernst damit, Solomons Pyramide wiederzubeschaffen.
Sie beobachteten, wie der Helikopter zwischen dem Jefferson und dem Adams Building landete. Katherine drehte sich zu Langdon um. Sie sah zunehmend besorgt aus. »Kann ich mal kurz dein Handy haben?«
Langdon reichte es ihr.
»Peter hat mir erzählt, du hättest ein eidetisches Gedächtnis. Stimmt das?«, fragte sie und kurbelte das Fenster herunter. »Und dass du dir jede Telefonnummer merken kannst, die du gewählt hast?«
»Das stimmt, aber …«
Katherine warf das Telefon in die Nacht hinaus. Langdon beobachtete offenen Mundes, wie es auf dem Bürgersteig in tausend Stücke zersprang. »Warum hast du das getan?«
»So kann man uns nicht orten«, sagte Katherine und schaute ihn ernst an. »Diese Pyramide ist die einzige Hoffnung, meinen Bruder zu finden, und ich habe nicht die Absicht, sie mir von der CIA stehlen zu lassen.«
Auf dem Fahrersitz wiegte Omar Amirana den Kopf hin und her und summte die Musik mit. Sein Taxi fuhr soeben am Stanton Park vorbei, als die vertraute Stimme seines Fahrdienstleiters aus dem Funkgerät drang.
»Hier Zentrale. An alle Fahrzeuge im Gebiet der National Mall. Wir haben gerade eine Meldung der Behörden über zwei Flüchtige im Bereich des Adams Building bekommen …«
Omar hörte erstaunt zu, als die Meldung durchgegeben wurde. Die Personenbeschreibung traf genau auf seine beiden Fahrgäste zu. Nervös schaute er in den Innenspiegel. Er musste zugeben, dass der große Kerl ihm irgendwie bekannt vorkam. Habe ich ihn schon mal bei irgendeiner Fahndungssendung im Fernsehen gesehen?
Zögernd griff Omar nach seinem Mikrofon. »Zentrale?«, sagte er und sprach so leise wie möglich. »Hier Wagen 1-3-4. Die beiden Leute, nach denen ihr gefragt habt … Sie sind in meinem Taxi.«
Die Zentrale wies Omar sofort an, was er zu tun hatte. Die Hände des jungen Arabers zitterten, als er die Nummer wählte, die ihm die Zentrale gegeben hatte. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang herrisch und streng, wie die eines Soldaten.
»Agent Turner Simkins hier, CIA. Wer spricht da?«
»Äh … Ich bin der Taxifahrer«, sagte Omar. »Man hat mir gesagt, ich solle wegen der beiden …«
»Sind die Flüchtigen derzeit in Ihrem Taxi? Antworten Sie nur mit Ja oder Nein.«
»Ja.«
»Können sie dieses Gespräch mit anhören? Ja oder Nein?«
»Nein. Die Trennscheibe ist …«
»Wo fahren Sie die beiden hin?«
»Richtung Nordwesten auf der Massachusetts.«
»Das genaue Ziel?«
»Das haben sie nicht gesagt.«
Der Agent zögerte. »Hat der männliche Passagier eine Ledertasche dabei?«
Omar blickte in den Innenspiegel, und seine Augen wurden groß. »Ja! In der Tasche ist doch kein Sprengstoff oder so …?«
»Hören Sie mir gut zu«, sagte der Agent. »Sie sind so lange nicht in Gefahr, wie Sie meine Anweisungen genau befolgen. Ist das klar?«
»Jawohl, Sir.«
»Wie heißen Sie?«
»Omar.« Dem Fahrer rann eine Schweißperle über die Stirn.
»Hören Sie zu, Omar«, sagte der CIA-Mann ruhig. »Sie machen das großartig. Ich möchte, dass Sie so langsam wie möglich fahren, während ich ein Team in Ihre Nähe bringe. Haben Sie das verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Können Sie mit Ihren Fahrgästen über Interkom reden?«
»Ja, Sir.«
»Gut. Dann möchte ich, dass Sie Folgendes tun.«
KAPITEL 74
Der ›Dschungel‹ bildete den Mittelpunkt des U.S. Botanic Garden – Amerikas lebendigen Museums – unmittelbar neben dem Kapitol. Technisch gesehen ein Regenwald, war der Dschungel in einem riesigen Gewächshaus untergebracht. Es gab hier gewaltige Gummibäume, Würgefeigen und einen Laufsteg in Baumwipfelhöhe für die Wagemutigeren unter den Touristen.
Normalerweise genoss Warren Bellamy den Duft der Pflanzen und der feuchten Erde und erfreute sich am Sonnenlicht, das durch den Dunst fiel, der von Wassersprenklern hoch oben in der gläsernen Decke erzeugt wurde. Heute jedoch, nur vom Mondlicht erhellt, jagte der Dschungel ihm Angst ein. Bellamy schwitzte aus allen Poren und wand sich unter den Krämpfen in seinen Armen, die noch immer schmerzhaft hinter seinem Rücken gefesselt waren.
Inoue Sato ging vor ihm auf und ab und rauchte in aller Ruhe eine Zigarette, was in dieser Umgebung das Äquivalent zu einem ökologischen Terroranschlag darstellte. In dem von Rauch erfüllten Mondlicht, das durchs Glasdach fiel, sah ihr Gesicht beinahe dämonisch aus.
»Nun denn«, sagte Sato, »als Sie heute Abend am Kapitol eingetroffen sind und herausfanden, dass ich bereits dort war, haben Sie einen Entschluss getroffen. Anstatt sich bei mir zu melden, haben Sie sich ins Tiefgeschoss geschlichen, wo Sie mich und Chief Anderson attackiert und Langdon geholfen haben, mit der Pyramide und dem Deckstein zu entkommen.« Sie rieb sich die Schulter. »Eine interessante Entscheidung.«
Eine Entscheidung, die ich jederzeit wieder treffen würde, dachte Bellamy. »Wo ist Peter?«, fragte er zornig.
»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Sato kalt.
»Alles andere scheinen Sie doch auch zu wissen!« Bellamy machte keinen Hehl aus seinem Verdacht, dass Sato hinter allem steckte. »Sie wussten, dass Sie sich ins Kapitol begeben mussten. Sie wussten, dass Sie Robert Langdon dort finden würden. Sie wussten sogar, dass Sie Langdons Tasche durchleuchten mussten, um den Deckstein zu finden. Offensichtlich hat irgendjemand Ihnen eine Menge Insiderinformationen zugespielt.«
Sato lachte kalt und trat einen Schritt auf ihn zu. »Mr. Bellamy, ist das der Grund, warum Sie mich angegriffen haben? Halten Sie mich für den Feind? Glauben Sie, ich versuche, Ihre kleine Pyramide zu stehlen?« Sato zog an Ihrer Zigarette und blies den Rauch durch die Nase. »Hören Sie mir gut zu. Niemand weiß besser als ich, wie wichtig es ist, Geheimnisse zu wahren. Genau wie Sie bin auch ich der Meinung, dass es Informationen gibt, die besser nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Heute Nacht jedoch sind hier Kräfte am Werk, die Sie offenbar noch nicht ganz erfasst haben. Der Mann, der Peter Solomon entführt hat, verfügt über eine Macht, die so gewaltig ist, wie Sie es sich in Ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Glauben Sie mir, er ist eine wandelnde Zeitbombe. Er kann eine Kette von Ereignissen in Gang setzen, die die Welt für immer verändern würde.«
»Ich verstehe nicht …« Bellamy rückte auf der Bank hin und her. Die mit Handschellen gefesselten Arme bereiteten ihm höllische Schmerzen.
»Sie müssen auch nicht verstehen, sondern gehorchen. Im Augenblick sehe ich nur eine Möglichkeit, eine Katastrophe abzuwenden: Wir müssen mit diesem Mann kooperieren und ihm genau das geben,