Das verlorene Symbol - Kapitel 39
war im stumpfem Winkel gegen die Mauer geprallt, was die Wucht der Kollision abgemildert hatte, aber das half jetzt wenig, denn der Lärm war nicht zu überhören gewesen. Er weiß, wo ich bin. Zusammengekrümmt vor Schmerz, drehte Katherine den Kopf zur Seite, starrte hinaus in die Schwärze des Magazins und spürte, dass ihr Verfolger von irgendwo aus der Finsternis zurückstarrte.
Weg hier! Sofort!
Katherine schob sich an der Wand entlang. Mit der linken Hand tastete sie im Vorübergehen über jeden der hervorstehenden Stahlbolzen. Bleib an der Wand. Versuch an dem Kerl vorbeizukommen, bevor er dich in die Enge treibt. Mit der rechten Hand umklammerte Katherine immer noch ihr Handy, bereit, es als Wurfgeschoss zu benutzen.
Mit einem Mal hörte sie das Rascheln von Kleidung direkt vor ihr. Sie erstarrte, hielt den Atem an. Wie kann der Kerl vor mir an der Wand sein? Dann spürte sie einen Lufthauch, versetzt mit dem vertrauten Ethanolgeruch. O Gott, er kommt an der Wand entlang auf mich zu!
Katherine bewegte sich ein paar Schritte rückwärts. Dann drehte sie sich um hundertachtzig Grad und bewegte sich rasch in entgegengesetzter Richtung die Wand entlang. Wieder hörte sie das Rascheln von Kleidung unmittelbar vor ihr, gefolgt von einem erneuten Lufthauch, in dem der Geruch von Ethanol lag.
Mein Gott, dieser Verrückte ist überall!
Mal’akh spürte die kalte Luft auf der bloßen Haut, als er in die Dunkelheit starrte.
Der Geruch von Ethanol an seiner Kleidung hatte sich als hinderlich erwiesen, doch er hatte ihn in einen Vorteil verwandelt, indem er Jackett und Hemd ausgezogen und dazu benutzt hatte, seine Beute in die Enge zu treiben. Er hatte das Jackett nach rechts gegen die Wand geworfen und gehört, wie Katherine augenblicklich die Richtung gewechselt hatte. Gleiches war geschehen, als Mal’akh sein Hemd nach links geschleudert hatte. Auf diese Weise hatte er Katherines Bewegungsspielraum eingeengt und zwei Grenzen markiert, die sie nicht zu überschreiten wagte.
Nun wartete er, lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Es gibt nur eine Richtung, in die sie sich bewegen kann – direkt auf mich zu. Doch alles blieb still. Entweder war Katherine vor Angst wie gelähmt, oder sie hatte beschlossen, sich nicht zu rühren und darauf zu warten, dass von außen Hilfe kam. Pech gehabt, Mädchen. Niemand würde in absehbarer Zeit Magazin 5 betreten; Mal’akh hatte das Tastenfeld für den Zugangscode mit einer simplen, aber sehr effektiven Methode außer Betrieb gesetzt. Nachdem er Trishs Schlüsselkarte benutzt hatte, hatte er ein Zehncentstück tief in den Kartenschlitz gerammt. Damit war das Gerät unbrauchbar geworden.
Wir sind ganz allein, Katherine, du und ich, und deine Zeit wird knapp.
Mal’akh schob sich nach vorn, lauschte auf jedes Anzeichen einer Bewegung. Heute Nacht würde Katherine Solomon sterben, in der Stille und Düsternis dieses Museums. Des Museums ihres Bruders – was für ein poetisches Ende! Mal’akh stellte sich in Gedanken vor, wie er Peter die Nachricht von Katherines Tod überbrachte. Die Qualen dieses Mannes würden ein Teil seiner lang ersehnten Rache sein.
Plötzlich sah Mal’akh in der Dunkelheit ein winziges Licht aufleuchten. Triumphierend erkannte er, dass Katherine soeben einen tödlichen Fehler begangen hatte. Sie hat das Telefon eingeschaltet. Sie will um Hilfe rufen. Das elektronische Display, das gerade zum Leben erwacht war, blinkte ungefähr in Hüfthöhe, gut zwanzig Meter entfernt, wie ein Leuchtfeuer in einem endlosen Meer der Schwärze.
Sofort rannte Mal’akh in Richtung des schwebenden Lichts. Er musste die Frau erwischen, bevor sie ihren Notruf absetzen konnte. Nach wenigen Sekunden war Mal’akh heran und sprang mit einem gewaltigen Satz, die Arme rechts und links vorgestreckt, auf den Lichtpunkt zu.
Mal’akhs Finger stießen mit solcher Wucht gegen eine feste Wand, dass er sich beinahe die Finger brach. Sein Kopf prallte gegen einen Stahlträger. Er schrie vor Schmerz, als er an der Wand zusammensank. Dann zog er sich fluchend an dem hüfthohen, horizontalen Stahlträger hoch, auf dem Katherine ihr aufgeklapptes Handy zurückgelassen hatte.
Katherine rannte in panischer Furcht durch die Schwärze. Diesmal verschwendete sie keinen Gedanken daran, welchen Lärm sie machte, als ihre Hand über die in regelmäßigen Abständen angebrachten Bolzen von Magazin 5 hüpfte. Schneller! Wenn sie der Wand um das ganze Magazin herum folgte, musste sie früher oder später zum Ausgang gelangen.
Wo bleibt der Wachmann?
Mit der linken Hand strich Katherine im Laufen über die Wand, die rechte hielt sie schützend vorgestreckt. Die Seitenwand schien kein Ende zu nehmen. Dann, unvermittelt, brach der Rhythmus der Bolzen ab. Mehrere Schritte lang griff ihre linke Hand ins Leere; dann ertastete sie die Bolzen wieder. Katherine blieb stehen, ging ein paar Schritte zurück. Ihre Hände ertasteten eine glatte Metallfläche. Warum sind hier keine Bolzen?
Kaum hatte sie sich diese Frage gestellt, hörte sie ihren Verfolger hinter sich näher kommen. Auch er achtete jetzt nicht mehr darauf, leise zu sein, während er sich an der Wand entlang in Richtung seines Opfers bewegte. Doch da war noch ein weiteres Geräusch, das Katherine noch mehr beunruhigte: Irgendwo schlug jemand mit einem Gegenstand von außen rhythmisch gegen die Tür von Magazin 5.
Der Wachmann? Bekommt er die Tür nicht auf?
Der Gedanke war entsetzlich. Doch die Richtung, aus der das Geräusch kam – schräg von rechts –, gab Katherine die Orientierung zurück. Endlich wusste sie, wo in Magazin 5 sie sich befand. Und das Bild, das dabei blitzartig vor ihrem inneren Auge erschien, brachte eine unerwartete Erkenntnis mit sich: Sie wusste nun auch, was die merkwürdige große Fläche an der Wand war.
Jedes Magazin verfügte über ein Rolltor, eine riesige bewegliche Wand, die zur Seite geschoben werden konnte, um übergroße Objekte ein- und auszulagern. Das Tor war fast so groß wie die Tore in einem Flugzeughangar. Katherine hätte nie geglaubt, es einmal öffnen zu müssen, aber nun schien es ihre einzige Hoffnung zu sein.
Ob ich es aufbekomme?
Katherine tastete blind in der Dunkelheit an dem Rolltor, bis sie einen Metallgriff zu fassen bekam. Sie packte ihn, so fest sie konnte, und setzte ihr ganzes Gewicht ein, um die Tür aufzuschieben, doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Katherine versuchte es noch einmal. Nichts.
Sie hörte, dass ihr Verfolger nun schneller näher kam, wobei er den lauten Geräuschen folgte, die sie machte. Das Rolltor ist abgesperrt! In wilder Panik tastete Katherine mit den Händen das Tor ab, auf der verzweifelten Suche nach einem Hebel oder einer Klinke. Plötzlich stieß ihre Hand gegen etwas, das ein vertikal angebrachter Metallstab zu sein schien. Katherine hockte sich hin, tastete mit den Fingern und stellte fest, dass der Stab in eine Vertiefung im Beton eingelassen war. Ein Sicherheitsriegel! Sie stand auf, packte den Metallstab, schob ihn nach oben und klinkte ihn aus.
O Gott, der Kerl ist fast hier!
Mit zitternden Händen suchte Katherine nach dem Griff, bekam ihn wieder zu fassen und bot ihre ganze Kraft auf. Das massive Tor schien sich kaum zu bewegen, doch mit einem Mal drang ein dünner Streifen Mondlicht ins Innere von Magazin 5. Noch einmal! Der Lichtstrahl, der von draußen hereinfiel, wurde breiter. Noch ein bisschen! Sie zog ein letztes Mal an dem Griff, spürte bereits den Atem ihres Verfolgers im Nacken.
Katherine sprang auf das Licht zu, wand ihren schlanken Körper seitwärts in die Öffnung. Eine Hand materialisierte aus der Dunkelheit, krallte nach ihr, versuchte sie zurück ins Innere zu zerren. Mit einem schrillen Schrei stemmte sie sich durch die Öffnung, verfolgt von einem muskulösen nackten Arm, der mit einem Muster von Schuppen bedeckt war. Der Arm wand sich wie eine zornige Schlange, die sie zu packen versuchte.
Katherine drehte sich um und floh die lange, fahle Außenwand von Magazin 5 entlang. Das Kiesbett, das den gesamten Komplex des SMSC umschloss, schnitt in ihre Füße, doch sie achtete nicht darauf und rannte weiter auf den Haupteingang zu. Draußen war es schwarze Nacht, doch ihre Pupillen waren nach der Finsternis im Magazin weit geöffnet, und so konnte sie perfekt sehen, fast wie bei Tageslicht. Hinter ihr öffnete sich knirschend das Rolltor. Dann hörte sie schwere Schritte hinter sich, die rasch näher kamen. Ihr Verfolger war beängstigend schnell.
So schaffe ich es nie bis zum Haupteingang. Katherine wusste, dass es bis zu ihrem Volvo näher war, aber selbst das würde zu weit sein. Dieser Wahnsinnige hätte mich vorher längst eingeholt.
Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie noch einen letzten Trumpf im Ärmel hatte.
Als sie sich der Ecke von Magazin 5 näherte, war der Verfolger fast bei ihr. Jetzt oder nie. Statt um die Ecke zu biegen, schlug Katherine einen Haken, schwenkte scharf nach links, weg vom Gebäude und hinaus auf den Rasen. Im gleichen Augenblick kniff sie die Augen fest zu, legte beide Hände vors Gesicht und rannte los.
Die bewegungsaktivierte Sicherheitsbeleuchtung, die rings um Magazin 5 aufflammte, verwandelte die Nacht augenblicklich in hellen Tag. Ein schriller Schmerzensschrei erklang, als das grelle Licht der Scheinwerfer sich in die weit geöffneten Pupillen ihres Verfolgers brannte. Katherine hörte, wie er auf den losen Steinen ins Stolpern geriet.
Sie kniff die Augen zusammen und lief weiter auf den offenen Rasen hinaus. Als sie das Gefühl hatte, weit genug vom Gebäude und dem Licht entfernt zu sein, schlug sie die Augen wieder auf, korrigierte ihren Kurs und rannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her.
Die Autoschlüssel waren dort, wo Katherine sie immer ließ – in der Mittelkonsole. Atemlos nahm sie die Schlüssel in ihre zitternden Hände und schob sie ins Zündschloss. Der Motor brüllte auf, die Scheinwerfer gingen an und beleuchteten eine schreckliche Szenerie.
Eine grässliche Gestalt kam auf sie zugerannt.
Katherine erstarrte für einen Moment.
Die Kreatur im Scheinwerferlicht war kahl und halb nackt. Ihre Haut war mit tätowierten Schuppen, Symbolen und Texten bedeckt. Das Wesen kreischte auf, als das Licht es erfasste, und hob die Hände