Das verlorene Symbol - Kapitel 27
Maske des Entsetzens und der Fassungslosigkeit, als ihm dämmerte, wer vor ihm stand.
»Ich hatte Sie damals gewarnt«, sagte Mal’akh, »dass ich Sie Ihr Leben lang verfolge, wenn Sie abdrücken.«
»Aber Sie sind …«
Erneut stieß Mal’akh seinem Opfer den Taser in die Rippen. Ein blauer Blitz, Knistern, und Solomon erschlaffte.
Mal’akh steckte den Taser weg und trank in aller Ruhe seinen Tee zu Ende. Als er fertig war, tupfte er sich mit einer monogrammverzierten Leinenserviette die Lippen ab; dann blickte er auf sein Opfer. »Wollen wir?«
Solomon rührte sich nicht, doch seine Augen waren weit aufgerissen und voller Angst.
Mal’akh beugte sich zu ihm hinunter. »Ich nehme Sie mit zu einem Ort, an dem nur die nackte Wahrheit überlebt.«
Ohne ein weiteres Wort knüllte er die Serviette zusammen und stopfte sie Solomon in den Mund. Dann warf er sich den Wehrlosen über die breite Schulter und ging in Richtung des privaten Aufzugs. Auf dem Weg nach draußen nahm er Solomons iPhone und Schlüssel an sich, die auf dem kleinen Tisch in der Halle gelegen hatten.
Heute Nacht wirst du mir all deine Geheimnisse verraten, dachte Mal’akh. Und du wirst mir Antwort geben auf die Frage, warum du mich vor so vielen Jahren meinem Schicksal überlassen hast.
KAPITEL 30
SB LEVEL.
Senate Basement.
Robert Langdons Klaustrophobie machte sich mit jeder Stufe, die sie hinunterstiegen, stärker bemerkbar. Je tiefer sie in die ursprünglichen Fundamente des Gebäudes vordrangen, umso drückender wurde die Atmosphäre. Eine Belüftung schien es gar nicht mehr zu geben. Die Wände bestanden zum Teil aus rauem Fels, zum Teil aus gelben Ziegelsteinen.
Direktor Sato tippte beim Gehen irgendetwas in ihr Blackberry. Langdon spürte ihr Misstrauen ihm gegenüber, doch dieses Gefühl beruhte inzwischen auf Gegenseitigkeit. Sato hatte ihm noch immer nicht verraten, woher sie wusste, dass er heute Abend hier war. Eine Frage der nationalen Sicherheit? Es fiel Langdon schwer, eine Verbindung zwischen alten Mythen und der nationalen Sicherheit zu entdecken. Auf der anderen Seite fiel es ihm schwer, überhaupt einen Sinn in der ganzen Sache zu erkennen.
Peter hat mir einen Talisman anvertraut … ein fehlgeleiteter Irrer lockt mich unter falschem Vorwand ins Kapitol, mit dem Talisman im Gepäck, und verlangt, dass ich damit ein mystisches Portal öffne … möglicherweise in einem Raum mit der Bezeichnung SBB 13.
Das passte alles nicht zusammen.
Während sie weitergingen, versuchte Langdon den schrecklichen Anblick von Peters tätowierter Hand, die jemand zur Mysterienhand entstellt hatte, aus seinem Kopf zu verdrängen. Das grässliche Bild wurde von Peters Stimme begleitet: Aus den Alten Mysterien sind viele Mythen hervorgegangen, Robert … aber das heißt nicht, dass sie selbst nur Fiktion sind.
Während seiner gesamten Karriere hatte Langdon sich mit mystischen Symbolen und deren Geschichte beschäftigt. Dennoch hatte er sich nie so recht mit der Theorie der Alten Mysterien und dem Versprechen auf Allmacht, das ihnen angeblich innewohnte, anzufreunden vermocht.
Zugegebenermaßen existierten in zahlreichen historischen Aufzeichnungen unumstößliche Beweise, dass geheimes Wissen über die Jahrhunderte hinweg weitergegeben worden war. Der Ursprung dieses Wissens lag möglicherweise in den Geheimschulen des alten Ägypten. Es war stets im Verborgenen weitergegeben worden, bis es in der Renaissance wieder aufgetaucht war, wo es, den meisten Quellen zufolge, ausgewählten Mitgliedern der führenden Denkfabrik Europas anvertraut wurde: der Royal Society of London, hervorgegangen aus einer Gruppe, die sich das ›Invisible College‹ nannte.
Dieses Unsichtbare Collegium entwickelte sich rasch zu einer Ideenschmiede, der die größten Visionäre ihrer Zeit angehörten: Isaac Newton, Francis Bacon, Robert Boyle und sogar Benjamin Franklin. Die Liste der neuzeitlichen ›Mitglieder‹ war mit Namen wie Einstein, Hawking und Bohr nicht minder beeindruckend. Sie alle waren Genies, denen die Menschheit Quantensprünge in ihrem Wissens- und Erkenntnisstand verdankte – Fortschritte, deren Ursprung bestimmten Quellen zufolge in den Alten Mysterien lag, die irgendwo im Invisible College verborgen waren. Was das betraf, hegte Langdon seine Zweifel, obwohl unbestreitbar war, dass sich innerhalb dieser Gruppe außergewöhnlich viele ›geheimnisvolle Vorgänge‹ zugetragen hatten.
Als 1936 die geheimen Aufzeichnungen Isaac Newtons entdeckt worden waren, war die Welt erstaunt gewesen, mit welcher verzehrenden Leidenschaft Newton sich dem Studium der Alchimie und der geheimen Wissenschaften gewidmet hatte. Unter seinen Privatbriefen befand sich ein Schreiben an Robert Boyle, in dem er diesen eindringlich warnte, ›höchstes Stillschweigen‹ zu wahren, was das geheime Wissen betraf, das sie erlangt hatten. »Es kann nicht weitergegeben werden«, schrieb Newton, »ohne der Welt einen unermesslichen Schaden zuzufügen.«
Die Bedeutung dieser seltsamen Warnung wurde noch heute heiß diskutiert.
»Professor«, sagte Sato plötzlich und sah von ihrem Blackberry auf, »auch wenn Sie behaupten, keine Ahnung zu haben, weshalb sie heute Abend hier sind, könnten Sie mir vielleicht etwas über Peter Solomons Ring verraten.«
»Ich kann es versuchen«, meinte Langdon und bemühte sich, in die Gegenwart zurückzufinden.
Sato zog den Asservatenbeutel hervor und reichte ihn Langdon. »Erzählen Sie mir etwas über die Symbole auf dem Ring.«
Langdon musterte den vertrauten Ring, während sie weiter durch den verlassenen Gang schritten. Auf seinem Siegel prangte das Bild eines doppelköpfigen Phönix mit einem Banner in den Klauen, auf dem ORDO AB CHAO stand. Auf seiner Brust war die Zahl 33 zu sehen. »Der doppelköpfige Phönix mit der Zahl 33 ist das Zeichen des höchsten Freimaurergrades.« Genau genommen gab es diesen angesehenen Grad nur innerhalb des Schottischen Ritus. Langdon verspürte allerdings keine Lust, Sato die komplexe Hierarchie der Freimaurer an diesem Abend im Detail zu erläutern. »Der 33. Grad ist, kurz gesagt, eine seltene Auszeichnung, die nur einer kleinen Gruppe höchst verdienter Freimaurer zuteilwird. Alle anderen Grade können durch das erfolgreiche Durchlaufen der vorhergehenden Stufen erreicht werden, die Erlangung des 33. Grades allerdings wird streng reglementiert. Eine solche Ernennung erfolgt nur auf Einladung.«
»Ihnen war also bekannt, dass Peter Solomon ein Mitglied dieses elitären Zirkels ist?«
»Natürlich. Die Mitgliedschaft ist kein Geheimnis.«
»Und er hat das höchste Amt der Freimaurer inne.«
»Zurzeit, ja. Peter steht dem Obersten Rat des 33. Grades vor, dem Führungsgremium des Schottischen Ritus in Amerika.« Langdon hatte es stets genossen, den Hauptsitz des Obersten Rates zu besuchen, das Haus des Tempels, ein klassisches architektonisches Meisterwerk, dessen symbolische Ornamente denen von Schottlands Rosslyn Chapel in nichts nachstanden.
»Haben Sie die Gravuren auf dem Ring bemerkt, Professor? Sie ergeben den Satz: ›Alles wird enthüllt mit dem 33. Grad.‹«
Langdon nickte. »Ein bekanntes Motiv der freimaurerischen Lehre.«
»Und es bedeutet, wie ich annehme, dass demjenigen, der zum 33. Grad zugelassen wird, etwas Besonderes offenbart wird?«
»Ja, so heißt es. Aber das muss nicht unbedingt der Realität entsprechen. Es hat schon immer Verschwörungstheorien gegeben, die besagen, dass einigen wenigen Auserwählten in den höchsten Rängen der Freimaurer ein großes mystisches Geheimnis anvertraut wird. Die Wahrheit ist, fürchte ich, sehr viel weniger spektakulär.«
Peter Solomon hatte schon oft scherzhafte Anspielungen auf die Existenz eines großen Geheimnisses innerhalb der Bruderschaft gemacht. Langdon hatte jedoch stets vermutet, dass es sich dabei um spitzbübische Versuche handelte, ihn zum Beitritt zu bewegen. Leider waren die Ereignisse dieser Nacht alles andere als erheiternd, und an der Ernsthaftigkeit, mit der Peter ihn gebeten hatte, das versiegelte Päckchen aufzubewahren, das Langdon nun in seiner Umhängetasche trug, war nichts spitzbübisch gewesen.
Langdon starrte betrübt auf den Plastikbeutel mit Peters Ring. »Direktor«, fragte er, »hätten Sie etwas dagegen, wenn ich das hier behalte?«
Sato warf ihm einen raschen Blick zu. »Warum?«
»Ich würde Peter den Ring heute Abend gerne wiedergeben. Er hängt sehr daran.«
Sato wirkte skeptisch. »Hoffen wir, dass Sie Gelegenheit dazu bekommen.«
»Danke.« Langdon steckte den Ring ein.
»Noch eine Frage«, sagte Sato, während sie weiter in die Tiefen des Labyrinths vordrangen. »Meine Leute haben mich informiert, sie hätten Hunderte von Querverweisen auf eine ›Pyramide‹ erhalten, als sie die Ausdrücke ›dreiunddreißigster Grad‹ und ›Portal‹ mit dem Begriff ›Freimaurer‹ in Verbindung brachten.«
»Das ist nicht verwunderlich«, erwiderte Langdon. »Die Erbauer der ägyptischen Pyramiden sind die Vorläufer der heutigen Freimaurer, und die Pyramide sowie zahlreiche andere ägyptische Motive sind verbreitete freimaurerische Symbole.«
»Und was stellen sie dar?«
»Die Pyramide steht im Allgemeinen für Erleuchtung. Sie ist das architektonische Symbol für die Fähigkeit des Menschen im Altertum, die Fesseln des Hier und Jetzt abzulegen und gen Himmel aufzusteigen, der goldenen Sonne entgegen, um letztendlich den Ursprung aller Erleuchtung zu erreichen.«
»Und sonst nichts?«, fragte Sato nach längerem Schweigen.
Sonst nichts? Langdon hatte soeben eines der stilvollsten Symbole der Geschichte beschrieben. Das Gefüge, mit dessen Hilfe der Mensch sich in die Gefilde der Götter emporschwang.
»Meine Leute glauben«, fuhr Sato fort, »dass es für unsere Ermittlungen einen weitaus relevanteren Bezug gibt. Dass es eine bekannte Legende über eine ganz bestimmte Pyramide hier in Washington gibt – eine Pyramide, die in enger Verbindung mit den Freimaurern und den Alten Mysterien steht.«
Langsam wurde Langdon klar, worauf Sato anspielte, und er bemühte sich, sie so schnell wie möglich von diesem Gedanken abzubringen, bevor sie allzu viel Zeit darauf verschwendete. »Mir ist diese Legende bekannt, Direktor, aber sie ist ein reines Hirngespinst. Die Pyramide der Freimaurer ist eine der ältesten Mythen in Washington und rührt wahrscheinlich von der Pyramide auf dem Siegel der Vereinigten Staaten her.«
»Warum haben Sie das nicht früher erwähnt?«
Langdon zuckte mit den Schultern. »Weil die Legende auf keinerlei Tatsachen beruht. Wie ich bereits sagte, handelt es sich um reine Fantasterei. Eine von vielen im Zusammenhang mit den Freimaurern.«
»Dennoch gibt es eine direkte Verbindung zwischen dieser Fantasterei und den Alten Mysterien.«
»Sicher, aber das trifft auch auf eine ganze Reihe anderer abstruser Theorien zu. Die Alten Mysterien sind der Ursprung zahlloser Legenden, die bis heute überdauert haben – Geschichten über mächtige Weisheiten, gehütet von geheimen Wächtern wie den Templern, den Rosenkreuzern, den Illuminaten, den Alumbrados und so weiter, und so fort. Sie alle basieren auf den Alten Mysterien. Die Pyramide der Freimaurer ist nur eines von vielen Beispielen.«
»Verstehe«, sagte Sato. »Und was genau besagt diese Legende?«
Langdon dachte einen Moment darüber nach. »Nun, ich bin kein Spezialist